STYLEPARK ZEITRAUM
Möblierte Meisterzimmer
Künstlerateliers versprühen einen ganz eigenen Charme. Hier wird nicht einfach nur gearbeitet, hier weht der Geist der Kunst. Hier lagern Materialien, stapeln sich Skizzen, Gemälde und Skulpturen; und hier spielen sich die alltäglichen Dramen der künstlerischen Produktivität ab. Hier wird gelebt, gelitten, geliebt und gefeiert. Historische Beispiele gibt es viele, etwa das berühmte Bateau-Lavoir, eine heruntergekommene Bude auf dem Montmartre in Paris, in der Picasso von 1904 bis 1909 mit seinem Hund Frika lebte, seine erste Lebensgefährtin Fernande Olivier traf und den Kubismus erfand. Oder das bis an ans Oberlicht randvoll mit Skulpturen angefüllte Atelier des Bildhauers Constantin Brancusi, das sich heute vor dem Centre Pompidou in Paris zu besichtigen lässt. Auch das Haus von Donald Judd, 101 Spring Street im New Yorker Stadtteil Soho ist so ein besonderer Ort, an dem sich Kunst und Leben noch heute auf selbstverständliche Weise berühren, auch wenn es längst zu einem Museum geworden ist. Fast zehn Jahre hat der Minimalist dort mit seiner Familie gelebt, in hohen, sparsam möblierten Räumen, so schlicht wie langgezogene Schuhkartons.
Kunst braucht prägnante Räume
Wo finden Künstler heute ihre Freiräume, wo Atelierräume mit Atmosphäre? Wo sollen sie nachdenken, malen, zeichnen, planen, wo Gips gießen, Modelle bauen und Ausstellungen vorbereiten? Seit in deutschen Städten Wohnraum knapp ist, Handwerk und produzierendes Gewerbe in die Speckgürtel und in rein funktionale Industriehallen verschwinden, können Künstler, aber auch Kreative, in Städten wie München oder Frankfurt am Main oft nur darauf hoffen, Räume in maroden Häusern oder alten Fabriken zwischennutzen zu können.
Dabei geht es keineswegs nur um geeignete Lokalitäten für Künstler, Musiker, Schauspieler, Tänzer, Designer oder um die oft jungen Startups der Kreativwirtschaft. Wenn Räume keinen individuellen Charakter mehr haben, stellt sich die fundamentale Frage, in welche Richtung sich innenstädtische Quartiere entwickeln sollen: Bleiben sie Investoren überlassen, die tabula rasa machen, um meist hochpreisige und uniforme Wohn- oder Bürobauten hochzuziehen? Oder kann sich ein kleinteiliges, lebendiges soziales Geflecht aus unterschiedlichsten Gewerben, Wohnungen und Ateliers, Läden und Cafés entwickeln?
Auch Möbel müssen wohnen
So seltsam es klingt: Auch Möbel müssen wohnen, um ihren eigenen Charakter zu entwickeln. Sie besitzen ihn nicht von Anfang an oder nur in begrenztem Maß. Er wächst ihnen erst über die Jahre zu, in denen wir sie nutzen und sie uns begleiten. Wer ihnen erstmals begegnet – sei es auf Fotografien, im Möbelhaus, im Showroom oder inmitten einer geschäftigen Möbelmesse –, ahnt wenig davon, auf welche intensive Weise sie mit der Zeit zu treuen Weggefährten werden können. Damit sie ganz zu uns gehören, brauchen sie eine gewachsene persönliche Umgebung, in der sie sich entfalten und einen Resonanzraum finden können, der auf ihre Ausstrahlung antwortet. Der Boom von Vintage-Möbeln belegt, wie sehr unsere auf sich selbst und eine zunehmend ungewisse Zukunft fixierte Gegenwart in der Patina des Bewohnten nach Halt und Echo sucht, um sich wiedererkennen zu können. Zukunft braucht Herkunft.
ZEITRAUM Möbel können und wollen solche Weggefährten sein. Nachhaltig produziert, individuell und langlebig gestaltet, fügen sie sich hervorragend in ganz unterschiedliche Wohnsituationen ein. Dezent und sensibel antworten sie auf die Bedürfnisse der Bewohner, heben mit ihrer Ausstrahlung die Stimmung und steigern das Wohlbehagen. In bewohnten Räumen, in denen das Leben seine Spuren hinterlassen hat, kommen diese Eigenschaften besonders gut zur Geltung. Deshalb hat man sich bei ZEITRAUM auf die Suche gemacht, um die Neuheiten der Kollektion an einem entsprechenden Ort ins Szene zu setzen. Nachdem sich in München und Umgebung nichts Passendes angeboten hat, wurde man in Leipzig mit der ehemaligen Baumwollspinnerei fündig.
Eine Fabrik mit bewegter Geschichte
Die Leipziger Baumwollspinnerei ist heute vieles zugleich: ein lebendiges Labor der Kultur, eine Stadt in der Stadt und eine Kulturfabrik mit bewegter Geschichte. Am 21. Juni 1884 als Aktiengesellschaft ins Handelsregister eingetragen, wird noch im selben Jahr die erste Spinnerei errichtet, die Arbeit mit fünf Spinnstühlen aufgenommen. Im März des folgenden Jahres läuft die Produktion schon mit 30.000 Selfaktorspindeln und dazugehörigem Vorwerk auf vollen Touren. Die Entwicklung verläuft rasant: 1888 entsteht die zweite Spinnerei mit 50.000 Spindeln, im Jahr darauf die dritte mit 76.000 Spindeln und Kämmmaschinen, die es ermöglichen, nun auch hochwertige und feine Garne herzustellen. Mitte der 1890er Jahre wird ein viertes Produktionsgebäude gebaut, 1907 ein fünftes. Nach gerade einmal 25 Jahren hat sich die Leipziger Baumwollspinnerei zur größten Spinnerei des Kontinents entwickelt, in der 240.000 Spindeln, 20.000 Zwirnspindeln und 208 Kämmmaschinen rotierten. Die im Westen von Leipzig entstandene Fabrikstadt ist in jeder Hinsicht ein Ort der Moderne. Zu ihr gehören neben Arbeiterwohnungen, Werkskantine, Kindergarten und Badeanstalt eine Spinnereischule und ein eigenes Kraftwerk ebenso wie ein Park mit Turnhalle für Eltern und Kinder, eine Schrebergartensiedlung, Musikkapellen, Tanzgruppen und Männerchöre.
Aber die Zeiten ändern sich. Nach dem Zweiten Weltkrieg als Volkseigner Betrieb weitergeführt, wird die Produktion nach der Wiedervereinigung nach und nach ganz eingestellt. Doch die Spinnerei erwacht zu neuem Leben, bleibt einem ständigen Wandel unterzogen. "Die Schicksalsgöttin Klotho", schreiben die heutigen Besitzer, "hatte einen neuen Lebensfaden für das ehemals größte kontinentale Spinnereiensemble gesponnen, dessen Geschichte nach bereits 125 Jahren noch lange nicht am Ende zu sein scheint."
From Cotton to Culture
Anfang der Neunzigerjahre entdecken Handwerker, Freiberufler und vor allem Künstler das riesige Areal, siedeln sich auf der Suche nach bezahlbaren und atmosphärischen Arbeitsräumen hier an. Zu den Pionieren, die einziehen, gehören Künstler wie Kaeseberg und der Maler Neo Rauch, einer der Hauptvertreter der international erfolgreichen "Neuen Leipziger Schule". Auf dem im Jahr 2001 eingeschlagenen Weg "From Cotton to Culture" spielt die industriell geprägte Atmosphäre eine ebenso wichtige Rolle wie die Qualität der massiv und nachhaltig errichteten Gebäude. Damit das Garn gut lief, musste in den Produktionshallen eine gleichbleibende Temperatur von 23 Grad gehalten werden, was durch ein Vollziegelmauerwerk von über einem Meter Stärke, großen gusseisernen Kastenfenstern und Korkdämmung unter bewachsenen Dächern erreicht wurde.
Heute bildet das Areal dieser weitgehend im Originalzustand erhaltenen Fabrikstadt einen lebendigen Kosmos: Mehr als hundert Künstlerinnen und Künstler haben hier ihr Atelier. Hier residiert ein Dutzend Galerien, angefangen bei der Galerie Kleindienst, die vorwiegend junge Künstler aus Leipzig ausstellt, über Uwe-Karsten Günthers "Laden für Nichts" bis zu der 2015 eröffneten und programmatisch eine Brücke zu den Künstlern schlagenden Galerie "The Grass is Greener" der Galeristin Esther Niebel. Nicht zu vergessen Judy Lypkes legendäre, 1993 gegründete Galerie Eigen + Art, die ihre Leipziger Dependance 2004 in die Spinnerei verlagerte und so bedeutende Künstler wie Martin Eder, Jörg Herold, die Brüder Carsten und Olaf Nicolai, Ricarda Roggan, David Schnell und, last but not least, Neo Rauch vertritt. Findet heute ein Gallery Weekend in der Spinnerei statt, kommen regelmäßig mehr als 10.000 Besucher.
Doch nicht allein Künstler und Galerien prägen den Ort. Hier residiert ein Internationales Choreografisches Zentrum und hier fördert das Schauspiel Leipzig Experimente jenseits des klassischen Sprechtheaters. Auf dem weitläufigen Areal findet man ein Gesangsstudio ebenso wie ein schallisoliertes Tonstudio. Man trifft auf Restaurierungswerkstätten, Architektur- und Innenarchitekturbüros, auf Schmuck- und Modeateliers, auf Keramik-, Porzellan- und Möbelwerkstätten, auf Gitarren- und Messebauer. Hinter den dicken Backsteinmauern entwickeln Think Tanks datengetriebene Geschäftsmodelle, Gründungs- und Innovationskonzepte. Ein Großhandel für Künstlerbedarf fehlt sowenig wie ein Weinlager und ein Fachhandel für ökologisches Bauen, Wohnen und Gestalten. Hier wird Karate und Bogenschießen trainiert, hier werden Kinder in den Kindergarten gebracht oder der Rechtsanwalt konsultiert. Grafiker und Buchgestalter, Lektorate und Textbüros bieten ihre Dienste ebenso an wie eine Druckerei, ein Verlag, ein lithografisches Atelier, eine Filmproduktionsfirma. Auch ein Programmkino fehlt nicht. "The hottest place on Earth" nannte der Guardian die Leipziger "Kunstfabrik" 2007.
Wohnen im Meisterzimmer
Mittendrin befindet sich die Pension "Meisterzimmer". Hier kann man sich einmieten – und hier sind auch die Fotografien für ZEITRAUM entstanden. In Räumen, die den Charme handfester Industriearchitektur und ihrer mit viel Phantasie und Einsatz erreichten Verwandlung ausstrahlen. "Meisterzimmer", das waren einmal die mit Glasfronten versehenen Werkstätten der Werks- Spinnereimeister. 1994 dient das "Meisterzimmer 1" einigen Spinnerei-Pionieren zunächst als Atelier; jungen Künstlern, die nach dem Studium an irgendeiner Kunsthochschule aufgebrochen sind, um sich und ihre Kunst in die Welt zu tragen. Will man sich auf der weitläufigen Etage besuchen, nimmt man das Fahrrad. Nebenan rotieren noch die letzten Garnrollen und am Wochenende bleibt die Heizung kalt. Dann braucht das verbliebene warme Wasser eine Viertelstunde, bis es in der Dusche ankommt. Über die Jahre verändert sich die Situation. Einige wandern ab, andere ziehen ein. Um den Raum nicht ganz aufgeben zu müssen, entsteht die Idee, ihn ab und zu an Leipzig-Gäste zu vermieten.
Die Einrichtung ist eher spartanisch; vieles, auch Möbel, sind selbstgebaut, die Toilette noch auf dem Flur, die Bettwäsche von Verwandten. "So haben wir", schreibt Manfred Mülhaupt, einer der Herbergsväter, "nach und nach den Raum weiter ausgebaut und die Ausstattung verbessert. 2011 kam der zweite, 2013 der dritte und 2014 der vierte Raum dazu. Nun ist ein gutes Maß erreicht und ich hoffe, dass die Idee – etwas von dem Freiheitsgefühl, welches der Raum und die Spinnerei immer auf uns ausgestrahlt hat, weitergeben zu wollen – erkennbar bleibt." Längst ist aus dem ehemaligen Frauenwaschraum eine Küche geworden. Rollwägen können als Bett umhergeschoben werden; und eine Tischtennisplatte sorgt für Bewegung. Herrscht akuter Tatendrang, kann er an einer kleinen Werkbank ausgelebt werden. Die Meisterzimmer sind eben etwas ganz Besonderes. Standard und Langeweile, wie im Hotel, vermisst in dieser originellen Urlaubsarchitektur keiner.
Wohnen, leben, fotografieren
Eine lebendige Stadt in der Stadt, in der sich Kunst und Kultur in einer mit Geschichte vollgesogenen Backsteinarchitektur frei entfalten können, gewürzt mit dem Eigenaroma der "Meisterzimmer" – einen besseren Ort, um die neuen Möbel von ZEITRAUM zu fotografieren, kann man sich kaum wünschen. Und genau hier, wo hinter jeder Ecke ein Stück Industriekultur auftaucht, wo es nach Maschinen, Arbeiterschweiß und Bohème riecht, wo sich Moderne, DDR und die Kreativkultur des 21. Jahrhunderts begegnen, ist das Team von ZEITRAUM für einige Tage eingezogen. Die mitgebrachten Möbel wurden durch verschachtelte Gänge und Treppenhäuser getragen und in den Meisterzimmern inszeniert – vor den großen, typischen Kastenfenstern und den roten Backsteinwänden, auf grau gestrichenen Böden, zwischen originellen Einbauten und Kunstwerken.
Und tatsächlich: Auf den bei Tageslicht in Zimmer 2, 3 und 4 gemachten Aufnahmen bleibt die Atmosphäre lebendig. Wie von selbst fügen sich der amerikanischer Nussbaum, die Stoffe und Farben der Möbel in die Meisterzimmer ein. Die Möbel bringen die Räume und die Räume die Möbel dazu, im gleichen Takt zu schwingen. Die Räume sind mehr als Kulisse, die Möbel nicht nur Statisten. Sind die Aufnahmen des Tages im Kasten, wird am großen Tisch gemeinsam gegessen, danach beim Tischtennismatch um Punkte gefightet. Senkt sich dann die Nacht über Leipzig, legt man sich ins mitgebrachte ZEITRAUM Bett schlafen.
Man sieht es den Aufnahmen sofort an, dass sie nicht im Studio gemacht wurden. In den Meisterzimmern der Leipziger Baumwollspinnerei ist alles real, über einen langen Zeitraum gewachsen. Nichts wirkt hier abstrakt. Jeder Winkel in diesem von Spontaneität und Kreativität geprägten Ambiente erzählt eine Geschichte. Man merkt: In solchen Räumen haben nicht nur Künstler gelebt, gelitten, geliebt und gefeiert, hier beginnen auch Möbel zu leben. Bleibt die Frage, was in der Architektur, was in der Stadtplanung falsch läuft, wenn es immer weniger Räume gibt, die wir um ihrer Atmosphäre willen schätzen und in denen wir aufzuleben beginnen?