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Werden Möbel flexibler, weil es den Megatrend „Mobilität“ gibt? Solche und andere Fragen gilt es auf der imm cologne sowie den Passagen vom 18. bis 24 Januar beantworten. Foto © Karsten Jipp, Koelnmesse/Thonet
Wie wohnen? Wie bauen? Wie leben?
von Thomas Wagner
12.01.2016

In Köln gehen Möbel, Gestalter und Hersteller wieder einmal auf Sendung. In wenigen Tagen sind sie „on air“. Hinschauen! ruft der eine. Herhör’n! tönt es aus einer anderen Ecke. Augen lassen sich verschließen, Ohren nicht. Aufmerksamkeit zu bekommen, ist heutzutage alles. Auf Messen buhlt ein jeder darum. Geräusche, Stimmen, Worte, Klänge, Melodien dringen freilich nicht nur – und nicht nur in Messehallen – unmittelbar, sondern auch aus dem Äther in unser Ohr. So spielen die Medien immer schon mit, wenn die Show ganz real über die Bühne geht. Schon von dem griechischen Gott Pan – halb Mensch, halb Widder, ein Gott der Ohren, Musik und Tanz zugetan – wurde gesagt, er sei übergegangen in die vibrierende Luft. Und während unser Auge noch mühsam von hier nach dort eilt, um aus zerstreuten Blicken ein Bild zusammenzusetzen, hüllt der Klang uns ein, macht uns zum Zentrum einer Welt.

Offenbar hat man sich im Kölner Museum für Angewandte Kunst (MAKK) gedacht, es sei an der Zeit, den Besuchern einer internationalen Möbelmesse nicht nur optisch etwas zu denken zu geben. „RADIO Zeit – Röhrengeräte, Design-Ikonen, Internetradio“ heißt eine Ausstellung, die sich dem Rundfunk als dem, wenn man so will, ersten Massenmedium und der wechselvollen Geschichte seiner Geräte widmet – von der einfachen, mit einem Empfänger ausgestatteten Holzkiste bis zum aktiven internetfähigen Lautsprecher, der, nicht viel anders als die ersten Radios, scheinbar aus dem Nichts herbeiströmen lässt, was wir hören wollen. Rund 200 Beispiele, darunter Geräte von Hans Gugelot, Dieter Rams, Achille und Pier Giacomo Castiglioni, Raymond Loewy und Verner Panton, werden aufgeboten, chronologisch gegliedert in 20 Stationen und zeittypischen Interieurs. Hörstationen mit historischen Aufnahmen aus Rundfunkarchiven inklusive.

Zu irritieren vermag freilich nicht die Möbelgestalt der Volksempfänger, Musiktruhen und Hifi-Anlagen. All das hat in Form und Funktion seine Zeit. Aus dem Geist des Pan erhebt sich vielmehr die Frage, weshalb eigentlich noch keiner darüber nachgedacht hat, ob und wie – gelungenes oder missratenes – Design eigentlich klingt? Ließe sich nicht nur bei Weltempfängern und Radiophonographen fragen, ob und wie akustischer und optischer Klang in ihnen zusammenstimmen? Hat Design überhaupt einen? Wie spürt man ihn auf, in Zeiten, in denen die Bedeutung der „Hardware“ rapide abnimmt? Vielleicht ist das aber auch nur eine Schnurre.

Wie dem auch sein, zu Jahresbeginn gibt es stille Momente, dann möchte man allzu gern glauben, die Zeit hielte den Atem an und alles werde gut. Wie sehr das täuscht, beweisen die täglichen Nachrichten. „Wie leben?“ fragt derzeit eine Ausstellung im Ludwigshafener Wilhelm-Hack-Museum und erinnert an Zukunftsbilder aus Kunst, Architektur und Design von Malewitsch bis Fujimoto. Aktuell ist dazu von Architekten und Stadtplanern, aber auch von Soziologen, Designern und Politikern, leider nicht viel Ermutigendes zu hören.

Wie bauen? Wie wohnen? Woher den Platz nehmen? Wie ihn sozial verträglich gestalten? Wie das alles bezahlen? Die Dringlichkeit solcher Fragen springt einem förmlich an. Zumal Wohnraum knapp bleibt, die Mieten in Ballungszentren weiter steigen und Hundertausende von Flüchtlingen ins Land kommen.

In dieser Gemengelage findet die imm cologne statt. Für eine Messe, die unter dem Dreigestirn „Wohnen. Einrichten. Leben.“ von sich sagt, sie stelle vor, „welche Trends die Möbel- und Einrichtungsbranche bestimmen werden – und mit welchen Produkten sich gute Geschäfte machen lassen“, keine einfache Ausgangslage.

Trends und Geschäfte – das ist als Selbsteinschätzung von entwaffnender Ehrlichkeit. Messen im Allgemeinen und Möbelmessen im Besonderen waren ja immer schon paradoxe Veranstaltungen oder, wie man Neudeutsch sagt, Hybride: Sie zeigen nicht nur Dinge, sondern Produkte, die sich am Markt behaupten müssen. Sie wollen nicht nur für – neue, innovative, attraktive, spannende, schöne, überraschende – Dinge begeistern, sondern ihren ökonomischen Erfolg sichern helfen. Dabei funktionieren sie etwa so wie Wechselrahmen. In Form und Gestalt bleiben sie mehr oder weniger die gleichen. Das Bild, das sie vorzeigen, indes wechselt.

Die imm cologne selbst hat sich in den vergangenen Jahren von einem unscheinbaren urbanen Spatz, dessen Lebensraum bedroht zu sein schien, zu einem attraktiven buntgefiederten Papagei gemausert. Aussteller wurden zurückgewonnen, neue Formate erfolgreich eingeführt (darunter auch die von Stylepark kuratierten Featured Editions) und Präsentationsweisen optimiert. Und so hält man sich mit Kategorien wie Pure, Pure Editions, Pure Talents, Comfort, Prime, Sleep, Smart und Global Lifestyles bis zu den ganzheitlichen Wohnwelten der LivingInteriors auch in diesem Jahr ans Bewährte. Auch dass die Design Post, die in diesem Jahr ihr zehnjähriges Bestehen feiert, näher an das Messegeschehen herangerückt ist, hat sich bewährt. Auf Dauer wird es aber kaum reichen, den Rahmen unverändert zu lassen und die neuen Herausforderungen den Herstellern und Designern zu überlassen.

Sicher, im den großen Schaufenstern unserer Wohlfühlzone mangelt es nicht an einer Vielfalt von Trends und Wohnideen für jeden Raum, jeden Stil, jeden Geschmack und jeden Anspruch. Die Frage muss aber erlaubt sein: Reicht das unter den veränderten Bedingungen aus? Kann etwa ein Konzept wie „Das Haus – Interiors on Stage“ (in der Pure Editions-Halle 2.2) tatsächlich, wie die Messe selbst es beschreibt, „nicht nur die gegenwärtigen Einrichtungstrends, sondern auch die Publikumssehnsüchte und den gesellschaftlichen Wandel“ thematisieren? Bislang zumindest war „Das Haus“ mehr Showcase für ausgewählte Hersteller und Produkte als konsequent durchdachtes Wohnkonzept. Weniger Bühne und mehr Realitätssinn würden hier in Zukunft sicher guttun.

Anders als die Messe zeigt das über die gesamte Stadt verteilte Rahmenprogramm der „Passagen – Interior Design Week Köln“ zunehmend Ermüdungserscheinungen. Nur noch selten werden andere Präsentationsweisen erprobt und Überraschendes vorgestellt. Hier vor allem gilt es, Anstrengungen zu unternehmen, um verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Wenigstens in den Räumen des Kunstvereins regt sich Leben. Mit Jasper Morrison wurde ein würdiger „A&W Designer des Jahres“ gekürt, dessen Schaffen vorgestellt wird, und sogar der Rat für Formgebung präsentiert hier die Besten der Besten seines Iconic Awards. Freilich, auch das ist Bestandssicherung.

Die von der Messe ausgerufenen „Megatrends“ – elf an der Zahl, von Konnektivität und Silver Society über Mobilität und Gesundheit bis zu Individualisierung, Globalisierung und Neues Lernen – helfen bei alledem kaum weiter. Themen wie altersgerechtes Wohnen und Vernetzung werden immerhin wahrgenommen und angesprochen. Wie sie konkret angegangen werden, steht auf einem anderen Blatt. Nimmt man sämtliche Megatrends zusammen, sind sie einfach nur Namen von Phänomenen, die unsere gegenwärtige Welt prägen. Zu sehr gehorchen sie einem simplen Reiz-Reaktions-Schema und erscheinen zudem derart allgemein, dass man den Eindruck nicht los wird, man drehe sich im Kreis. Werden Möbel kleiner und flexibler, weil es den Megatrend „Mobilität“ gibt oder gibt es den Trend, weil Möbel und kleiner und flexibler werden?

Wie auch immer, wir sehen uns in Köln. Und spitzen Sie die Ohren!

Kölnischer Kunstverein
Hahnenstr. 6
50667 Köln
Öffnungszeiten
Montag, 11 bis 20 Uhr
Dienstag, 11 bis 22 Uhr
Mittwoch bis Samstag, 11 bis 20 Uhr
Sonntag, 11 bis 18 Uhr

> A&W-Designer 2016: Jasper Morrison
18. bis 24.01.2016
www.awmagazin.de

> Rat für Formgebung
ICONIC AWARDS: Interior Innovation
Ausstellung der Best of Best
18. bis 24.01.2016
www.german-design-council.de
www.iconic-interior-innovation.de

Im Kinosaal des Kunstvereins wird
zum 50. Geburtstag von B&B Italia
zudem der Dokumentarfilm
„B&B Italia. Poetry in the shape. When design
meets industry“ gezeigt.
19. bis 24.01.2016
Die Premiere des Films findet
am 19.01. um 19 Uhr statt (nur auf Einladung)
Danach Mi – Sa 14 – 19 und So 14 – 17 Uhr
zu jeder vollen Stunde.
www.bebitalia.com

MAKK – Museum für Angewandte Kunst Köln
RADIO Zeit
18.01. 19 Uhr Eröffnung
19.01. bis 05.06.2016
während der PASSAGEN
Di – So 11 – 21 Uhr, Eintritt frei
MAKK-Studio:
„Alessi Made in Crusinallo. The Beauty and the Mastery“
19.01 bis 03.04.2016
www.makk.de

Design Post
Deutz-Mülheimer Str. 22A
50679 Köln
Öffnungszeiten während der imm:
18. bis 24.01.2016
Mo – Fr 9 – 20 Uhr
Sa – So 10 – 18 Uhr
Professional Preview für Fachbesucher
So 17.01. von 13 – 20 Uhr

PASSAGEN – Interior Design Week Köln
18.01. bis 24.01.2016
Programm unter
www.voggenreiter.com

Zu sehen in der Ausstellung „Radio Days“ im Kölner MAKK: „Volksempfänger VE 301 Wn“, Walter Maria Kersting, Mende & Co., Dresden, 1933-37, © MAKK, Foto: RBA Köln, Marion Mennicken
“602 A”, Raymond Loewy, Emerson Radio and Phonograph Corp., New York City, New York (US), 1949, © Sammlung Winkler, MAKK, Foto © Saša Fuis Photographie, Köln
“CFS-W365S”, Sony, Tokio (JP) 1987, © Manuela Cirillo Karpf, Foto: RBA Köln, Marion Mennicken
Konzerttruhe „Komet“, Kuba-Imperial, Wolfenbüttel, 1957-58, © Haus der Geschichte, Bonn, Foto: Ralf Röttjer
“Phonosuper SK 5, Schneewittchensarg“, Hans Gugelot, Dieter Rams, Max Braun oHG, Frankfurt a .M., 1958, © MAKK, Foto: RBA Köln, Marion Mennicken
“RR126 OFST, Deposito”, Achille Castiglioni, Pier Giacomo Castiglioni, Brionvega S.p.A., Mailand (IT), 1965-66, © Sammlung Winkler, MAKK, Foto: Saša Fuis Photographie, Köln
“Ekco AD 65”, Wells Coates, 1932, Erik Kirkham Cole Limited, Southend-On-Sea (GB), 1934,
© Sammlung Winkler, MAKK, Foto: Saša Fuis Photographie, Köln
„Violetta 300“, Lumophon, Nürnberg, 1968-72, © Volker Schaeffer, Foto: RBA Köln, Marion Mennicken
„T 1000 Weltempfänger“, Dieter Rams, Braun AG, Frankfurt a .M., 1964, © Sammlung Winkler, MAKK, Foto: Saša Fuis Photographie, Köln
“LA 42 Tykho”, Marc Berthier, Lexon, Boulogne-Billancourt (F), 1998, © MAKK, Foto: RBA Köln, Marion Mennicken
“Walky Box”, Supertech Deutschland GmbH, Nettetal, 1990, © Marion Brass, Foto: RBA Köln, Marion Mennicken