NEW WORK
Vernetztes Arbeiten
Alexander Russ: Sie sind Co-head of Workplace Design bei Zaha Hadid Architects und beschäftigen sich mit den Themen New Work und smarte Arbeitsumgebungen. Können Sie uns mehr darüber erzählen?
Ulrich Blum: Wir haben die Abteilung Workplace Design 2015 bei Zaha Hadid Architects gegründet, weil wir festgestellt haben, dass sich Arbeitsumgebungen in einem starken Wandel befinden. Damit einher ging die Idee, Büroplanung zu verbessern, indem man bestimmte technische Werkzeuge wie das parametrische Entwerfen nutzt. Die Architektur von Zaha Hadid Architects zeichnet sich durch fließende räumliche Übergänge aus. Man kann die Raumfolgen als räumliches Netzwerk betrachten, das eine bessere Zusammenarbeit der MitarbeiterInnen ermöglicht. Damit sind dann Themen wie Flexibilität und Konnektivität verknüpft, die in der heutigen Arbeitswelt immer wichtiger werden.
Sie haben dazu verschiedene "Workplace Trends" formuliert. Können Sie einige dieser Trends erläutern und aufzeigen, wie sie die Planung von Arbeitsumgebungen beeinflussen?
Ulrich Blum: Ein Trend ist "From Me Space to We Space". Das bedeutet, dass Arbeitsumgebungen so entworfen werden, dass sie nicht nur für eine einzelne Person, sondern für ein ganzes Team funktionieren. Bei „Collaboration through Connectivity“ geht es um räumliche Verknüpfungen, die es MitarbeiterInnen ermöglicht, optimal zusammenzuarbeiten. Räume sollten so kuratiert sein, dass sich Menschen "zufällig" treffen können, um in einen Austausch zu kommen. Ein weiterer Trend nennt sich "Visibility and Transparency" – also der visuelle Austausch zwischen den MitarbeiterInnen, der so gestaltet sein sollte, dass diese optimal zusammenarbeiten können. Dadurch entsteht auch ein Gemeinschaftsgefühl, das nicht zustande kommt, wenn man die ganze Zeit allein in einer Bürozelle sitzt. Der Trend „Companies are embracing Co-working“ greift das Coworking-Konzept als Gegenentwurf zur förmlichen Corporate-Büroarchitektur auf. Hier gibt es viele unterschiedliche Arbeitsformen, die zum Austausch einladen. Hinzu kommen Events und eine informelle Arbeitsumgebung, die eine besondere Aufenthaltsqualität bietet. "The Right to Light" thematisiert die optimale Nutzung des Tageslichts. Damit verknüpft ist ein Blick nach Draußen für jede/n MitarbeiterIn. Das ergibt oft Zielkonflikte, weil das Thema Konnektivität tiefe Grundrisse erfordert, während beim Thema Tageslicht eine Nähe zur Fassade wichtig ist. Im Entwurfsprozess muss man das als ArchitektIn zusammenbringen.
Welche Trends gibt es noch?
Ulrich Blum: Den Trend "Spatial Flexibility", der sich mit der Bedeutung von räumlicher Flexibilität beschäftigt. Es gibt ja immer wieder Veränderungen bei der Arbeit. Man sollte Büroräume deshalb als etwas betrachten, das einer ständigen Evolution unterworfen ist. In diesem Zusammenhang spielen Möbelsysteme, die sich leicht konfigurieren lassen, eine wichtige Rolle. Durch sie können Arbeitsumgebungen flexibel bespielt werden. Allerdings ist diese Flexibilität oftmals theoretischer Natur, weil es in der Realität meistens sehr aufwendig ist, Möbel umzustellen. Mittlerweile ist das Wi-Fi aber so schnell, das wir bald keine Kabel mehr für die Datenübertragung benötigen. Außerdem werden die Akkus in elektronischen Geräten immer besser. Die damit einhergehende Freiheit sollten ArchitektInnen nutzen, um neue flexible Büroräume zu planen. Ein weiterer wichtiger Trend nennt sich "Natural Environments". Das bedeutet, Pflanzen in Arbeitsumgebungen zu integrieren. Hinzu kommen natürliche Materialien wie Holz. Das Büro wird immer wohnlicher.
Können Sie den Entwurfsprozess von Zaha Hadid Architects für diese neuen Arbeitsumgebungen genauer erläutern?
Ulrich Blum: Ein wichtiger Aspekt von in Bürobauten ist die Platzierung des Aufzugskerns, bei dem man als ArchitektIn sehr viel Aufwand betreibt, um festzulegen wo man ihn optimalerweise anordnet. Ist er am besten nahe der Fassade oder in der Mitte der Bürofläche platziert, wie das häufig bei Hochhäusern der Fall ist? Darauf haben wir spezifische Antworten gefunden, die bei jedem Projekt individuelle Lösungen bieten. Bei unseren Forschungen haben wir zudem festgestellt, dass sich horizontal organisierte und großflächige Grundrisse besonders gut für Arbeitsumgebungen eignen. Wir bezeichnen die daraus entwickelte Typologie deshalb als "Groundscraper", weil er ein Gegenentwurf zum Skyscraper ist.
Gibt es ein aktuelles Projekt von Zaha Hadid Architects, das nach diesen Vorgaben entworfen wurde?
Ulrich Blum: Ja, das Infinitus Headquarter im chinesischen Guangzhou. Der Bauherr ist ein großer Pharmahersteller, dessen Vorgabe es war, eine bessere Zusammenarbeit der MitarbeiterInnen durch die Architektur zu ermöglichen. Das vorgegebene Baufeld bestand aus zwei großen Grundstücken, die durch eine breite urbane Schneise getrennt waren. Die jeweiligen Gebäudeteile auf den beiden Seiten sind nun über Brücken miteinander verbunden. Aufgrund der Größe der Grundstücke konnten wir zudem vier Atrien einfügen. Das Ganze ist ein großes räumliches Netzwerk mit einer Vielzahl an flexiblen Verbindungen.
Wie wird diese Flexibilität ermöglicht?
Ulrich Blum: Durch genügend Raum, der sich in alle Richtungen ausbreiten kann. Oftmals ist es ja so, dass eine oder mehrere Abteilungen wachsen, was neue Konfiguration nötig macht. Das ist bei unserem Ansatz problemlos möglich. Wir haben im Infinitus Headquarter im Übrigen nicht nur das Gebäude, sondern auch die konkrete Arbeitsumgebung entworfen.
Sie haben anfangs erwähnt, dass sich Arbeitsumgebungen in einem großen Wandel befinden. Das hängt unter anderem mit dem Generationenwechsel zwischen der sogenannten Boomer-Generation und den Millennials zusammen – also Menschen, die zwischen 1946 bis 1964 und zwischen 1980 bis 1999 geboren wurden. Wie beeinflusst das die Planung von Büroräumen?
Ulrich Blum: Ein Unterschied besteht darin, dass die Verbindung zwischen den MitarbeiterInnen und ihrer Firma häufig nicht mehr so ausgeprägt ist. Früher hat man oft sein ganzes Berufsleben lang für dasselbe Unternehmen gearbeitet. Das hat sich dann insofern gewandelt, als man vier bis fünf Jobs während seines Berufslebens hatte. Mittlerweile findet man Menschen, die eher vier bis fünf Jobs gleichzeitig haben. Das hat zur Folge, dass man die eigene Arbeit nicht mehr mit einer Firma, sondern mit einem Projekt in Verbindung bringt. Als Konsequenz spielt die Corporate Identity des Unternehmens kaum noch eine Rolle für die MitarbeiterInnen. Stattdessen wird die Arbeitsumgebung, die das Unternehmen bereitstellt, immer wichtiger. Die Leute wollen nicht mehr extra ins Büro kommen, wenn sie dort nur einen Schreibtisch in einer Bürozelle vorfinden. Deshalb müssen sich die Arbeitsumgebungen dahingehend verändern, dass sie eine entsprechende Diversität mit vielfältigen Arbeitsformen ermöglicht.
Mittlerweile ist das Homeoffice ein fester Teil der Arbeitswelt. Eine Folge ist, dass der Bedarf an Büroflächen immer weiter sinkt. Wie erleben Sie das?
Ulrich Blum: Ich bin mir da nicht so sicher, gerade wenn ich an das Büro von Zaha Hadid Architects während der Pandemie denke. Damals haben alle MitarbeiterInnen von einem Tag auf den anderen von zu Hause gearbeitet. Das hat sehr gut funktioniert und es kam sogar die Frage auf, ob wir eigentlich noch Büroräume benötigen. Wir haben die Zeit während der Pandemie dann aber so genutzt, dass wir unsere Büros als Treffpunkte neu konzipiert haben. Unseren MitarbeiterInnen steht seitdem offen, ob Sie zu Hause oder im Büro arbeiten wollen – und tatsächlich nehmen einige diese Möglichkeit wahr. Ich sehe aber gleichzeitig, dass das Büro immer noch wichtig ist, gerade wenn man die Teamstrukturen betrachtet. Das Arbeiten im Team funktioniert zwar auch im Homeoffice, gleichzeitig werden die jeweiligen Teams aber isoliert. Ein Grund dafür ist das Fehlen der sozialen Strukturen. Dadurch ist der Austausch mit anderen MitarbeiterInnen im Unternehmen nicht mehr vorhanden. Ein Klassiker in diesem Zusammenhang ist das Gespräch an der Kaffeemaschine. Das ist im Homeoffice nicht möglich. Büroräume müssen deshalb immer mehr zu sozialen Treffpunkten werden.
Oft sind solche informellen Treffen an der Kaffeemaschine wichtig für den kreativen Austausch. Insofern ist es eine interessante Frage, ob dieses kreative Potenzial durch das Homeoffice verloren geht.
Ulrich Blum: Innovation braucht inspirierende Räume und Diversität. Was man aber definitiv nicht mehr benötigt sind Bürozellen, die in Deutschland einen Großteil des Arbeitsraums ausmachen. Die daran anschließenden Korridore dienen dem Brandschutz, weshalb es oft schwierig ist, solche räumlichen Strukturen in offene Bürolandschaften umzuwandeln.
Sie haben eine Professur an der Münster School of Architecture für digitales Entwerfen. Was unterrichten Sie dort genau?
Ulrich Blum: Als Professor für digitale Entwerfen und Konstruieren beschäftige ich mich mit der Digitalisierung im Bauwesen. ArchitektInnen tun sich bei der Annahme von neuen Technologien traditionell ja eher schwer und in Deutschland ist man auch zögerlicher. Ein Beispiel ist BIM (Building Information Modeling), dessen Einführung in Deutschland im Vergleich zu Großbritannien sehr schleppend verläuft. Gleichzeitig passieren gerade viele technischen Entwicklungen, wie etwa im Bereich der künstlichen Intelligenz. Als Professor für digitales Entwerfen muss ich deshalb sehr viele Themen gleichzeitig abdecken. Es sind aber vor allem zwei Schwerpunkte, die sich für mich in der Forschung herauskristallisiert haben: zum einen der 3D-Druck beim Bauen und zum anderen die Evolution des Raums mit Hilfe von Daten. Bei Letzterem lassen sich zum Beispiel Bürogebäude verbessern, indem man die Erfahrungen der NutzerInnen auswertet. Dadurch ist ein architektonischer Dialog mit den MitarbeiterInnen möglich. Ein weiteres Thema ist die Frage, wie sich Technologie einsetzen lässt, um nachhaltiger zu bauen. Das Entwerfen ist ja nach wie vor ein sehr intuitiver Prozess. Allerdings gibt es heute schon längst die Möglichkeit, die klimatischen Parameter in den Entwurf eines Gebäudes einfließen zu lassen. Dadurch lassen sich Baukörper ermitteln, die optimal auf den jeweiligen Kontext reagieren. ArchitektInnen müssen deshalb lernen, viel stärker in Systemen und Netzwerken zu denken, anstatt nur einzelne Objekte zu entwerfen.