Ludwig Erhard war hellauf begeistert vom neuen Bonner Kanzlerbungalow mit seinen versenk- und verschiebbaren Wänden, seinem fließenden Raum, dem Herman Miller-Mobiliar und seiner bescheidenen und doch transparent-weltoffenen Ausstrahlung, die für ein verändertes Deutschland stehen sollte. Doch kaum einer seiner Nachfolger konnte seine Begeisterung teilen: Zu karg, zu ungemütlich, zu wenig repräsentativ schien ihnen der 1963/64 errichtete Bungalow, den der Münchner Architekt Sep Ruf als Wohn- und Empfangsgebäude des Bundeskanzlers entworfen hatte. Sowohl Kurt Georg Kiesinger als auch Willy Brandt weigerten sich ohne Umbauten einziehen. Rufs schlichte und offene Architektur eckte an in einem Land, das zwar auf der Suche nach einer neuen Identität war, dabei aber doch lieber am Gemütlichen, Repräsentativen und Lieblichen festhielt: „Moderne Architektur" war in weiten Teilen der Sechzigerjahre-Gesellschaft eher Ausdruck der Verachtung als der Wertschätzung. Dabei wollte Sep Ruf (1908-1982) eine zeitgemäße und eigenständige Architektur schaffen, die nicht im Kontrast zu Tradition und Historie steht, sondern einen Dialog mit ihnen eingehen sollte. Schon die Münchner Maxburg, Rufs 1952 entworfener Bau an der Stelle eines im Krieg zerstörten Renaissanceschlosses, zitiert dessen Innenhöfe und greift die Fassadengliederung eines erhaltenen Turms auf, wird jedoch gleichzeitig zu einem offenen Raum für die Bürger. Mit der Verknüpfung von historischer Bausubstanz und einer fein darauf abgestimmten zeitgenössischen Architektur galt die Neue Maxburg schon Nikolaus Pevsner als Musterbeispiel dafür „wie gut ein moderner Bau mit einem bedeutenden Baudenkmal der Vergangenheit harmonieren kann." Aber bereits dieser Bau Rufs war heftiger öffentlicher Kritik ausgesetzt. Die Ressentiments gegenüber dem Neuen und das von den Plattenbausünden und Wohnsilos bestätigte Klischeebild einer emotionslosen und kalten Moderne ließen die Qualitäten der Nachkriegsmoderne über Jahrzehnte fast vollständig in Vergessenheit geraten. Erst im Kielwasser der Retro-Trends werden sie auch von der Öffentlichkeit langsam wiederentdeckt. Doch obwohl Sep Ruf mit Bauten wie der Akademie der Künste und dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg oder dem deutschen Pavillon auf der Brüsseler Weltausstellung (1958 zusammen mit Egon Eiermann) zweifellos zu den bedeutendsten deutschen Architekten der Nachkriegsmoderne zählt und mit vielen Entwürfen für Aufregung in Bonn, München oder am Tegernsee sorgte, ist er außerhalb der Fachwelt heute kaum mehr bekannt. Und so sind auch einige bedeutende Gebäude Rufs erst in den letzten Jahren unter Denkmalschutz gestellt worden. Zu Sep Rufs hundertstem Geburtstag würdigte deshalb eine Ausstellung des Architekturmuseums der TU München in der Pinakothek der Moderne erstmals umfassend sein Werk. Dazu erschien auch die Publikation „Sep Ruf 1908-1982. Moderne mit Tradition". Neben einigen persönlichen Erinnerungen von Zeitgenossen und einem umfassenden Werkkatalog, der erstmals Rufs Nachlass auswertet, werden darin eine große Zahl seiner wichtigsten Entwürfe mit hervorragend ausgewählten Originalfotos und einigen aktuellen Aufnahmen vorgestellt. Sie lassen die fein austarierten Proportionen und Details seiner Gebäude, ihre materialreduzierte Einfachheit und Transparenz oder ihre einfühlsame Verknüpfung mit historischer Bausubstanz erlebbar werden. Es ist ein bildschöner, fast schon opulenter Band, der selbst eingefleischten Moderne-Skeptikern eine beeindruckend einfühlsame, leichte und elegante Architektur der Moderne aufzeigt und ihre Qualitäten wieder anschaulich macht. Und der einen dazu bringt, Sep Rufs zahlreiche Bauten, etwa in München, wie seit ein paar Jahrzehnten im Stadtraum versteckte und nur leicht angestaubte Juwelen der Moderne neu entdecken zu wollen. Sep Ruf 1908-1982. Moderne mit Tradition
Herausgegeben von Wilfried Nerdinger in Zusammenarbeit mit Irene Meissner, Architekturmuseum der TU München, Prestel Verlag München, 2008, 208 Seiten mit 300 Farbabbildungen, EUR 49.95
Wohnen wie die Kanzlers
von Markus Frenzl | 29.12.2008
All photos © Dimitrios Tsatsas, Stylepark
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