Alle zwei Jahre reiht sich die BAU in München ein in das Messegeschehen am Jahresanfang. Und während auf der Domotex und auf der imm cologne so etwas wie die „Software“ für Gebäude zu finden ist, bietet die BAU die entsprechende Hardware. Das spiegelt sich auch in dem Publikum wider, das sich in den vergangenen Tagen durch die 17 Hallen geschoben hat, wobei die Messe mit mehr als 250.000 Besuchern einen Rekord vermelden konnte. Dabei ist die BAU weitestgehend frei von Sekt und Canapés. Stattdessen gibt es Weißbier und Weißwurst – und Herren in grauen Anzügen führen über die in Sachen Design leider oftmals wenig inspirierten Messestände. Wie auch immer, der gebaute Pragmatismus war bei den insgesamt 2015 Ausstellern allgegenwärtig und „Die Zukunft des Bauens“, wie der Untertitel der Messe lautete, konnte man höchstens erahnen. Überraschende Neuheiten waren eher selten zu finden, dafür gab es zahlreiche Optimierungen bestehender Produkte. Tendenzen für die Baubranche lassen sich dennoch ablesen.
Erstens: Materialalchemie
Hat tolle Eigenschaften und sieht aus wie ...
Dank digitaler Fräs-, Druck- und Prägetechnologien ist nun wirklich (fast) alles möglich: Materialen können Formen und Farben annehmen, die ihnen eigentlich nicht eigen sind. Wie beispielsweise bei Alucobond von 3A Composites, das auf der Messe nun auch in verschiedenen Holzaufdrucken präsentiert wurde. Die Maserung war sogar zu spüren, doch „echt“ wirkte der Druck nur von weitem. „Dekton“, das neue Material von Cosentino, besitzt multiresistente Eigenschaften: Es ist praktisch unzerstörbar, hitze-, nässe- und kälteresistent – und damit bestens für den Innenausbau, als Boden oder Fassadenelement, geeignet. „Dekton“ besteht aus einer Kombination von Rohstoffen, die zur Herstellung von Glas, Keramik oder Quarzflächen verwendetet werden und mittels TSP (Technology of sinterized particles) derart hoch verdichtet werden, dass ihnen praktisch nichts mehr etwas anhaben kann – womit der Werkstoff zu einer Art Allzweckwaffe für Gestalter avanciert, allerdings ohne eine materialtypische Eigenästhetik. Dafür kann es die Gestalt von Sandstein, Marmor oder tiefschwarzem Holz annehmen. Die Illusion ist nahezu perfekt.
So oder ähnlich verhält es sich derzeit ganz generell mit Materialentwicklung und Materialverarbeitung, wie sie auf der BAU gezeigt wurden. Bei aller Bewunderung erinnert einen das irgendwie an Tofu. Auch Tofu ist ein prima Nahrungsmittel und so flexibel, dass man ihm den Geschmack und die Textur von Fleisch oder Wurst hinzufügen kann. Das kann gut schmecken, ist aber vor allem für die Lebensmittelindustrie ein Vorteil: Sie kann uns jetzt recht günstig eine Illusion auf die Zunge zaubern. Und auch die Fingerknöchel der Architekten werden wieder verstärkt an Hauswände klopfen, um am Klang herauszufinden, was sich hinter der Holz-, Metall- und Steintextur versteckt. Schlauer ist man hinterher aber nicht unbedingt.
Zweitens: Immer wie neu
Zeitlosigkeit falsch verstanden
An Gebäuden, Produkten und auch an uns selbst nagt der Zahn der Zeit. So ist das nun mal. Doch akzeptieren wollen wir das weder bei uns selbst noch bei unseren Häusern. Fassaden müssen auch noch in 30 Jahren aussehen, als seien sie eben erst fertig geworden. Weswegen sie allerlei hochtechnischen Überzug erhalten, um Schmutz und Verwitterung keine Chance zu lassen. Auch der neue Parkettboden soll über Jahrzehnte möglichst frei von Spuren bleiben. So stellte beispielsweise Bauwerk Parkett die Weltneuheit „B-Protect“ vor, eine Oberfläche, die sämtliche Vorteile einer klassischen Versiegelung bietet, aber sich nicht vom naturbelassenem, unbehandeltem Holz unterscheiden lässt. Holzböden mit B-Protect-Oberfläche brauchen keine besondere Pflege, sind unempfindlich gegen Flecken und optimal geschützt gegen Kratzer, so der Hersteller. Auch die Fassadenplatte „Meteon“ von Trespa kommt in „Metallic“-Textur – und wird niemals Patina ansetzen.
Das mag alles wunderbar praktisch sein, könnte sich auf Dauer aber auch als recht langweilig erweisen. Bauherren und Architekten übergeben die Verantwortung für das Erscheinungsbild eines Hauses an die Hersteller der jeweiligen Materialien, denn pflegen wollen wir es nicht mehr. Die richtige Antwort der Hersteller auf unseren Drang zur Bindungslosigkeit und „ewigen Schönheit“ wäre es womöglich, eine geplante Obsoleszenz in ihre Produkte einzubauen, womit Architektur ein Verfallsdatum bekäme. Ist die angegebene Haltbarkeitsdauer der verwendeten Materialien abgelaufen, wird abgerissen und neu gebaut. Dass das mit den hehren Ansprüchen an Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung im Widerspruch steht, ist klar. Aber kümmert uns das? Wir nutzen lieber, statt zu besitzen; Service ist alles, Hauptsache nichts macht mehr Arbeit und wenn’s alt aussehen soll, dann kaufen wir eben – neue –„Vintage“-Produkte.
Foto © Robert Volhard, Stylepark
Drittens: Architekten als Stylisten
Das Rundum-Sorglos-Paket
In der Baubranche wird bekanntlich hart um jeden Auftrag gekämpft. Hersteller sind zum einen gezwungen, preisgünstige Produkte anzubieten, und zum anderen möglichst wenig Risiken einzugehen. Hinzu kommt noch der Fakt, dass heute selten ein privater Bauherr hinter einem Neubau steckt, sondern in der Regel ein Immobilienentwickler, den es nicht immer um Kontext und Architektur, dafür aber um Rendite geht. Zusammengefasst könnte man sagen: ∑fi=0i . Also im übertragenen Sinne: Die resultierende Architektur aller äußeren Kräfte ist gleich Null-Innovativ. Klingt nicht eben beruhigend. Um Architekten dennoch wieder einen Gestaltungspielraum in der risiko- und kostenscheuen Baubranche zu eröffnen, entwickeln Hersteller geschlossene Systeme verbunden mit einem Rundum-Sorglos-Paket. Beispielsweise die „Iconic Skin SCF“ von Seele, eine integrative Glasfassade, die im Prinzip wie ein multifunktionales, hoch wärmedämmendes Wandelement funktioniert. Der Architekt kann nun entscheiden, wie er diese Glaselemente bedrucken möchte – wobei ihm keine Grenzen gesetzt sind.
Schüco hingegen springt auf den Zug der parametrischen Gestaltung auf und möchte die „Freiform“ in die Standardisierung bringen – mit dem „Schüco Parametric System“. Das hat weniger mit parametrischem Entwerfen zu tun, gleichwohl lassen sich jetzt dreidimensionale Gebäudehüllen kostengünstig planen, denn ein entsprechendes Plug-In für gängige 3D-Modelingsoftware berechnet die notwendigen Bauteile. Es bleibt abzuwarten ob es demnächst Fertigteilhäuser mit Spitzen und Stacheln gibt: „Modernes Wohnen im parametrischen Style“ könnte es heißen. Auch Colt bietet für seine Fassadenlamellen aus Glas neue Gestaltungsmöglichkeiten. Dafür hat sich das Unternehmen mit Belectric zusammengetan. Gemeinsam bieten sie dem Architekten an, das Muster der organischen Photovoltaik selber zu gestalten. Belectric steht dem Architekten zur Seite und berät hinsichtlich Effizienz und Ertrag der entworfenen PV-Struktur, Colt integriert die unterschiedlichen Systeme in die Glaslamellen.
Immer häufiger kehren derartige Systeme das Entwurfsverfahren um: Noch während der Architekt die ersten Striche skizziert, muss er wissen, mit welchen Produkten er bauen möchte – denn diese bestimmen den Rahmen seiner Möglichkeiten und so letzten Endes den Entwurf. Es geht also nicht mehr darum, als Architekt Räume zu gestalten und dann gemeinsam mit Herstellern Lösungen zu entwickeln – möglicherweise durch den Prozess auch Neues zu schaffen; dafür bleibt in einer effizienzgetriebenen Gesellschaft keine Zeit mehr. Sich mit bloßem Styling abzufinden ist obendrein auch noch bequem.
Einen Wunsch hätten wir noch:
Mehr Experimente
Was dadurch verloren geht, sind Experimente und der Wunsch, Neues auszuprobieren statt nur an den Stellschrauben der Optimierung zu drehen. Bei Colt blickt man deswegen sehnsüchtig auf das Mock-up der Bioreaktoren-Fassade, die das Unternehmen in Zusammenarbeit mit Arup entwickelt hat und dafür bereits mit dem Zumtobel Group Award ausgezeichnet wurde. In Serienproduktion ist diese Fassade noch nicht gegangen. Oder „licrivision“ von Merck: Ein Flüssigkristall, das zwischen Glasscheiben integriert wird, wodurch sich, um nur ein Beispiel zu nennen, die Transparenz von Glas mit einem Fingerwisch einstellen lässt. Das riecht förmlich nach Science-Fiction. Welche Chancen diese Technologie für die Architektur bieten kann, erforscht Merck gemeinsam mit den Bostoner Architekten Hoeweler + Yoon und Realities United aus Berlin.
Es braucht solch experimentelle Projekte, möchte man wenigstens einen Hauch von Zukunft erleben. Sie alle entstehen, wenn unterschiedliche Akteure zusammenarbeiten. Interdisziplinär war früher einmal das Schlagwort, das anscheinend überstrapaziert wurde und deswegen in den Hintergrund getreten ist. Sicher, das braucht Zeit und Bewegungsfreiheit – und keine Effizienzantreiber. Aber das war natürlich schon immer so. Mehr Mut zu Experimenten wäre trotzdem prima. Oder, wie es der Schweizer Kurt Marti gesagt hat: „Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin, und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge.“
Foto © Adeline Seidel, Stylepark