Man muss sich nicht von tausend Augen oder nur einem Detektiv verfolgt fühlen, und auch nicht gleich den heißen Atem des Genossen Trend oder den kalten Schweiß der Schwester Angst hinter sich wähnen. Es reicht, wenn man in einer dieser neuen, riesigen Hotel-Lobbys oder inmitten eines sich über viele Stockwerke erstreckenden Atriums Platz nimmt, und schon fühlt man sich irgendwie ausgesetzt, auf den Präsentierteller geschoben wie ein Petit four. Daran, hier lesen, ungestört telefonieren oder sich gar unterhalten zu können, will man erst gar nicht denken. Also wird schnell der Wunsch nach einem eigenen, kleinen Schutzraum wach. Und siehe da, es scheint vielen so zu ergehen, seit der öffentliche Raum von lauter Handygeplapper erfüllt und alles noch offener und noch kommunikativer geworden ist.
Die Zunahme des öffentlichen Bedürfnisses nach Sicherheit und Schutz haben in den letzten Jahren nicht nur die Hersteller martialischer Sports Utility Vehicle’s, sondern auch zahlreiche Möbel-Designer erkannt - und entsprechende Sessel und Sofas, Alkoven und Kugeln entworfen. Das Spektrum reicht vom Turiner Barock von Carlo Mollinos „Ardea“ (Zanotta) aus den vierziger Jahren oder Eero Aarnios „Ball Chair“ (Adelta) von 1966 – jener angeschnittenen Kunststoffkugel, in die man sich wie in eine Höhle flüchten kann – bis zu Jaime Hayons „Showtime“-Serie (BD Barcelona Design).
Besonders Jaime Hayons Kreation spielt nicht nur mit dem erotischen Motiv des (sich) Zeigens und des (sich) Verbergens; sein Sessel mischt auch frech und munter Stile und Funktionen. Manchmal kommt es einem so vor, als habe Hayon eine Telefonkapsel mit einem Louis XVI-Möbel gekreuzt, dann wiederum meint man, in dem hybriden Stück die Gene eines Strandkorbs auszumachen, der zum vornehmen Einsitzer umgebaut wurde. Wer es nicht weniger hoch, aber erheblich seriöser möchte, der greift eher zu Tom Dixons „Wingback Chair“ (Tom Dixon) oder macht es wie Stefan Borselius, dessen „Peekaboo Swiwel“ (Blå Station) nicht nur den Kuckuck im Namen, sondern auch die Haube im Gepäck hat, die man bei Bedarf – etwa, wenn man partout nicht erkannt werden möchte - über den Kopf ziehen kann. Alfredo Häberlis „Take A Line For A Walk“ (Moroso) wirkt da schon sehr offen, ebenso wie Hannes Wettsteins „Chat“-Sofa (Pallucco). Etwas Abschirmung und die Möglichkeit zur Konzentration bieten aber auch sie.
Den definitiven Rückzugsraum für all jene, die, ob allein oder zu zweit, das Cocooning nicht lassen und der Öffentlichkeit trotzdem erhalten bleiben wollen, weil es sich aus einem solchen Versteck heraus besonders komfortabel beobachten lässt, bietet der „Alkoven“ der Gebrüder Erwan und Ronan Bouroullec in der „Highback“-Ausführung (Vitra). Fehlt nur noch der Kellner, der den Sherry bringt.