Es ist ein Phänomen der letzten ein bis zwei Dekaden. Hersteller engagieren Designer, um mit Handwerkern Produkte zu entwickeln. Die Fertigungsorte befinden sich in strukturschwachen Gegenden Afrikas, Asiens oder Südamerikas. Gelegentlich entstehen Kooperationen mit Non-Profit-Organisationen. Gefertigt wird meist in Handwerksbetrieben oder etwa auch in Ausbildungsstätten. Die Projekte erheben den Anspruch, ökologisch, kulturell und ästhetisch nachhaltig zu sein. Oft herrscht Uneinigkeit darüber, ob sie der lokalen Wirtschaftsförderung dienen oder dem Konsumenten nur ein gutes Gefühl geben. In wohlhabenden Ländern gilt das handwerkliche Unikat als hochwertig, in ärmeren Regionen schätzt die zahlungskräftige Elite industrielle Luxusprodukte international bekannter Labels. Und wie steht es um das Design und seine Protagonisten vor Ort? Hier nun eine Auswahl von zehn Beispielen, die über Jahre konsequent verfolgt wurden – und auch aktuell verfügbar sind. Artecnica: „Design w/Conscience” (seit 2002) Dedon (seit 1992) Edra: „Favela” (seit 1991) Hermes: Shang Xia (seit 2008) Inch Furniture (seit 2004) Mabeo (seit 2006) MoMA Store: „Destination Series“ (10. Ausgabe) Moroso: „M’Afrique” (seit 2009) Nanimarquina: „Kala” (seit 2009) Vitra: „Chairless“ (seit 2010)
Als erfolgreichstes Serie von „Design w/Conscience” hat sich bisher „Transglass“ von Emma Woffenden und Tord Boontje erwiesen. Tableware wie Becher, Karaffen und Vasen werden aus Recyclingglas durch Zerschneiden, Zusammensetzen und Polieren in Guatemala gefertigt.
www.artecnicainc.com
Zu den neuesten Möbeln von Dedon zählt die Kollektion „Dala“ von Stephen Burks. Die runden Lounge Chairs, Hocker und Tische werden auf der philippinischen Insel Cebu aus Kunststofffasern geflochten.
www.dedon.de
Überraschenderweise wird der Sessel „Favela“ von Fernando und Humberto Campana nicht am Rand einer brasilianischen Großstadt hergestellt, sondern in einer deutschen Gemeinde an der argentinischen Grenze. Angeblich musste den Handwerkern zunächst der Ordnungssinn ausgetrieben werden. Schließlich sollen die einzelnen Holzstücke des Sessels nicht rechtwinklig angeordnet sein, sondern wie zufällig miteinander verklebt und vernagelt wirken.
www.edra.com
Shang Xia ist ein chinesisches Tochterunternehmen von Hermes. Unter der Leitung der Designerin Jiang Qiong soll die Handwerkstradition Chinas auf höchstem Niveau fortgesetzt werden.
www.shang-xia.com
Der Firmensitz von Inch Furniture befindet sich in Basel, die Produktion liegt bei der Holzfachschule Pika im indonesischen Semarang. Erhältlich sind die Möbel wie das „Hiji Shelf“ bei ausgesuchten Händlern wie „Dopo Domani“ in Berlin oder „Teo Jakob“ in Genf.
www.inchfurniture.ch
Der Firmensitz von Mabeo befindet sich in Botswana. Zunächst exportierte Peter Mabeo vor allem nach Südafrika, bevor er sich dem internationalen Markt zuwandte. Der „Tswana Chair“ von Patty Johnson etwa ist von einer lokalen Stuhlform inspiriert, die einst den Dorfälteren vorbehalten war.
mabeofurniture.com
Der MoMA Store unter der Leitung von Kathy Thornton-Bias ist bekannt dafür, besonders gut kuratiert zu sein. Mit der Serie „Destination: Design“ soll auf aktuelle Designthemen aus verschiedenen Erdteilen aufmerksam gemacht werden. Die aktuelle Ausgabe widmet sich Mexiko, sie umfasst 150 Produkte von sechzig Designern, darunter der „Candela Cube“ von Sonia Lartigue.
www.momastore.org
Moroso kann mit einer Reihe an Projekten aufwarten, die mit Afrika in Verbindung stehen. Den vorläufigen Höhepunkt bildet die Installation „M'Afrique“ von Stephen Burks von 2009 in Mailand. Zu sehen waren Produkte wie „Touti“ von Patricia Urquiola und „Bayekou“ von Bibi Seck und Ayse Birsel.
www.moroso.it
Um Kinderarbeit in Indien, Nepal und Pakistan entgegenzuwirken, schufen eine Reihe von Teppichunternehmen die Organisation „Care & Fair“. Zu den Gründungsmitgliedern gehört auch Nanimarquina. Ein Teil aus dem Projekt „Kala“ fließt in die Amrita Vidyalayam School im indischen Bhadohi.
www.nanimarquina.com
„Chairless“ ist ein Textilband zum Sitzen. Traditionell werden solche Sitzschlaufen etwa von den Ayoreo-Indianern im Gran Chaco verwendet. Für Alejandro Aravena stellen sie die reduzierteste Form einer Sitzhilfe dar. Bei Vitra hat er den Entwurf einer industriell gefertigten Variante angeregt.
www.vitra.com
Zwischen den Polen
von Nina Reetzke | 18.07.2012
Blick in die Pika Holzfachschule in Indonesien, in der Produkte von Inch Furniture gefertigt werden, Foto © Daniel Riera
Blick in die Pika Holzfachschule in Indonesien, in der Produkte von Inch Furniture gefertigt werden, Foto © Daniel Riera
„Transglass“ von Emma Woffenden und Tord Boontje für Artecnica, Foto © Artecnica
„Dala“ von Stephen Burks für Dedon, Foto © Dedon
„Favela“ von Fernando und Humberto Campana für Edra, Foto © Edra
Kanne „Fuqi“, Teetisch und Stuhl „Da Tian Di“ und Gewand „Sculpture“ von Shang Xia, Foto © Shang Xia
„Shanghai Chair“ von Inch Furniture, sowie Beistelltisch „Loro“ und Wohnzimmertisch „Shanghai“ während der Produktion, Produktfoto © Tonatiuh Ambrosetti und Daniela Droz, Produktionsfoto © Daniel Riera
Hocker „ThuThu“ und Stuhl „Maun Windsor“ von Patty Johnson und Hocker „Kika“ von Patricia Urquiola für Mabeo, Foto © Mabeo
„Candela Cube“ von Sonia Lartigue für MoMA Store, Foto © Sonia Lartigue
Verschiedene Produkte aus der Kollektion „M’Afrique“ von Tord Boontje, Dominique Petot, Ayse Birsel und Bibi Seck für Moroso, Foto © Moroso
Projekt „Kala“ von Nanimarquina, Foto © Nanimarquina
„Chairless“ von Alejandro Aravena für Vitra, Fotos © Nicole Bachmann und Verena Regehr