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Bei der Villa in Devon nutzt Peter Zumthor das Baumaterial Stampfbeton für die Wände, das er schon bei seiner berühmten Bruder-Klaus-Kapelle in der Eifel verwendete.

In Beton gestampft

Im südenglischen Devon hat Peter Zumthor eine Villa für den Ferienhausanbieter Living Architecture errichtet.
von Fabian Peters | 06.02.2019

Es ist ein seltsam archaischer Werkstoff, der zurzeit eine kleine Renaissance erlebt: Stampfbeton – ein Werkstoff, der seine erste Blüte in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebte. Vor dem Siegeszug des Stahlbetons war Stampfbeton ein mit einfachen handwerklichen Methoden zu verarbeitender Werkstoff, der insbesondere bei der Fundament- und Zwischendeckenerstellung Verwendung fand. Sollen mit Stampfbeton Wände gebaut werden, so muss er in Schichten in die Schalung verfüllt werden, wobei jede Schicht per Hand verdichtet wird. Dadurch zeigt die Wand nach dem Abbinden ein deutlich ablesbares Streifenmuster. 

Erneut bekannt machte den Stampfbeton vor knapp einem Jahrzehnt Peter Zumthor mit seiner inzwischen längst berühmten Bruder-Klaus-Feldkapelle in der Nähe des Eifelörtchens Wachendorf. Dem prismatischen Baukörper, der sich stelenartig aus den umliegenden Wiesen und Feldern erhebt, verleiht der mit groben Zuschlägen versehene Beton ein Äußeres, an dem man geologische Schichtungen abzulesen meint. Nun hat Zumthor das Baumaterial für einen Villenbau in der südenglischen Grafschaft Devon erneut eingesetzt und dabei das gestreifte Erscheinungsbild der Wände noch stärker als Gestaltungselement hervorgehoben. Trat bei der Feldkapelle die Materialität optisch hinter der hochprägnanten stereometrischen Großform des Baus zurück, so wird sie bei dem langgestreckten Bungalow zur Dominante. Hier zieht sich der dunkle, unruhige Fugenverlauf über die Wände wie eine Äderung im Marmor oder eine Maserung im Holz. Es verleiht dem Beton aus der Nähe den Eindruck des Organischen, Gewachsenen. Aus weiterer Entfernung verliert sich die Unregelmäßigkeit. Dann mutet das Streifenmuster wie eine Rustizierung an. Man mag darin die Verbindung zu den Anfängen des neuzeitlichen Villenbaus im 15. Jahrhundert sehen. Zu den mediceischen Landhäusern, die in dem Bestreben entstanden, die bei Vitruv und Plinius beschriebene römische villa suburbana wiederauferstehen zu lassen. Und natürlich zu Andrea Palladio, dem am Übergang von Manierismus und Barock die vielleicht vollendetste Formulierung dieses Bautypus gelang. Wie ein Gesims bildet die Kante des Flachdaches aus makellosem Stahlbeton den oberen Abschluss der Außenwände. In diesem Kontrast, der die gegensätzlichsten Erscheinungsformen des Baustoffes gegenüberstellt, zeigt sich erneut Zumthors überragendes Feingefühl als Materialästhet. 

Das charakteristische Streifenmuster des Stampfbetons gliedert die Außenwände.
Auch im Inneren prägt der Beton mit seiner Musterung die offenen Räume.

Natürlich thematisiert auch Zumthor bei seiner Villa die Öffnung der Architektur zur Landschaft. Wobei man sich trotz der großflächigen Fensterzonen davor hüten sollte, von einer Verschmelzung oder von fließenden Übergängen zwischen innen und außen zu sprechen. Der Architekt fasst die Scheiben mit kräftig konturierten Metallrahmen ein und reizt bei weitem nicht aus, was heute an Filigrankonstruktion in diesem Bereich möglich ist. Auf diese Weise definiert Zumthor den Ausblick, wie er es bei fast bei allen seinen Bauten tut. Seine Fenster ziehen eine scharfe Trennlinie zwischen Haus und Landschaft. Auch darin steht seine Villa den Bauten Palladios näher als etwa den Pavillons von Mies van der Rohe

Wie die villa suburbana ist im Übrigen auch Zumthors Haus nicht als permanenter Wohnsitz gedacht. Es ist ein Lusthaus, ein Ort der Muße – wenn auch nicht für eine einzelne Bewohnerschaft, sondern als Ferien-Mietobjekt für den kultivierten (und liquiden) Ruhesuchenden. Bauherr ist die kleine aber höchst exklusive Ferienhausvermietung Living Architecture, die bereits eine ganze Reihe aufsehenerregender Bauten in Großbritannien errichtet hat. Ziel des von Alain de Botton im Jahr 2006 gegründeten Unternehmens war es von Beginn an, außerwöhnlich qualitätvolle Architektur zu erbauen und als Urlaubsdomizil zugänglich zu machen. Dahinter stand neben der Begeisterung für die Baukunst stets auch ein edukativer Gedanke. Zuletzt entstand für Living Architecture neben dem Bau von Zumthor ein Haus von Jahn Pawson in Wales, in dem der Architekt in seiner ganz eigenen Handschrift den skandinavischen Wohnbau der Nachkriegszeit interpretiert. Diese beiden Bauten stehen in ihrem Minimalismus geradezu antithetisch zu dem knallbunten Camp-Style des Ferienhauses, das FAT Architecture und Greyson Perry 2015 in Essex für Living Architecture verwirklicht haben.

Peter Zumthor arbeitet gegenwärtig an einem weit größeren Projekt, bei dem Stampfbeton ebenfalls das äußere Erscheinungsbild bestimmt. 2017 gewann er den Wettbewerb zur Erweiterung der Fondation Beyeler in Basel. Der Ausstellungsbau des dreiteiligen Gebäudeensembles wird noch weit stärker als das Haus in Devon als monolithische Skulptur die Massivität des Baustoffes unterstreichen, während der Veranstaltungspavillon eine deutliche Verwandtschaft mit dem Bungalow in Südengland zeigen wird. Den ersten Renderings zu Folge verleiht Zumthor in Basel dem Stampfbeton erneut ein anderes Erscheinungsbild, nämlich ein flächigeres, monochromeres – und demonstriert so erneut, welche Möglichkeiten in diesem lange vergessenen Baumaterial stecken. 

Das Haus ist in die Hügellandschaft der Grafschaft Devon in Südengland eingebettet.
Große Fenster erlauben exakt kalkulierte Ausblicke in die Natur.
Die Villa ist das neueste Projekt des Ferienhausanbieters Living Architecture, der schon Häuser mit John Pawson oder dem niederländischen Büro MVRDV realisiert hat.
Das Dach aus makellosem Stahlbeton setzt Zumthor in Kontrast zur Handwirklichkeit der Wände aus Stampfbeton.
Die Villa kann über Living Architecture gemietet werden – die Wartezeit ist allerdings bereits beträchtlich.
Die Sessel hat Peter Zumthor für das Kunsthaus Bregenz entworfen.
Das Bad mit Furo-Holzwanne mutet fast klösterlich an.