Stylepark Wilkhahn
Realistische Virtualität
Fabian Peters: Worin unterscheidet sich 1zu33 von einem "gewöhnlichen" Architekturbüro?
Georg Thiersch: Die Idee hinter 1zu33 verrät sich schon ein wenig im Namen: Den Maßstab 1:33 verwenden Architekten für die Darstellung von Innenräumen. Wir verorten unsere Arbeit zwischen den Berufsfeldern des Architekten, des Innenarchitekten und des Kommunikationsexperten. Denn unseres Erachtens hat Architektur oft auch sehr viel mit Kommunikation zu tun.
Können Sie das an einem konkreten Beispiel erläutern?
Georg Thiersch: Es wird ja zum Beispiel viel von sogenannter Markenarchitektur gesprochen – Architektur, die das Image einer Marke nach Außen transportieren soll, etwa im Bereich Retail oder beim Messebau. Genauso wichtig, aber weniger offensichtlich, ist die Kommunikation nach innen. Es wird immer entscheidender, die Werte, Überzeugungen und Aufgaben des Unternehmens an die eigenen Mitarbeiter zu kommunizieren. Wir versuchen, für beide Richtungen der Architekturkommunikation innovative Lösungen zu finden.
Sie haben gerade gemeinsam mit Wilkhahn den "Human Centered Workplace" entwickelt – ein äußerst vielseitiges Konzept, das Architekten und Anwendern dabei helfen soll, passgenaue New Work-Lösungen umzusetzen. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?
Georg Thiersch: Wilkhahn hatte uns zunächst gebeten, Möglichkeiten zu erarbeiten, um New Work-Szenarien in einer ansprechenden virtuellen Umgebung mithilfe von 3D und modernen Renderingverfahren zu präsentieren. Bei der Suche nach geeigneten Strategien, um die Aufgabe anzugehen, besannen wir uns auf alte Wilkhahn-Tugenden: Probleme funktional zu betrachten und ganz nah an der Realität zu bleiben, um für den Nutzer das bestmögliche Produkt zu gestalten. Uns war deshalb schnell klar, dass wir nicht eine virtuelle Welt schaffen wollten, die in keiner Verbindung zum wirklichen Leben steht. Alles sollte einen klaren Bezug haben: zu den potenziellen Nutzern, zu einem konkreten Ort, zu einem bestimmten Lebensgefühl. Unser Blick fiel dabei auf Dänemark, weil wir der Ansicht sind, dass dort die Balance zwischen Leben und Arbeiten in einer Weise gehandhabt wird, die wir als sehr inspirierend empfinden. Deshalb haben wir dann ein virtuelles Bürohaus im Kopenhagener Nordhavn geplant.
Anders als bei einem üblichen Auftrag gab es bei diesem Projekt keinen Bauherrn, der Räume für einen bestimmte Anzahl von Mitarbeitern und mit bestimmten Funktionen benötigte. Dennoch sollte der Entwurf so realistisch wie möglich sein. Wie sind Sie vorgegangen?
Georg Thiersch: Bei unseren Recherchen sind wir auf einen dänischen Unternehmer und Kunstsammler gestoßen, der im Nordhavn ein Lager für seine Sammlung unterhält. So haben wir begonnen, an einer Idee zu stricken: Was denn wäre, wenn ein solch kultivierter Mann einen Kunstbuchverlag gründen und diesen im Nordhavn ansiedeln würde? Im nächsten Schritt haben wir uns dann gefragt, welche Mitarbeiter wohl dort arbeiten und was sie für ihre Arbeit benötigen würden.
Gab es einen besonderen Grund, dass Sie sich gerade für ein Verlagshaus als Nutzer des virtuellen Bürohauses entschieden haben?
Georg Thiersch: Die Entscheidung für einen Verlag, hatte für uns den Reiz, sehr viele verschiedenen Funktionen und Arbeitsbereiche abbilden zu können. Hier werden Bereiche für Besprechungen, Konferenzen und Abstimmungen benötigt, für kreative Entwicklungsarbeit in der Gruppe genauso, wie für konzentrierte Einzelarbeit, und natürlich auch Archiv- und Bibliotheksräume. Außerdem haben wir uns überlegt, dass ein Außenbezug des Verlages schön wäre und deshalb im virtuellen Verlagshaus einen kleinen Bookshop eingerichtet, wo man die Produkte des Hauses kaufen kann.
Sie haben sich dafür entschieden, den Verlag in einem Bestandsgebäude, einem ehemaligen Lagerhaus, unterzubringen, das für die neue Funktion umgebaut wird. Warum?
Georg Thiersch: Ich bin der festen Überzeugung, dass wir Architekten eine Verantwortung haben, bereits bestehende Strukturen weiter zu nutzen und an neue Anforderungen anzupassen. Es kann nicht die Lösung sein, ständig intakte Gebäude abzureißen, um neuzubauen. Das ist schlicht nicht nachhaltig. Wir müssen uns im viel größeren Umfang als bisher darum bemühen, alte Gebäude zu reaktivieren. Ich glaube, dass die Ergebnisse oftmals viel interessanter sind als ein Neubau. Unternehmen sollten sich übrigens bewusst sein, dass sie mit einem solch verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen Werte nach außen kommunizieren können.
Den Clou beim – virtuellen – Umbau bildet ein großer Betoneinbau, der das ehemalige Lagerhaus zoniert. Was hat es damit aus sich?
Georg Thiersch: Dieser Betoneinbau – wir sprechen immer gern von einer "Tischplatte" – ist eine große Empore, die auf Betonpfeilern ruht. Sie hält an drei der vier Seiten mehrere Meter Abstand zu den Außenwänden, so dass in diesem Bereich die Halle in ihrer vollen Höhe erlebbar ist. Auf der einen Seite des "Tisches" führt eine Amphitheater-ähnliche Treppe vom Erdgeschoss zur Empore. Sie dient zugleich als Zuschauertribüne für Lesungen, Veranstaltungen und Ähnliches. Auf der anderen Seite des "Tisches" ist im Erdgeschoss ein Bibliothekskubus eingerichtet. Unterhalb der Empore sind alle notwendigen Wirtschaftsräume untergebracht – inklusive Duschen und Spinden, so dass die Mitarbeiter, die mit dem Fahrrad kommen, die Möglichkeit haben, sich umzuziehen. Auch eine Küche, die die Cafeteria versorgt, in der Mitarbeiter aber auch verlagsfremde Personen bedient werden, findet dort ihren Platz. Ganz wichtig: Unterhalb des "Tisches" befinden sich auch Stauflächen für Mobiliar – etwa für Workshops oder andere kreative Prozesse. Auf der "Tischplatte" sind dagegen die Arbeitsplätze angeordnet, die jedoch durch die großen Lufträume immer in Verbindung mit dem Geschehen im Erdgeschoss stehen.
Wie muss man sich den Bereich auf der Empore vorstellen?
Georg Thiersch: Der obere Arbeitsbereich hat große offene Flächen aber durchaus auch geschlossene Räume. Wir vertreten nicht die Ansicht, dass es keine Wände mehr im Büro geben darf. Manche Dinge sind in einer abgeschlossenen Umgebung besser aufgehoben, etwa Videokonferenzen.
Woran macht sich in dem virtuellen Bürogebäude besonders die Handschrift von Wilkhahn bemerkbar?
Georg Thiersch: Wandelbarkeit ist eine zentrale Eigenschaft fast aller Produkte von Wilkhahn. Kaum ein Möbelstück des Unternehmenns ist so fest in den Raum gefügt, als dass man es nicht verrücken, transportieren, oder herausnehmen könnte. Alles ist, zumindest potentiell, im Fluss. Gleichzeitig denkt Wilkhahn immer aus der Funktion heraus und stellt den Nutzen für den Anwender in den Vordergrund. Design ist nie Selbstzweck, sondern ergibt sich aus den jeweiligen Aufgaben.
Wie wandelbar sollte das Büro denn zukünftig sein?
Georg Thiersch: Das ist eine Frage des Gleichgewichts: Weder glaube ich an die vollkommen freie Fläche, die sich die Beschäftigten notdürftig mit ein paar Paravents aufteilen, noch kann eine vollkommen starre Struktur die Lösung sein. Es gibt in unserem Entwurf einerseits Fixpunkte, die dem Raum Kontur verleihen, und andererseits große flexible Freiflächen, die in unterschiedlichster Art und Weise bespielt werden können. So kann der Archivraum dank großer Rollschränke komprimiert oder ausgedehnt werden. Sind die Schränke zusammengeschoben, können dort mobile Tische, Whiteboards und leichte Hocker aufgestellt werden, um etwa ein Kreativmeeting abzuhalten.
Sie erweitern gerade ihre Bürofläche. Sind in die Planung Erkenntnisse aus Ihrer Arbeit am Wilkhahn-Projekt eingeflossen?
Georg Thiersch: Definitiv! Wir hatten die Planung eigentlich bereits vor Beginn des Projektes mit Wilkhahn fast abgeschlossen. Während unserer Arbeit an dem virtuellen Bürobau haben wir dann erkannt, dass wir noch einmal ganz neu und viel grundsätzlicher ansetzen müssen, um selbst zu der Flexibilität zu gelangen, die wir anderen empfehlen.