Auf zur CeBIT nach Hannover: Der Termin sorgte für Abwechslung im Büroleben gewöhnlicher User, die Tag für Tag vor dem Computer auf Ladebalken oder emsig schaufelnde Rädchen starren. Die ihre Aufmerksamkeit Animationen widmen, die in stressigen, weil für sinnvolle Beschäftigungen viel zu kurzen Warte- oder „Response“-Zeiten satte Aktivität simulieren. Damit ist nun Schluss. Nein, nicht mit dem bunten Bildschirm-Nonsense, aber mit der IT-Messe fürs Laienpublikum. Zugelassen sind nur noch Fachbesucher.
Hat sich das Bild dadurch verändert? Auf den ersten Blick kaum. Zur Eröffnung gibt es die übliche, mit Show-Effekten brillierende Künstler-Performance. Im Hintergrund: Vor einer Silhouette der Stadt der Zukunft unter netzartiger Kuppel die Umrisse von Reisenden mit Rollkoffern in ortlosen Räumen. „Denken ist Reisen“ hat Gilles Deleuze konstatiert – ob das auch umgekehrt gilt?
Wahrscheinlich nicht, denn keinem der im Rechner-Kosmos Umherirrenden ist Denken per se eingegeben. Zu den „Digital Conditions“, so der Titel einer Parallelausstellung im Kunstverein Hannover, gehörte vielmehr von Anfang an dies: Büromenschen, die angespannt und verkrampft, wie von Ferne zu möglichst energischer Haltung verdonnert in die Kamera von Lee Friedlander starren. Der US-Fotograf hat seine Porträtserie Anfang der 1980er Jahre im Massachusetts Institute of Technology (MIT) aufgenommen, in der Bürowelt der Großrechner. Weit und breit keine Spur jener konzentrierten, in sich ruhenden Denkerpose, die der Bildhauer Rodin aus dem beginnenden 20. Jahrhundert überliefern konnte.
Das war – womöglich nicht zufällig – zur Hochzeit der Industrialisierung. Die aber kehrt jetzt zurück aufs hannoversche Messegelände, ganz gegen die Gewohnheit zum CeBIT-Termin: Schien sich in den zurückliegenden Jahren vieles, wenn nicht alles um Tablets oder Smartphones in den jeweils modischen Formen und Farben der Saison zu drehen, so sind jetzt Industrie 4.0 und das Internet der Dinge die zentralen Themen. Gabelstapler, die computergesteuert ihren Weg durchs Lager finden. Bandroboter, die mit Eingang einer Bestellung Aufträge individuell und passgenau ausführen. Aber auch virtuelle Produkte wie Wetterdaten, die mit Sensoren aus Hunderttausenden von Autoscheibenwischern „ausgelesen“ werden.
Auf diese Entwicklung antworten die Kuratoren im Kunstverein mit gebotener Zurückhaltung, ganz unaufgeregt. Der bloße Name Pierre Huyghe steht zwar seit dem Annus Mirabilis 2012 für den Dreiklang „MoMA – Documenta – Biennale“, aber diese allzu volltönende Prominenz sollte nicht über den als Kunst deklarierten und subtil inszenierten Beziehungskomplex hinwegtäuschen: den ganz profanen, heftig expandierenden Industriezweig der japanischen Manga-Comics kreuzt Huyghe mit den verblassten, aber im kollektiven Unbewussten immer noch rumorenden Vorstellungen der literarischen Romantik. Herausgekommen ist Ann Lee, ein nach allen Regeln der Computerkunst errechnetes Manga-Avatar. Eine digital generierte Hülle, die darauf wartet, sich danach sehnt, mit Inhalt, mit einer Seele gefüllt zu werden. E.T.A. Hoffmanns Automaten Sandmann und Olympia lassen grüßen. Und für die zeitgenössische Beigabe sorgt die blechern verzerrte, piepsige Stimme eines Helden der Raumfahrt, Neil Armstrongs erste Reaktion beim Betreten der Mondoberfläche.
Armstrongs überwältigende, existenzielle Eindrücke bei seinen ersten Schritten in neue, fremde Welten ließen sich mit verrauschten Schwarzweiß-Bildern und quäkendem Funkverkehr kaum mitteilen. Heute verschwindet eben diese körperliche Erfahrung in den überwältigenden, weil unvorstellbar perfekten 3D-Simulationen. Darauf reagiert die estnische Künstlerin Katja Novitskova mit Digitaldrucken auf Aluminium, aus denen sie einzelne Elemente heraustrennt, wie Scherenschnitte aus der Fläche des Bildes aufsteigen lässt: So steht ein Marabu in Lebensgröße auf der Wüstenlandschaft, die von „echten“ Steinen beschwert als Fotoplane von einem Gestänge herabhängt. Das wirkt im Wortsinne „konstruiert“ – und setzt Reflektionen über Abbildcharakter und virtuelle Welten in Gang. Da führt die Reise dann doch zum Denken.
Und das liegt wohl auch am Ort, dem „White Cube“ – mit Maßwerkfenstern – im hannoverschen Kunstverein. Fernab der Messe verbietet sich das dort übliche Vergleichen technischer Kennziffern, das Übertrumpfen mit Höchstleistungen. Statt bewusstlos dem Fetisch der immer weiter gesteigerten „Auflösung“ hinterherzujagen, hat Thomas Ruff in meterhohen Farbprints die Pixel der digitalen Fotografie zur Grundlage seiner Komposition gemacht. Das Ergebnis: abstrakte Skulpturen, die das Ausgangsmotiv einer Wald- oder Flusslandschaft nur noch ahnen lassen. Und deshalb nicht nur den Blick schärfen, sondern auch die intellektuelle Betrachtung herausfordern. Also eine „Auflösung“ als geistige Dimension.
Aber auch die ganz handfesten, an medienarchäologische Ausgrabungen erinnernden Beiträge kommen nicht zu kurz. Über einen vorsintflutlichen Overhead-Projektor führt Julien Prévieux einige Handbewegungen vor, Gesten, deren Sinn sich ohne den dazugehörigen Touchscreen nicht erschließt. Doch mit der Frage „What Shall We Do Next?“, trifft der Pariser Künstler dann unvermittelt den Kern des Problems: Diese Hand-Orakel bergen kein Geheimnis mehr, sie sind längst patentiert als Bewegungsmuster für das Interface. Zutiefst menschliche Gesten, umgeformt und codiert als unpersönliche Kommandosprache. Neben diesen Eingriffen in die Conditio Humana wirken Lorna Mills Arbeiten geradezu possierlich: Wie entfesselte Icons aus der Frühzeit des Mediums sausen verpixelte Figuren über sieben Bildschirme. Fehlt nur, dass in den rasant geschnittenen Videosequenzen Pacman oder Super-Mario ihre Wiederauferstehung feiern.
Bleibt am Ende der kritische Ausblick in die digitale Zukunft. Dafür verantwortlich zeichnet Hito Steyerl. Aber die Berliner Filmemacherin hinkt bei allem technischen Aufwand der Realität hilflos hinterher. Daran ändert auch die verhalten ironische Note nichts, mit Szenen, die entfernt an Monty Pythons erinnern: Die Installation und der Film „How Not To Be Seen. A Fucking Didactic Educational. MOV File“ sollen demonstrieren, wie sich der Bürger den Überwachungssystemen, etwa der Satellitenbeobachtung, entziehen, sich unsichtbar machen kann. Etwa durch atypische Kopfbedeckungen wie grasgrüne Würfel. Diese Camouflage dürfte von jeder Wärmebildkamera ausgeblendet werden. Aber das ist nicht weiter von Bedeutung. Wichtig – und vorerst unbeantwortet – bleibt die Frage nach autonomen Systemen wie den „Killerdrohnen“, die mit Gesichts- oder Spracherkennung das „Profil“ einer Person abgleichen – und dann selbständig über deren Liquidierung entscheiden.
P.S. Der User vorm Bildschirm wäre damit überflüssig. Theoretisch. Denn zur Erledigung monotoner IT-Arbeiten werden wir wohl noch eine Weile gebraucht – ebenso wie die Ladebalken und Transferrädchen.
Digital Conditions
Kunstverein Hannover
bis 25. Mai 2015
www.kunstverein-hannover.de
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