240 Jahre jung ist das Wasserklosett, das von einem Engländer erfunden wurde und nun zur Wellnessoase avancieren könnte. Foto © Yoann Lambert
Wo bitte geht es zum Erlebnisklo?
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von Martina Metzner
23.08.2013 Alle tun es, nur redet keiner drüber. Das, was man heute abgeschieden in aller Stille erledigt, war früher ein gesellschaftliches Erlebnis: Im alten Rom etwa, wo mit der Cloaca Maxima die Kanalisation erfunden wurde, traf man sich zur Notdurft auf einer Art Bank mit nebeneinander eingelassenen Löchern. Das regte nicht nur zur Konversation an, sondern führte nicht selten zu handfesten Vertragsabschlüssen, woran noch immer der Ausspruch erinnert, man mache ein „kleines“ oder „großes Geschäft“. Schon im 18. Jahrhundert zog man sich nicht mehr nur schamhaft hinter ein Tuch – das französische Wort dafür heißt „toile“ – zurück, sondern man schloss sich geschützt vor den Blicken der Öffentlichkeit hinter die Tür ans „stille Örtchen“ zurück. Was es bedeutet und wie es funktionieren soll, dass das 1775 von dem Engländer Alexander Cumming erfundene Wasserklosett nun zu einer Art „Erlebnisklo“ werden soll, erklärt uns das Zukunftsinstitut aus Kelkheim. Dort hat man sich im Auftrag des Badspezialisten „Geberit“ in einer Trendstudie mit dem Titel „Körperbewusstsein und Hygiene im Wandel“ konkret mit dem Potenzial von Dusch-WCs im deutschsprachigen Raum beschäftigt. Was ein Dusch-WC so alles kann, vermag sich so mancher Europäer nicht in seinen kühnsten Fantasien auszumalen. Anders in Japan. Seit geraumer Zeit gehören Dusch-WCs dort zum Alltag, verfügen doch etwa 70 Prozent der japanischen Haushalte über solch ein multifunktionales WC. Auch in vielen arabischen Ländern leistet man sich an nobleren Adressen gerne solche WCs, die herkömmliche Installationen mit einem neben der Toilette angebrachtem Wasser-Schlauch ersetzen, was wiederum den religiösen Hygienevorschriften in diesen Ländern zuzuschreiben ist. Aktuelle Dusch-WCs mit Wohlfühlfaktor verfügen nicht nur über eine obligatorische Brause zum Reinigen des Allerwertesten. Meist sind auch Wasser und Klobrille beheizt und hinzu kommen Sonderfunktionen wie ein Fön und ein sich automatisch öffnender Klodeckel. Die Technik wird dabei zumeist mittels eines am WC angebrachtem Schalter oder per Fernbedienung gesteuert und lässt sich für jeden Benutzer individuell programmieren. Ja, die Japaner sind ein reinliches Volk, deshalb hat sich das japanische Dusch-WC-Unternehmen Toto mit seinen „Washlets“ zum Weltmarktführer gemausert. Dabei ist das Dusch-WC gar keine japanische Erfindung: 1957 entwickelte der Schweizer Hans Maurer den sogenannten „Closomat“, der heute noch von der Firma „Closomeo“ in neuer Variante hergestellt wird. Noch immer ist die Schweiz ein besonders affiner Markt für Dusch-WCs, was Aussagen von Herstellern wie Toto und Villeroy & Boch untermauern. Schwieriger scheint es im Süden Europas mit Märkten wie Italien, Spanien und Frankreich, die sich traditionell immer noch stark zum Bidet bekennen. Seit Ende 1978 Jahre ist es die deutsche Firma Geberit, bekannt für ihre Spültechnik, die in Europa die Nase in Sachen „Popo-Dusche“ vorn hat. Um dem Dusch-WC aber zu neuem Schwung zu verhelfen, wollen die Schwaben das Nischenprodukt, das in Europa bislang überwiegend im „Health & Care“-Bereich eingesetzt wurde, in ein Lifestyle-Produkt verwandeln. Dafür hat Geberit 2009 sogar Ex-Tennisprofi-Ex-Ehefrau Barbara Becker engagiert, die in einer Fernsehkampagne auf das Dusch-WC aufmerksam machte. Und nun soll die Trendstudie mit einer repräsentativen Befragung Auskunft geben über die Chancen des Dusch-WCs im deutschsprachigen Raum (Deutschland, Österreich, Schweiz), wo nach Aussage von Toto etwa 1 Prozent der Haushalte über solch einen High-End-Abort verfügen. In der Studie werden gesellschaftliche Strömungen und Veränderungen wie die Emanzipation der Frau, die Wellness- und Technologie-Bewegung sowie das Altern der Gesellschaft daraufhin untersucht, weshalb es nicht mehr Interessenten für Dusch-WCs gibt. Zunächst haben sich die Forscher mit der Frage auseinandergesetzt, was man alles im Bad so macht, außer Zähneputzen und all dem Üblichen. Das Ergebnis: 70 Prozent der Befragten entspannen sich im Bad, rund die Hälfte liest oder hört Musik, jeder Vierte telefoniert, hat Sex oder unterhält sich mit seinen Mitbewohnern. Auf den hinteren Plätzen rangieren Tätigkeiten wie „Im Internet surfen“ (17 Prozent), „Sport/Fitness“ (10 Prozent) und „Fernsehen“ (6 Prozent). Dass Badezimmer derart unterschiedlich genutzt werden, ist allein schon interessant. Dafür spricht auch, so heißt es in der Studie, dass die ehemaligen Nasszellen in den letzten Jahren aufgewertet und mit edlen Materialien ebenso wie mit in den Boden integrierten Duschen, Rainshowers in einer Öffnung und Aufwertung des Badezimmers zeigen. Da wird die Nasszelle schnell zur Wellnessoase, in der sich der gestresste Großstädter wie in einem „zweiten Wohnzimmer“ entspannen kann. An dieser Stelle nun kommt, glaubt man den Zukunftsforschern, das Dusch-WC ins Spiel. Ihrer Ansicht nach könne das Dusch-WC nicht nur den Wellness-Faktor erhöhen, es diene auch als „Fun-Feature“ für die ganze Familie, als „lustvoller Gesundmacher“ und „Jungbrunnen für die Silverager-Generation“. Die Verwendung als „Fun-Feature“ erklären die Forscher mit der zunehmenden Erziehungsaufgabe durch die Väter, die mit ihren Kleinen gerne mal im Bad herumtollen und dabei tolle technische Neuheiten ausprobieren könnten. Nebenbei wird der Toilettengang soziologisch mit „Spannung, Spiel und Spaß“ verbunden, weshalb die Aussichten gut seien, dass Kinder früher vom Töpfchen entwöhnt werden können und schneller selbstständig würden. Die zweite These geht von einer an Gesundheit und Wellness orientierten Gesellschaft aus, die sich zunehmend auch technologischer Hilfsmittel bedient, um gesund und fit zu bleiben. Das Ganze wird unter dem Namen „self-tracking“ geführt und mündet in Geräten wie der elektrischen Zahnbürste „Oral B 5000“ von Braun, die sich nach den Bedürfnisse des Nutzers programmieren lässt und ihn durch Piepstöne dazu auffordert, er solle nun bitte zum nächsten Backenzahn übergehen. Ein Dusch-WC könnte nun zum Beispiel den Urin nach medizinischen Parametern untersuchen und diese direkt zum Hausarzt übermitteln. Das lästige Abfüllen einer Urinprobe würde damit der Vergangenheit angehören. Die letzte These betrifft all jene, die heute schon zur Zielgruppe der Hersteller von Dusch-WCs in Europa gehören: die „Silver-Ager“, also Menschen über 60 Jahre, die heute zunehmend fitter sind. Für sie stellen das Bad und die dazugehörige Hygiene einen deutlich wichtigeren Faktor dar als für Jüngere. So geben in der Studie 70 Prozent der Gruppe „55 Jahre und älter“ an, Körperpflege sei ein wichtiger Faktor, um sich jung zu fühlen. Bei den 16- bis 24-Jährigen sagen das nur rund die Hälfte. Das Dusch-WC könne also als „Jungbrunnen“ empfohlen werden. Fragt man die Experten von Geberit, Toto und Villeroy & Boch, so scheint das Dusch-WC in der Tat auf bestem Wege zu sein, sich als Wellness- und Erlebnisprodukt auch in Europa zu etablieren. Seit dem Start der Kampagne von „Geberit“ für die Produktreihe „AquaClean“ vor vier Jahren sei, so deren Presseabteilung, der Verkauf in Deutschland um einen jährlich zweistelligen Prozentsatz gewachsen. Auch bei Villeroy & Boch und Toto, die in diesem Jahr auf der Fachmesse ISH in Frankfurt ihre Zusammenarbeit verkündet haben, ist man guter Dinge. Gefragt ist aber nicht nur Technik, sondern auch gutes Design. So hat Geberit den Designer Matteo Thun für sein neustes Modell „Sela“ gewinnen können. Bei Villeroy & Boch ist es das Modell „Leaf“, gestaltet von den beiden italienischen Designern Daniel Debiasi und Federico Sandri von „Something“, das die nötige Technik gut zu verbergen weiß. Die wolle der Europäer nämlich nicht sehen, erläutert Anja Giersiepen von Toto. Derweil schreitet die WC-Technik insgesamt voran. Der neuste Clou bei High-Tech-Klos ist der Selbstreinigungseffekt. Erzielt wird er durch verschiedene Ausstattungsmerkmale wie das Weglassen der Spülkante, durch eine spezielle Strudel-Spülung – bei Toto heißt sie „Tornado“ – sowie durch den Einsatz von UV-Licht oder elektrolytisch aufgeladenem Wasser, das bewirkt, dass sich Schmutz gar nicht erst festsetzen kann. Solche „All-inclusive-Toiletten“ gibt es beispielsweise von Toto in Gestalt der Modelle „Neorest“ und „Actilight“, beide ausgestattet mit „ewater+“. Villeroy & Boch tastet sich mit der neuen „Direct Flush“-Schüssel erst einmal an das Weglassen der Spülkante heran. Trotz dieser vielfach aufgezählten Vorteile ist bei den Herstellern wahrscheinlich Geduld gefragt: In Sachen Badekultur kann es schon mal einige hundert Jahre dauern, bis sich manche von ihren alten Gewohnheiten trennen. Außerdem muss man sich viel Zeit für den Toilettengang nehmen, um „das ganze Programm abzufahren“, wie eine Expertin erklärte, und wer hat die heute schon? Dazu kommen noch ganz praktische Erwägungen: Das deutsche Durchschnittsbad ist 8 Quadratmeter groß und ein Dusch-WC kann schon einmal um das Fünffache teurer sein als eine normale Kloschüssel. Und: Vielleicht wollen wir ja gerade auf dem „stillen“ Örtchen von gutgemeinten Marketing-Ideen und smarten Technologien verschont werden.
Die Ergebnisse der Studie „Körperbewusstsein und Hygiene“ vom Zukunftsinstitut im Auftrag von Geberit: |
240 Jahre jung ist das Wasserklosett, das von einem Engländer erfunden wurde und nun zur Wellnessoase avancieren könnte. Foto © Yoann Lambert
Frischeerlebnis dank herausfahrbarer Wasserdüse. Foto © Geberit
Frischeerlebnis dank herausfahrbarer Wasserdüse. Foto © Geberit
WC-Wunder: Den neuen Modellen sieht man die integrierte Technik kaum an. Geberit „Sela“, Foto © Geberit
WC-Wunder: Den neuen Modellen sieht man die integrierte Technik kaum an. Geberit „Sela“, Foto © Geberit
Die Bedienung ist kinderleicht per angebrachtem Schalter bzw. Fernbedienung. Foto © Geberit
Die Bedienung ist kinderleicht per angebrachtem Schalter bzw. Fernbedienung. Foto © Geberit
Selbstreinigungseffekt dank elektrolytisch aufgeladenem Wasser, das den Schmutz nicht anhaften lässt. Toto „Neorest“, Foto © Toto
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