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JUNGE TALENTE
Transparent gestrickt

Xenia Watson studiert Produktdesign an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach. Das Ergebnis ihres Semesterprojekts "Within – A Shadow in Knitwar" ist eine Strickjacke mit integrierten Codes, die in jeder Faser die Würdigung des Materials Wolle thematisiert.
25.08.2023

Anna Moldenhauer: Warum ist die Textilindustrie für dich interessant?

Xenia Watson: Das ist eher zufällig entstanden. Zum einen ist das Thema Nachhaltigkeit ein selbstverständlicher Teil der Entwurfsprozesse an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach, wir diskutieren beispielsweise jeweils die Vor- und Nachteile der gewählten Materialien und welche Alternativen zur Verfügung stehen. Zum anderen hatte ich in der Pandemie mehr Zeit für das Stricken und in dem Zuge konnte ich die große Bandbreite und auch die Qualitätsunterschiede der Garne erkunden. Allein anhand der Haptik ist ein deutlicher Unterschied zu der gestrickten Kleidung spürbar, die in den großen Modeketten verkauft wird. Ein weiterer Punkt ist der Preis: Als ich einen Pullover aus Mohairwolle selbst gestrickt habe, lagen die Materialkosten bei circa 350 Euro, meine Arbeitszeit nicht eingerechnet. Ich war auch über die große Menge erstaunt, die ich brauchte, um das Kleidungsstück herzustellen. In der Fast Fashion wird reichlich Kunststoffgarn verwendet, um den Preis niedrig zu halten. Auch da stellt sich die Frage der Herkunft. Wenn man diese Aspekte realisiert hat, beginnt man über die Details der Prozesse nachzudenken.

Du hast das Projekt "Within – A Shadow in Knitwar" entwickelt, ein Schattengestrick, das mit Codes versehen ist. An diesen lässt sich zum Beispiel nachvollziehen, wieviel Kilometer die Wolle von ihrem Ursprungsort aus zurückgelegt hat. Nach welchen Kriterien hast du die Codes ausgewählt?

Xenia Watson: Mein Projekt ist nur ein Ansatz – der Blick auf das Material lässt sich noch erweitern, beispielsweise mit der Prüfung woher das Metall für den Knopf stammt. Welche weiten Wege die Materialien zurücklegen, bevor sie verarbeitet werden, hat mich schon sehr erstaunt. Selbst Labels, die man unter dem Begriff "nachhaltig" einordnen würde, beziehen die Wolle beispielsweise aus Regionen wie Peru. Die langen Transportwege setzen einen Dämpfer in den Anspruch nach ganzheitlicher Nachhaltigkeit. Mit den Codes wollte ich auch verdeutlichen, was man da eigentlich trägt, denn das Label allein ist nicht wirklich aussagekräftig. Was genau ist Acryl? Was bedeutet "Made in China" oder "Made in Bangladesh"? Der Prozess ist in weiten Strecken anonym. Darüber hinaus wird die Handarbeit bei maßgeschneiderter Kleidung wertgeschätzt, bei Massenproduktion abgewertet. Wir müssen vermehrt ein Gefühl dafür bekommen, welcher Aufwand in einem Kleidungsstück steckt, auch wenn es nur fünf Euro kostet – von der Behandlung des Materials über die Arbeit der NäherInnen bis zur Logistik. Dazu kommt, dass viele der ArbeiterInnen einen Lohn erhalten, der deutlich unter dem Existenzminimum beziehungsweise unter den Lebenshaltungskosten liegt, die für das Land jeweils nötig sind. Sie arbeiten in 14 Stunden Schichten, sechs bis sieben Tage die Woche und haben keine Krankenversicherung. Selbst eine Produktion in Europa ist nicht immer besser, denn auch für diese werden BilliglohnarbeiterInnen aus anderen Ländern geholt. Auch wenn man "Designerkleidung" von Luxusmarken kauft, ist das kein Garant dafür, dass die Menschen die diese Kleidung herstellen menschenwürdig behandelt werden oder sich transparent nachvollziehen lässt wo das Material herkommt. Zudem ist die Textilindustrie insgesamt eine der umweltschädlichsten Industrien weltweit, vor allem die Modeindustrie.

Wie hast du herausgefunden woher das Material stammt, welches du für die Strickjacke verwendet hast?

Xenia Watson: Bei Handarbeitsgarn ist es leichter die Herkunft herauszufinden, da die Mengen kleiner sind und die HerstellerInnen meist ein größeres Interesse haben gute Qualität aus lokaler Produktion anzubieten. Daher steht die Herkunft des Materials oft dabei und auch die Lieferketten sind relativ transparent. Der Schweizer Hersteller Langyarn bietet beispielsweise eine Initiative namens "trace your yarn". Da lässt sich über die Artikelnummer oder den Arikelnamen die Herkunft der Wolle recht genau bestimmen. Davon ab erfährt man auch interessante Details im Gespräch mit den HändlerInnen in den Wollgeschäften, beispielsweise dass das Atelier Zitron eine Kooperation mit einem Familienunternehmen in Tasmanien hat, die mit zurückgezüchteten Merinoschafen arbeiten. Diesen wachsen nicht mehr die Hautfalten, die einst durch die Züchtung entstanden sind, um pro Schaf möglichst viel Wolle zu erhalten. Diese Praxis hat Tierleid zur Folge, denn um einen Madenbefall in den Hautfalten zu vermeiden, werden den Lämmern und Schafen diese meist ohne Betäubung im Bereich des Hinterteils abgeschnitten – der Vorgang wird "Mulesing" genannt.

Xenia Watson

Müsste es deiner Meinung nach von staatlicher Seite eine Verpflichtung geben, dass jede Person die produktbezogenen Daten wie in Form deiner Codes an der Kleidung auslesen kann?

Xenia Watson: Die Codes, die ich eingestrickt habe, sind quasi ein Produktcode. Ich kann mir auch vorstellen, dass diese eine Art stylisches Fashion-Merkmal sein können. Was ich mir beispielsweise von staatlicher Seite wünschen würde und auch im Zuge der Recherche gesucht habe, ist eine allgemeingültige Kategorisierung von Materialien. Große Textilunternehmen beziehen ihr Material von vielen Stellen, so dass es nicht einfach zu erfragen ist, woher die Wolle stammt. Die Informationen hinter den Codes sollten so beinhalten, wie das Material weiterverarbeitet wurde – denn eine Verarbeitung wie "SuperWash" verändert den Ursprungszustand, so dass die Wollte anschließend unter Umständen nicht mehr biologisch abbaubar ist. Die KundInnen, denen nicht egal ist was sie kaufen, können so nachvollziehen, was in dem Kleidungsstück jeweils steckt. Die fehlende Transparenz, die wir bisher in der Textilindustrie haben ist einfach nicht mehr zeitgemäß.

Könnte es Unternehmen deiner Meinung nach motivieren mit positivem Beispiel voranzugehen, wenn KonsumentInnen diese Transparenz verstärkt einfordern?

Xenia Watson: Ich sehe keinen Grund, warum sich ein Unternehmen einer großen Nachfrage verweigern würde. Die Modeindustrie beispielsweise müsste aktuell auch nicht angeben, dass ein Kleidungsstück in Bangladesch hergestellt wird, es ist trotzdem gang und gäbe und die meisten KundInnen wissen, was das hinsichtlich der Bedingungen der Herstellung bedeutet.

Worum geht es deiner Meinung nach darüber hinaus?

Xenia Watson: Es geht auch um die Wertschätzung. Es ist nicht schlimm ein Produkt zu besitzen, das zweimal um die Welt gereist ist. Aber wenn man ein Kleidungsstück kauft, das 30.000 Kilometer hinter sich hat, sollte man sich dessen bewusst sein. Das gilt nicht nur für Wolle, sondern auch für Acryl und andere Materialien. Denn selbst wenn diese günstiger sind, bedeutet es nicht, dass man diese bedenkenlos wegwerfen kann. Gerade in Zeiten von Ressourcenknappheit ist jedes Material super wertvoll.

"Within – A Shadow in Knitwar" ist ein Semesterprojekt. Was sind deine nächsten Schritte?

Xenia Watson: Das Thema Textilien interessiert mich sehr, allein hinsichtlich der vielfältigen Möglichkeiten der Verarbeitung. Die Entwicklung der Textilindustrie zu mehr Transparenz ist mir ein Anliegen. Heutzutage müssen die Verantwortlichen auch damit rechnen, Nachfragen seitens der KonsumentInnen hinsichtlich der Produktion zu erhalten. Es sollte zum Selbstverständnis der HerstellerInnen dazugehören diese Antworten geben zu können, bevor Tier- und Umweltschutz-Organisationen wie PETA oder Greenpeace aufmerksam werden. Gerade im Rahmen meiner Recherche zum Thema Wolle haben mich viele Wege zu diesen geführt. Ich finde Verschwiegenheit ist an dieser Stelle nicht zu verantworten. Die KundInnen müssen über die Herkunft der Kleidung informiert werden. Manchmal reicht auch schon ein Blick auf den Preis um stutzig zu werden: Wenn man weiß, was ein Knäuel Cashmerewolle kostet, kann ein Cardigan aus diesem Material nicht unter 200 Euro kosten, ohne dass Menschen, Tiere und die Umwelt während der Herstellung leiden mussten.

WITHIN | A Shadow in Knitwear