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Yves Béhar

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Gegen den Strom

Yves Béhar hat für Laufen mit "Volta" das Waschbecken neu gedacht. Wie er die Dynamik des Wassers in Saphirkeramik übersetzt hat und warum der weltweit erste CO2-freie elektrische Tunnelofen sein Design beeinflusst hat, sagt er uns im Interview.
11.04.2025

Anna Moldenhauer: Sie hatten seitens Laufen freie Hand für das Design, gleichzeitig war es ihr erstes Projekt in der Sanitärkeramik. Wie haben Sie sich dem Thema genähert?

Yves Béhar: Das erste Treffen mit Marc Viardot, dem Corporate Marketing und Design Director der Roca-Gruppe, fand vor zehn Monaten statt, vor acht Monaten sind wir mit dem Projekt gestartet. Es ging also alles ziemlich schnell. Ich habe mir am Standort in Gmunden den weltweit ersten elektrischen, CO2-freien Tunnelofen angesehen und war wirklich beeindruckt von dem Engagement für die Nachhaltigkeit und der Vision, die das Team verwirklicht hat. Und das ist erst der Anfang. Die Aufgabenstellung an mich seitens Laufen war offen: Das Briefing sah den Entwurf eines Produktes vor, das die Idee eines nachhaltigen Badezimmers unterstützen und optimieren sollte. Es gab also viel Raum für eigene Ideen. Risiken einzugehen und über Innovationen nachzudenken, passt gut zu meiner Persönlichkeit. Ich hatte zuvor noch keine Badkeramik gestaltet, aber bin am Genfer See mit dem Wasser aufgewachsen. Als Schwimmer, Windsurfer, Kite-Surfer, Surfer und jetzt auch Big-Wave-Surfer, hat das Wasser einen sehr starken Einfluss auf mein Leben. Das Wasser und das Schwimmen ist die Basis für die Stationen meiner bisherigen Vita: Ich bin nach San Francisco gezogen, weil ich in der Nähe des Ozeans sein sollte. Aus diesem Grund habe ich auch ein Büro in Lissabon. In "traditionellen" Badezimmern läuft das Wasser hingegen aus dem Hahn direkt in den Abfluss. Diese Quelle des Vergnügens, der körperlichen und taktilen Verbindung, diese kostbare Ressource – verschwunden innerhalb von Sekunden. Ich wollte eine Gestaltung finden, die uns hilft, mehr Zeit mit dem Wasser im Badezimmer zu verbringen und parallel einen bewussteren Umgang mit der Ressource fördert.

Der Waschtisch aus Saphirkeramik interpretiert die Bewegung des Wassers durch einen wirbelnden Strudel neu. In dem Zuge wird der Wasserfluss und die Selbstreinigung nachhaltig optimiert. Was hat es gebraucht, um diese Idee umzusetzen?

Yves Béhar: Die Idee, einen Wirbel zu erzeugen und das Wasser um das Waschbecken herum zirkulieren zu lassen, war auch spirituell schön für mich. Wir wollten die Art und Weise simulieren, wie das Wasser in der Natur zirkuliert. Die Software war nicht in der Lage diese Dynamik nachzubilden, daher haben wir eine Reihe von Modellen gebaut und sie im Studio getestet. Der Vorteil der jetzigen Form ist auch, dass man das untere Becken mit weniger Wasser füllen kann als bei einem klassischen Waschbecken dafür notwendig wäre. Die zirkuläre Bewegung des Wassers verhindert zudem, dass sich Schmutz an den Rändern absetzt. Dass Wasser nicht als geraden Strahl, sondern in einer natürlichen Rotation zu erleben, ist zudem im Alltag eine besondere Erfahrung, eine neue Richtung. Sie passt zur Philosophie von Laufen, sich auf Veränderungen einzulassen und Optimierungen engagiert voranzutreiben, auch wenn sie zu Beginn schwierig zu erreichen sind. Daher denke ich, dass unsere Zusammenarbeit gut funktioniert hat.

Die gewünschte Gestaltung wurde auch durch den neuen Tunnelofen ermöglicht, der weltweit der erste ist, der elektrisch mit Hilfe von Solarenergie betrieben wird. Wie hat sich die Technologie auf das Design ausgewirkt?

Yves Béhar: Die neue Technologie hat uns die Möglichkeit gegeben, eine neue Erfahrung in puncto nachhaltiges Design zu schaffen. Das finale Produkt sollte das zum Ausdruck bringen. Es ist unsere Aufgabe als DesignerInnen die führenden Köpfe unserer Branche zu unterstützen, die bereit sind für einen Wandel im Sinne der Ressourcenschonung. Design kann die Etablierung neuer Idee beschleunigen. Das Konzept und die neue Technologie bilden so eine gute Einheit.

Können Sie noch ein wenig mehr den Gestaltungsprozess darlegen, auch hinsichtlich der technologischen Herausforderungen?

Yves Béhar: Der schwierigste Aspekt war das Wasser in der Keramik spiralförmig fließen zu lassen sowie den Oberflächenwinkel zu realisieren. Dank des einzigartigen Verfahrens, das wir zur Herstellung von Keramik verwenden, sind wir in der Lage die Form dünn auszuarbeiten, eine Lippe zu erzeugen, durch die das Wasser ohne Armatur fließen kann und diesem eine Richtung zu geben. Auch das Gießen der Keramik selbst ist recht komplex. Hinzu kam noch die Fragestellung nach einem Unterbau, der ohne großen Siphon auskommt. Die IngenieurInnen von Laufen in Gmunden haben uns dabei geholfen, diese Fragestellungen in der Herstellung zu lösen. Es ist nicht einfach, all diese Elemente zu integrieren. Aber wir hatten eine gute Idee und wenn die Teams bei Laufen von einem neuen Konzept begeistert sind, bei dem es nicht nur um Ästhetik, sondern auch um Inhalte, um Fortschritt geht, dann rücken sie zusammen. Ihre große Freude an Herausforderungen und Experimenten um einen Lösungsweg zu finden, hat mich beeindruckt.

Bei der Recherche habe ich gelesen, dass Sie es als Verantwortung der DesignerInnen sehen, die Zukunft nach Ihren Ideen zu gestalten und nicht nur den Wünschen der Industrie zu folgen. Was war Ihnen bei der Gestaltung für Laufen dahingehend wichtig?

Yves Béhar: Wir als DesignerInnen sind in einer einzigartigen Position, da wir mit einem Fuß in der Industrie stehen und mit dem anderen in der Öffentlichkeit. Wir können eine Brücke gestalten. Viele Menschen gehen davon aus, dass ihre Wünsche an Gestaltung nie gehört werden, dass die Industrie ein Selbstläufer ist, der sich nicht nach den Bedürfnissen der Bevölkerung zu richten braucht. Als DesignerIn können wir die Bedürfnisse nach Poesie, Schönheit, Umweltschutz und Nachhaltigkeit aufgreifen und sie in Branchen verwirklichen, die sonst Risiken scheuen. Zudem können wir mit unserer Arbeit zeigen, dass eine nachhaltige Ausrichtung in der Gestaltung und der Produktion auch für die KundInnen zufriedenstellender ist. Ich glaube nicht an eine Nachhaltigkeit, die Verzicht bedeutet oder es den Verbraucherinnen schwer macht. Unsere Aufgabe ist es die Industrie mit ihnen zu verbinden. Der Erfolg liegt im Wandel, im Risiko. Daran habe ich als Designer immer geglaubt.

Ihr Waschtisch für Laufen ist im Ergebnis unkonventionell, aber hochfunktionell. Was ist für Sie die Basis für den Entwurf?

Yves Béhar: Für mich sind gute Ideen das, was das Design antreibt, nicht die Form. Ich denke, unsere Arbeit basiert nicht auf einer stilistischen Vorstellung von Design. Sie basiert nicht auf einer Signatur. Es geht um gute Ideen und darum, wie wir diese in Form bringen können. Das Gefühl und die Bewegung des Wassers fühlt sich wie eine immaterielle Idee an, und doch weiß ich, dass wir alle eine Verbindung dazu haben. Wir alle lieben es, Wellen zu beobachten, die aneinanderschlagen. Wir lieben es, das Fließen eines Flusses zu beobachten. Das Element ist das Gleiche, auch im Bad. Also warum sollten wir nicht versuchen, seine Dynamik nachzubilden? Es mag naiv klingen, aber für mich ist die Immaterialität der Ideen ausschlaggebend und Teil meiner Gestaltung ist es diese in das Material und in das Endergebnis zu bringen. Ob das funktionieren wird, wissen wir zu Beginn nicht, daher braucht es viele Skizzen und physische Mock-ups für die Tests. Für "Volta" sind wir recht schnell zu einer Lösung gekommen.

Mit einer Idee anzufangen und dann Schritt für Schritt in den Prozess der Verwirklichung zu gehen, klingt nicht naiv.

Yves Béhar: Das stimmt, es braucht allerdings Vorstellungskraft, da wir von der Abstraktion ausgehen. Der Prozess von der Abstraktion zur Realität ist von außen nicht immer einfach zu verstehen. Das braucht Vertrauen, denn über das Ergebnis gibt es keine Gewissheit. Wenn man mit der Ungewissheit umgehen kann, dann kommt man auch an das Ziel. Und selbst wenn das Experiment nicht funktioniert, bedeutet es einen Schritt auf dem Weg. Das anzunehmen ist eine psychologische Übung. Ich habe dahingehend auch viel durch meine Arbeit mit Start-ups gelernt. Ein garantiertes Ergebnis würde bedeuten, dass man nie etwas Neues beginnen würde, dass man nie versuchen würde etwas zu verändern. Man muss also mit der Ungewissheit des Scheiterns oder des Erfolgs leben können.

Auf Deutsch würde man "einen ergebnisoffenen Prozess aushalten" sagen. Das schafft nicht jedes Unternehmen.

Yves Béhar: Gestaltung muss auf jeder Ebene stattfinden. Ich habe sowohl mit Unternehmen gearbeitet, die aus einer Person bestehen, wie mit Konzernen die 3000 DesignerInnen beschäftigen. Veränderungen können an beiden Enden des Spektrums stattfinden, vom dynamischen Start-up bis zu einem großen Unternehmen wie Laufen, die die Mentalität des Wandels angenommen haben. Das ist mein Lebensziel: Innovation zu ermöglichen und zu beschleunigen.

Sie sind in der Schweiz geboren, Ihre Mutter ist Deutsche, ihr Vater stammt aus der Türkei. Seit Ihrem Studium leben Sie in Kalifornien. Sie haben also sowohl den europäischen wie US-amerikanischen Blick auf die Branche und sind geprägt von unterschiedlichen Kulturen – welche Aspekte daraus lassen Sie in ihre Arbeit einfließen?

Yves Béhar: Schweizerisch an mir ist wohl der Drang Probleme zu lösen, zu einem soliden und zuverlässigem Ergebnis zu kommen. Aus den Sommerferien in der Türkei habe ich eine poetische, warme Umarmung in Erinnerung, die mir zum Beispiel Istanbul geschenkt hat. Der Bosporus hat mich schon als Kind fasziniert. Aus den USA und der Bay Area in San Francisco habe ich den Unternehmergeist übernommen, die Risikobereitschaft. Ich habe in den letzten 15 Jahren über 100 Unternehmen mitgegründet, teils als Partner. In der Zeit habe ich gelernt, mich in der unbequemen Phase des Nichtwissens und der Ungewissheit wohlzufühlen. Ich liebe die Schönheit von Kalifornien, die Weite dieses Ortes und das Unternehmertum dort. Seit vier Jahren arbeite ich aber auch in Lissabon und die beiden Kulturen sind völlig unterschiedlich. Auch das ist eine tolle Herausforderung: In Lissabon finde ich den Zugang zum Handwerk aufregend und die Begeisterung der Menschen mit Keramik, Stein, Marmor, Holz und Kork zu arbeiten. All diese Berufe sind sehr lebendig und fortschrittlich. Die HandwerkerInnen haben eine große Expertise und sind bereit zu experimentieren, Grenzen zu überschreiten. Daher ist die Stadt ein wenig wie ein Labor für mich, in der ich mehr über die Materialien lernen und sie weiterentwickeln kann. Ich bin mit meiner vielfältigen Herkunft verbunden und Kultur ist ein zentraler Bestandteil von Design, aber gleichzeitig ist Design auch eine universelle Praxis.

Zeitweise haben Sie auch gelehrt, wie als Leiter des Industrial Design Department am California College of the Arts. Was ist Ihnen wichtig mit Ihrer Arbeit zu vermitteln?

Yves Béhar: Was mich bis heute beeinflusst, sind Aspekte, die ich früh gelernt habe – aus dem Prozess des Bauens und Entwerfens sowie der Philosophie. Ich versuche neue Ideen einzubringen und den jungen Kreativen zu zeigen, dass das, was sie einzigartig macht sie selbst sind. Wir sind umgeben von konventionellen Dingen und das Design ist ein unglaublich erfüllendes Arbeitsfeld, da es den Bruch mit Konventionen ermöglicht, um die Zukunft zu gestalten. Es braucht nur den Wunsch zu beweisen, dass ein anderer Weg möglich ist.

Sie stellen Konventionen in Frage, um eine Optimierung zu erreichen – welche Konventionen sollten wir aktuell in der Designbranche in Frage stellen?

Yves Béhar: Da gibt es viele, wie mit Blick auf die Automobilindustrie. Die Industrie braucht sehr lange um ihre Denkweise sowie die Prozesse zu verändern. Es geht nicht nur darum eine neue Technologie zu integrieren, sondern das Ganze zu verändern, die Organisation an sich. Angesichts des kritischen Zustands der Umwelt und der sozialen Fragen, die wir vor uns haben, ist im Grunde jede Branche, jedes Unternehmen verpflichtet, sich neu zu erfinden, um unsere Welt zu schützen und die Beziehung zwischen Mensch und Natur zu verbessern. Die Rolle der DesignerInnen besteht darin ein Katalysator für Veränderungen zu sein, denn jede Branche bietet Möglichkeiten des Wandels. Das strategische Denken im 21. Jahrhundert muss Nachhaltigkeit, Gestaltung, Fertigung, Logistik und die Erfahrung mit den KundInnen einschließen.

"A new dimension of water" ist bis zum 13. April 2025 im Laufen space Milano, Via Manzoni 23, 20121 Mailand, Italien, zu sehen.