Verschwiegene Orte, ja kleine Paradiese der Stille jenseits des Touristentrubels kann entdecken, wer sich abseits der beiden großen Ausstellungsareale der Architekturbiennale, den Arsenalen und den Giardini bewegt. Belohnt wird er nicht nur mit wunderbaren Palazzi oder Innenhöfen hinter den so oft verschlossenen hohen Mauern Venedigs, sondern auch mit den Architekturbeiträgen kleinerer Länder, die immer wieder zu überraschen wissen. Viele dieser Länden gaben bewusst dem Kontakt mit der Stadt den Vorzug gegenüber dem abgeschlossenen Ausstellungsbetrieb, andere suchten sich aus finanziellen Gründen einen günstigen Ort außerhalb der Biennale. Wer sich zu den Pavillons von Ländern wie etwa Portugal, Zypern, Luxemburg, Slowenien oder Singapur begibt, muss nur etwas Energie mitbringen und bereit sein auf das Abenteuer verwinkelter Gassen und mancher Irrwege.
Vier Häuser, vier Filme
Als ein Ausgangspunkt zu den interessantesten Beiträgen außerhalb der Biennalegelände bietet sich die Gallerie dell'Accademia an. Westlich von ihr, im Ca'Foscari am Canal Grande, befindet sich der Ausstellungsort Portugals, das unter dem Titel „No place like - 4 houses 4 films" ungewöhnliche Annnäherungen an das Thema Wohnhaus wagt. Vier ganz unterschiedliche Häuser am Meer, in der Ebene, an einer Bahnlinie oder in der Innenstadt Lissabons werden dort ganz klassisch mit Plänen und zauberhaften Modellen, aber auch mit höchst individuellen Kurzfilmen junger Filmemacher präsentiert. Als soziales und politisches Dokument findet dort die Siedlung in Bouça des Altmeisters Alvaro Siza eine filmische Darstellung, die den Wandel Portugals von der Diktatur zur Demokratie anhand eines Bauprojektes thematisiert. Während des Baus des ersten Bauabschnitts sprengten Rechtsradikale das Auto des Architekten in die Luft. Ganz anders sind die Kurzfilme Juliao Sarmentos oder Joao Onofres, die, offenbar inspiriert von den frühen Filmen Peter Greenaways, auf Verfremdungen oder Analogien setzen. Da schwebt dann etwa eine Yacht über den Häusern Lissabons in den Swimmingpool der Patio-Häuser von Ricardo Bak Gordon. Oder es werden die räumlichen und physischen Qualitäten einer zeitgenössischen Villa in der Landschaft anhand geschickt gewählter Ausschnitte weiblicher Körper überraschend treffend visualisiert. Portugal, dessen Palazzo sich ganz nebenbei auch als ein schöner Ort zur Erholung erweist, ist es damit gelungen, neue Wege der Architekturvermittlung auf höchstem Niveau zu beschreiten.
Last und Schwere überwinden
Auf der anderen Seite des Canal Grande, nordwestlich der Accademia, findet man die Pavillons Luxemburgs, Sloweniens, des Iran und Zyperns relativ nahe beieinander - am Besten über die Accademia-Brücke gleich die erste kleine Brücke links wählen, dann weisen grüne Punkte auf dem Boden den Weg zu Slowenien und große weiße Körper zu Luxemburg. Auf dem Weg dorthin stößt man auf eine der vielen Überraschungen, die Venedig bieten kann, eine kleine, feine Fotoausstellung zum Werk des wohl größten italienischen Ingenieurs der Nachkriegszeit, Luigi Nervi, die im Palazzo Giustinian Lolin gezeigt wird. Der Überwindung von Last und Schwere, den physischen und geistigen Räumen des Konstrukteurs, ist auch der etwas versteckt gelegene Luxemburger Biennale-Beitrag an einer kleinen Piazzetta gewidmet, doch auf ganz andere Art und in Form einer Enfilade zauberhafter Installationen. Unter dem Titel „Rock-Paper-Scissors" lassen hier vier junge Architekten Zuckerstücke über Kaffeetassen schweben oder laden dazu ein, das private Arbeitszimmer eines Architekten in Besitz zu nehmen. Hier taucht man ab und möchte einfach nur verweilen.
Akustisch über Waldboden schreiten
Akustische und visuelle Vergnügen bietet der nicht weit entfernt liegende slowenische Pavillon in der Architekturgalerie A+A, der dem Werk der Landschaftsarchitektin Ana Kucan gewidmet ist. „All Shades of Green" zeigt nicht nur illuminierte Zeichnungen und Modelle zeitgenössischer Landschaftsgestaltung, sondern versucht auch, die immaterielle Ebene von Natur und Freiraum erfahrbar zu machen. Verschiedene „Soundscapes" wie Wald, Stadt oder Fluss können hier interaktiv entdeckt werden, sodass der Besucher urplötzlich inmitten der dichten Stadt über Waldboden zu schreiten glaubt. Durchaus engagiert, aber leider zu plakativ, wirken die benachbarten Beiträge Zyperns und Irans, die allein auf allzu bunte Bilder setzen, wenngleich die präsentierten alten persischen Gartenanlagen von überwältigender Schönheit sind.
Auf dem Rückweg sollte man am Campo Santo Stefano eine Pause einlegen, wo die Pariser „École Nationale Supérieure des Arts Décoratifs" ein aktuelles und sehr vergnügliches Spektrum ihrer Disziplinen präsentiert, wo Kurzfilme oder eine Modeschau der jüngsten Pariser Modedesigner viel über Raum und Körper erfahren lassen, jedenfalls mehr als die etwas zu langatmig geratenen Videoreden französischer Stararchitekten. Aber vielleicht zieht es den einen oder anderen hier auch zur kaum weniger interessanten Ausstellung des fotografischen Werkes von Stanley Kubrik vis-à-vis des Palazzo Loredan.
Aquila oder Die Fragilität der gebauten Umwelt
Wer in der Nähe des Markusplatzes untergekommen ist und zu Fuß zur Biennale wandern möchte, kann entlang der Quais drei weitere sehr interessante Ausstellungen besuchen: Im Palazzo Ducale die Fotoausstellung „SISMYCITY" zu den Folgen des Erdbebens in mittelitalienischen Aquila, das fast schon wieder aus unserem Bewusstsein verschwunden ist, aber die ganze Fragilität unserer gebauten Umwelt eindringlich vor Augen führt. Wer von diesen Bilder erschöpft ist, findet einen Ruhepunkt in den Räumen Taiwans. In dem nahen früheren Gefängnis der Republik Venedig ist eine etwas bizarre Lounge der Entschleunigung eingezogen, die ganz nebenbei über den räumlichen Alltag Taiwans, seine urbane Dichte und die Ortlosigkeit seiner Verkehrswege zu informieren sucht.
Überall ist Singapur
Weit informativer erscheint der Beitrag Singapurs zur Biennale in einer Seitengasse der Quais, in einem versteckten kleinen Garten hinter der Chiesa Santa Maria della Pietà. Wie eine Brücke hat man hier einen höchst attraktiven Tunnel durch Garten und Haus gelegt, der dazu einlädt, in den Alltag und die Zukunft Singapurs einzutauchen. Einmal mehr geht es um das Thema der Dichte asiatischer Städte, um ihren Wandel von flachen Hofhäusern hin zu immer höheren Büro- und Wohnhauskomplexen, die eine Vielzahl weiterer Funktionen aufnehmen. Viele Grafiken, Haustypologien und Modelle bieten die Ausstellungsmacher dazu auf, die zugleich aber auch die multi-ethnischen Bewohner Singapurs und ihre Lebensfelder zum Ausdruck zu bringen verstehen. Stolz, doch auch kritisch reüssieren sie den Erfolg ihres Landes. Frech und ironisch stellen sie an den Beginn ihrer Ausstellung die These, dass das kleine Singapur bei fortschreitender Verdichtung die ganze Erdbevölkerung aufnehmen könnte, was Ressourcen sparen könnte. Eine These, die nicht wirklich ernst gemeint ist, aber viel über das wachsende Selbstbewusstsein der asiatischen „Tigerstaaten" aussagt.
Ein Kulturviertel für Hongkong
Unvergleichlich konventioneller ist dieses Mal Hongkongs Ausstellungsbeitrag gegenüber dem Haupteingang zu den Arsenalen geraten. Dokumentiert wird ein aktueller Wettbewerb zur Erweiterung Hongkongs um ein neues Kulturviertel, zu dem die Stars der internationalen Architekturszene eingeladen waren. Daneben gibt es noch eine Installation zum Thema „Dichte und Freiräume" in dem ehemals britischen Stadtstaat. Von größerem Interesse als die Ausstellung ist hier die Diskussionsreihe, in der man sich über die Lebensverhältnisse und die Nachhaltigkeit der eigenen Stadt sowie ihrer noch ländlichen Areale austauschen will, und in der für asiatisches Verhältnisse erstaunlich offen und kontrovers diskutiert wird.
Mestre bekommt ein Museum
Wer noch mehr über die Stadt hinter den Kulissen und Installationen erfahren will, der kann einen Nachmittag opfern und nach Mestre, dem industriellen Alter Ego Venedigs fahren, um die Lebenswelt der Venezianer kennenzulernen, die heute in ihrer Mehrheit dort und nicht in der alten Stadt wohnen. Ein neues Museum des 20. Jahrhunderts soll in Mestre entstehen, für das kurz vor Beginn der Biennale das deutsch-englische Architektenpaar Sauerbruch-Hutton den Architekturwettbewerb gewonnen hat, der nun während der Biennale in einer Ausstellung gezeigt wird.
„People meet in Architecture", das Thema der Biennale kann hier wie in vielen der externen Ausstellungspavillons unmittelbarer erfahren werden als das in den Giardini der Fall ist. Um- und Irrwege, die dennoch zu einem Ziel führen, lassen sich nun einmal in der Stadt besonders gut erfahren.
In unserer Serie zur Architekturbiennale sind bislang erschienen:
› Oliver Elser über die zentrale Ausstellung der Biennale-Leiterin Kazuyo Sejima
› Dirk Meyhöfer über „Sehnsucht" im deutschen Pavillon
› Sandra Hofmeister über urbane Freiräume und Leerstand in den Pavillons von Frankreich und den Niederlanden
› Annette Tietenberg über den britischen Pavillon, in den eine Schule des Sehens Einzug gehalten hat
› Carsten Krohn über das Ende der "signature architecture" und den Beginn einer Atmosphärenproduktion
› Dirk Meyhöfer über die Gefühlslagen auf dem Weg zur Reanimierung der russischen Industriestadt Vyshny Volochok