Freiraum gestalten
Anna Moldenhauer: Gemeinsam mit dem Architekturbüro Topotek 1 Architektur GmbH aus Zürich hat Ihr Büro den Siegerentwurf für den neuen Campus der Hochschule für Gestaltung Offenbach vorgelegt. Herzlichen Glückwunsch dazu!
Xaveer De Geyter: Danke schön.
Anna Moldenhauer: Die Beratungen über einen "inneren und äußeren" Neubau der HfG, der quasi einer Neugründung gleichkommt, laufen seit 2011. Was hat sich für Sie herauskristallisiert, wie man dieser in der Architektur begegnen kann?
Xaveer De Geyter: Als Wettbewerbsteilnehmer waren wir an diesem langen Verfahren nicht beteiligt. Das Ergebnis des Prozesses ist verdichtet in einem neuen Standort, einem detaillierten Programm und einem Budget, die zusammen die Aufgabenstellung des Wettbewerbs bilden. Uns wurde klar, dass das bestehende Gebäudekonglomerat nicht zukunftsfähig ist, da die HfG expandiert und ihr dafür nicht genügend Flächen zur Verfügung stehen. Außerdem wurde ein zentraler Campus gefordert, der die Hochschule als Ganzes zusammenführt. Die Idee, die in der Aufgabenstellung für diese Entwicklung zum Ausdruck kommt, konzentriert sich auf zwei wesentliche Punkte: Der neue Standort im Frankfurter Hafengebiet und die von der Universität geforderte Flexibilität. In Bezug auf Letztere haben wir uns ein Areal vorgestellt, das an unterschiedliche Bedürfnisse angepasst werden kann. Die HfG wird wie eine kleine Stadt gebaut, die sich um einen grünen Campus gruppiert, wobei die Freiflächen als Bindeglied zwischen den verschiedenen Elementen des Geländes fungieren.
Die neue HfG ist, wie Sie sagen, als "kleine Stadt um einen grünen Campus" konzipiert. Für diesen Aspekt haben Sie mit Topotek 1 für die Architektur und Landschaftsgestaltung zusammengearbeitet – was war Ihnen beiden bei der Umsetzung wichtig?
Xaveer De Geyter: Wir arbeiten seit vielen Jahren mit Topotek zusammen – Dan Budik, einer der geschäftsführenden Gesellschafter, war vor langer Zeit selbst Teil unseres Teams und auch darüber hinaus haben wir immer wieder bei Projekten zusammengearbeitet. Obwohl sie vor allem für ihre Landschaftsarchitektur bekannt sind, umfasst ihr Portfolio ebenso andere Bereiche der Architektur – so haben sie bei unserem gemeinsamen Projekt für die HfG einen Teil der rein architektonischen Arbeit übernommen. Die Idee für ein zweiteiliges Gebäude ist während unseres Brainstormings entstanden, es war ein fortlaufender Prozess. In diesem Zusammenhang hatten wir Topotek konkrete Fragen zur Landschaftsarchitektur gestellt, denn wir wollten einen grünen Garten, der sowohl zum Arbeiten und Entspannen wie auch als klassische Grünfläche dient. Die wesentliche Frage war, wie man den scheinbaren Widerspruch zwischen der Forderung nach Einheit und dem Umstand lösen kann, dass dieses Gelände durch die städtebauliche Vorgabe einer Sichtachse in der Verlängerung einer innerstädtischen Straße zum Hafen hin in zwei Abschnitte geteilt ist. Dies führt automatisch zu mindestens zwei Baukörpern. Wir haben eine Taktik angewandt, die wir schon bei anderen Projekten erfolgreich eingesetzt haben: Den Akzent auf das Nicht-Gebaute zu legen, in diesem Fall auf einen zentralen, starken und linearen Garten, der die beiden Teile wieder zusammenführt. Da wir seit langem mit Topotek zusammenarbeiten, brauchten wir nicht viele Worte, um diesem Kernelement des Projekts eine Form zu geben. Es wird ein starkes Volumen aus grüner Masse sein, aber auch eine Außenfläche, die sich leicht an die verschiedenen Bedürfnisse der Schule anpassen lässt. Die genaue Definition dessen, was öffentlich und was privat ist, und wie sich diese Grenze im Laufe der Zeit verändern kann, werden wir gemeinsam mit den NutzerInnen ausarbeiten.
Nutzungsvielfalt und Mehrfachnutzungen sind also geplant, einfach bespielbare und bearbeitbare Flächen im Innen- wie Außenbereich, von der Fassade bis zum Boden. Wie realisieren Sie diese Flexibilität?
Xaveer De Geyter: Was das Schulgebäude verbindet, ist der zentrale Garten und ein großer Galerieraum, der sowohl als Verkehrsraum wie als Arbeits- und Ausstellungsraum dient. Im Nordflügel grenzt die Galerie an den Garten, während sie im Südflügel der Straße zugewandt ist und so zu einem Schaufenster der Schule wird. Durch diese wird es möglich sein, den unteren Teil des Gebäudes zum Innenhof hin zu öffnen, so dass die Werkstätten und Ateliers zu dynamischen Räumen werden können. Obwohl das Gebäude eine feste Struktur hat, wird es Trennwände geben, die verändert werden können, aber auch bewegliche Elemente wie Schiebewände innerhalb des Gebäudes. Die genauen Details für diese Flexibilität werden sich in unseren zukünftigen Gesprächen mit dem NutzerInnen herauskristallisieren, wobei der Wettbewerbsbeitrag immer als Grundlage dient. Im größeren Maßstab integriert unser Hofkonzept eine Zone für zukünftige Erweiterungen der Schule.
Alle Disziplinen werden an einem Ort gebündelt, es gibt Lernräume wie Ateliers und Werkstätten. Jede kreative Disziplin, die in der HfG gelehrt wird, hat allerdings andere Bedürfnisse für die Gestaltung und Akustik der Arbeitsumgebung – wie schaffen Sie diesen Spagat?
Xaveer De Geyter: Gutes Argument. Bis jetzt haben wir nur einen Wettbewerbsbeitrag mit einer allgemeinen Organisation. Das Konzept ist eine offene Struktur mit einem großen Potential, spezifisch zu werden. Das ist es, was ich an Wettbewerben mag: Auf der Grundlage eines Briefings werden wir aufgefordert, ein starkes Konzept zu entwickeln, ohne von zu vielen praktischen und spezifischen Überlegungen behindert zu werden. In der nächsten Phase können wir in einem stetigen Dialog und auf der Grundlage des gewählten Konzepts alle Feinheiten in Bezug auf Akustik, Tageslicht, Wärmeaustausch, Isolierung et cetera ausarbeiten.
Auch studentisches Wohnen mit 90 Wohneinheiten ist in den Entwurf miteinbezogen, ein günstiger Wohnraum der sich am Bafög-Bedarfsatz von 360 Euro orientiert – wie wird dieser aussehen?
Xaveer De Geyter: Das Programm ist vielfältig: Es umfasst sowohl Einzelwohnungen als auch Wohngemeinschaften; einige der Einheiten werden behindertengerecht sein, und ein Großteil der Gemeinschaftsräume wird integriert sein. In unserem Konzept ist der Wohnbereich in die Schule eingebunden. Er ist ein Segment innerhalb der Gesamtanlage der verschiedenen Cluster, die mit demselben Galerieraum verbunden sind. Wir sind der Meinung, dass es für die Lebendigkeit des Campus von Vorteil ist, sie zu verbinden. Wir sind uns jedoch darüber im Klaren, dass das Studentenwohnheim von einem anderen Auftraggeber abhängt und dass dieser eine gewisse Unabhängigkeit von der Schule anstrebt. Auch hier werden wir die Fragen im kommenden Dialog klären.
140 Millionen Euro Landesmittel stehen für den Hochschulbau zur Verfügung – inwiefern können in diesem Rahmen die Punkte Nachhaltigkeit und Energieeffizienz erfüllt werden?
Xaveer De Geyter: Dieses Projekt wird unsere erste Realisierung in Deutschland sein. Das bedeutet, dass wir noch nicht mit den Baubudgets und den "lokalen" Nachhaltigkeitsstandards vertraut sind. Wir haben vor kurzem Projekte realisiert, bei denen eine Energieeffizienz von 85 Prozent im Vergleich zu den früheren Räumlichkeiten des Auftraggebers erreicht wurde. In dem Wettbewerbsprojekt haben wir eine Reihe möglicher Maßnahmen vorgeschlagen, die in der nächsten Phase ausgearbeitet werden müssen. Zum Beispiel wird die Galerie als klimatischer Pufferraum für die Werkstätten genutzt, was eine unterschiedliche Nutzung im Sommer und im Winter impliziert. Was das Thema Wiederverwendung und Kreislaufwirtschaft betrifft, werden wir eine Studie über die Ausstattung der aktuellen Schulgebäude erstellen, die möglicherweise wieder integriert werden können.
Warum haben Sie sich für eine niedrige Höhe der Gebäude entschieden, anstatt weitere Stockwerke aufzusetzen?
Xaveer De Geyter: Für den Standort gibt es eine Höhenbegrenzung. Da der zentrale Garten lang und schmal ist, ist außerdem das Verhältnis zwischen der Höhe des Gebäudes und der Breite des Gartens entscheidend. Wir wollen, dass er eine angenehme Atmosphäre mit genügend Licht und Sonne hat.
Welche architektonischen Ansprüche sollte eine Kunsthochschule des 21. Jahrhunderts generell erfüllen?
Xaveer De Geyter: Meiner Meinung nach unterscheidet sich eine Kunsthochschule deutlich von jedem anderen Universitätsgebäude. Natürlich ist der Theorieunterricht vergleichbar und eine Kunsthochschule braucht heutzutage auch reinraumähnliche Bedingungen. Aber die Vielfalt der kreativen Disziplinen bringt unterschiedliche Produktionsmittel mit sich und verlangt ebenso nach traditionellen Werkstätten wie industrieähnlichen Produktionshallen und Ausstellungsräumen. Es geht darum, die Möglichkeit des Austauschs und der Begegnung zwischen den Disziplinen zu fördern.