Der Gestalter Mike Meiré ist international bekannt für sein Editorial Design und die Arbeiten für Premium-Brands. Mit „brand eins" fand er eine neue Optik für Wirtschaftsmagazine, „032c", „Kid's wear" und „Garage" setzen Maßstäbe in der Magazingestaltung. Seit Ende 2011 steht auch die deutsche Ausgabe von „Interview", Andy Warhols People-Magazin, auf der Kundenliste von Meiré. Der 47-Jährige entwickelt seit vielen Jahren die Kommunikation von Dornbracht, arbeitet für Mini, Sahco, Bulthaup, Siedle, Vorwerk und anderen führende Marken. Zum Salone del Mobile gestaltete er den Messestand des finnischen Möbelherstellers Artek – und verpasste fast nebenbei sechs Hockern von Alvar Aalto ein buntes Kleid. Jörg Zimmermann traf Mike Meire zum Gespräch in der „Factory". Jörg Zimmermann: Mike, nun arbeiten Sie in der „Factory" an der Zeitschrift „Interview". Mike Meiré: Die Geister, die ich rief ... War es mit der Benennung der Halle in „Factory" unausweichlich, dass Sie „Interview" machen? Meiré: (lacht) Self-fulfilling prophecy. Ich musste selber lachen, als Jörg Koch, der Chefredakteur, anfragte. Und habe mich wahnsinnig gefreut. Das Konzept für das Heft stand mit Tim Giesen in nur zwei Tagen. In meinem Bewusstsein bin ich mit Joseph Beuys und Andy Warhol groß geworden. Pop und Warhol ist in jeder Pore bei mir drin. Warhol hat so viele Facetten, ist so intellektuell, dabei wirft man ihm ja oft Oberflächlichkeit vor. Editorial Design ist heute gar nicht das Thema. Für Artek haben Sie den Messestand gestaltet und sind dann gleich noch den berühmten Aalto-Hocker „60" angegangen. Wie ist die Zusammenarbeit mit Artek entstanden? Meiré: 2007 hatte ich für Dornbracht das Farm-Projekt in Miami gemacht. Da war Artek mit dem Pavillon von Shigeru Ban gewissermaßen unser Nachbar. Ich habe Ville Kokkonen kennengelernt und wir haben überlegt, ein gemeinsames Projekt zu machen. Vor zwei Jahren hatten wir bereits einen Workshop, dessen Ergebnisse aber wegen Umstrukturierungen bei Artek nicht realisiert werden konnten. Im Dezember vergangenen Jahres kam die Anfrage für den neuen Messestand zum Salone. Und zusätzlich habe ich sechs Hocker von Alvar Aalto quasi „customized". Wieso diese Auseinandersetzung mit einer Design-Ikone? Aalto hat den Hocker ja schon in den dreißiger Jahren entworfen und er wird bis heute unverändert produziert. Meiré: Im Moment passt es halt so schön. Auf der einen Seite suchen die Leute nach dem Nachhaltigen und dem Überzeitlichen, auf der anderen Seite hängen sie an der Frage, was ist neu. Das ist die Ambivalenz, in der wir uns bewegen. Man versucht sich einerseits dieser neurotischen Entwicklung zu entziehen, dann ist da aber auch das Bedürfnis, the next hot level shit mitzubekommen. Die Produkte von Artek haben etwas Charmantes. Die Entwürfe dieser finnischen Designer, das sind ja Klassiker mit dieser nordischen Qualität. Artek hat den Claim „Buy now, keep forever". Da steckt drin, dass du dir gestattest, in etwas zu investieren, dass Design nicht so zeitgeistig, so hysterisch ist, also die geforderte Nachhaltigkeit formal einlöst. Und gleichzeitig nehmen sich die Entwürfe so weit zurück, dass du als Nutzer und Besitzer so sein darfst, wie du bist. Deshalb fand ich den Gedanken des „customized" so schön. Im letzten Jahr hatte ich ja die Möglichkeit, für Bulthaup die „b3" zu bearbeiten. Das war auch „tailor made", aber mit extrem exklusiven Materialien. Es galt zu zeigen, dass Klassiker durch zeitgeistige Interpretation sich erneut als Klassiker beweisen. Klassiker müssen sich immer wieder neu der Frage nach der Transformation stellen. Was meint das genau? Meiré: Bei der Betrachtung der Hocker und weil ich ja zur Zeit auch selbst beziehungsweise mit Unterstützung durch meinen künstlerischen Assistenten Belà Jansen male, lag der Gedanke nahe, warum bemale ich nicht einfach diese Hocker oder lasse sie bemalen? Verknüpft ist ja Frage, wie kann ich Luxusprodukte in einem Höchstmaß individualisieren. Bei Bulthaup war es die Perfektion, hier bei Artek war eher das Charmante die Triebfeder, etwas ganz Persönliches zu machen, den Pinsel zu nehmen und die Farbe. Schon der Messestand von Artek kommt in diesem Jahr etwas anders als gewohnt daher. Meiré: Artek hatte ja bisher oft einen musealen Gestus bei der Präsentation ihrer Produkte, um deutlich zu machen, dass es historische Klassiker sind. In der Fashion-Industrie geht es aber im Moment um Optimismus, überall sieht man diese opulente Farbigkeit. Auch deshalb wollte ich Artek rausholen aus dieser vermeintlich sicheren Schwarz-Weiss-Grau-Nische. Das Logo taucht in Farbe auf und es gibt Markierungen, die an Sportanlagen erinnern. Wie fiel dann die Wahl auf die Hocker? Meiré: Für mich war interessant, das auf den ersten Blick unscheinbarste Produkt, den Hocker zu nehmen. Bei meiner Malerei, den „Grid Paintings", habe ich schon ein eigenes Farbklima entwickelt. Ausgehend davon habe ich jede Seite des Hockers mit einer anderen Farbe bemalt. Wenn man nun um den Hocker herum geht, entsteht immer ein anderer Eindruck, ein anderes Klima. Wenn ich den Hocker jetzt – metaphorisch – mal vom Sockel der Design-Ikone herunterhole, und mir vorstelle, dass wir mit ihm durch den Tag gehen und wir wissen, dass wir morgens, mittags und abends andere Emotionen haben, wäre es doch schön, einen Hocker zu haben, den wir jede Stunde ein bisschen weiterdrehen und er offenbart jeweils andere Facetten. Ist Ihr Umgang mit dem Hocker nun Aneignung oder Frevel? Meiré: In erster Linie ist es wohl Aneignung, auf keinen Fall aber Frevel. Aus meiner Sicht ist es eine Hommage an Alvar Aalto. Der Hocker wird ja nicht mit Bemalung in Serie gehen. Es ist auch ein Stück Zeitgeist, meine Interpretation. Für mich ist Zeitgeist immer ein Indiz, dass wir uns weiterbewegen. Im Moment ist der Zeitgeist auf Bunt gestellt, und da erregt ein solch farbiges, noch dazu bemaltes Möbel sicher Aufmerksamkeit. Vielleicht füllt sich mancher dadurch ermutigt, anders mit Dingen umzugehen. Produkte, die auf den Dachboden oder in den Keller ausgelagert wurden, neu zu sehen oder persönlich zu interpretieren. Kann oder sollte es mit diesen Gedanken überhaupt noch neue Produkte jenseits solcher Interpretationen geben? Meiré: Nun, ich bin kein Produktdesigner, aber ich glaube, dass beispielsweise Konstantin Grcic schon in der Lage ist, neue Dinge zu schaffen. Aber vieles hängt dann auch vom Unternehmen ab, mit dem man zusammenarbeitet. Und die Frage ist doch, wie definieren wir neu. Artek ist ja mehr als ein Brand, eher schon eine Institution. Die Finnen um Alvar Aalto waren visionärer und hatten mehr Soul als das Bauhaus. Das Bauhaus war sehr ambitioniert, aber eigentlich waren die Möbel zu perfekt, zu kalt. Die Idee von diesen neuen Möbeln hat in der Praxis nicht funktioniert. Kommen die Leute nicht auch zu Ihnen, weil sie Orientierung wollen? Meiré: In der Vergangenheit habe ich ein paar Sachen gemacht, die von anderen aufgegriffen und positiv besprochen wurden. Das gibt mir Sicherheit. Es interessiert mich nicht wirklich, Trends zu setzen. Ich versuche, authentisch zu bleiben, bei dem, was ich tue. Das kann auch bedeuten, Dinge zu machen, die gerade nicht angesagt sind. Was ich hier gemacht habe, fühle ich gerade und kann es für mich vertreten. Die spielerische, optimistische Komponente darf halt nicht fehlen. Artek hat den Mut zum Experiment sogar in seinem Manifest dokumentiert. Noch mal anders gefragt: Wo geht die Reise hin? Meiré: Das nächste Ding ist für mich schon Mut zur Farbe, Mut zum Humor, ein Twinkle zu haben. Wir arbeiten ja seit ein paar Monaten auch für Kenzo. Da spreche ich mit Carol Lim und Humberto Leon, die die Plattform „open ceremoney" gegründet haben und jetzt Kenzo ganz neu denken sollen. Für sie ist Humor ganz wichtig. Man kann Humor wollen und am Ende wird es dann ein Witz. Die Gefahr ist da. Und die Frage: Können wir das Neue überhaupt noch oder wieder zu lassen? Können wir uns erlauben, einen gewissen Farben- und Formen-Kanon zu verlassen? Diese Fragen finde ich gerade spannend. Hat nicht jeder Gestalter einen persönlichen Referenzrahmen? Meiré: Ich habe immer gedacht, ich habe im Editorial Design keinen Stil. Aber durch die Vielzahl der unterschiedlichen Magazine, das hohe Volumen, das wir produzieren, habe ich gemerkt, dass ich schon eine Handschrift habe. Es gibt gewisse Systeme, wie ich mit Bildern und Texten umgehe. Das wird mir immer deutlicher. Ich habe zum Beispiel eine gewisse Vorliebe für Off-Farben. In den Farben der Hocker sehe ich heute eine Farbklima, was ich damals bei Econy (Vorläufer der brand eins, Anmerkung der Redaktion) verwendet habe. Oder wenn man Bilder auf einem Kontaktbogen betrachtet, findet man schnell das perfekte Bild. Oft nehme ich das Bild gerade daneben. Durch die Abweichung vom perfekten Bild, vom perfekten Moment, der gar nicht der perfekte Moment ist, entsteht eine Art ästhetischer Sollbruchstelle. Als wir uns mit dem Hocker zunächst als Modell am Rechner beschäftigt haben, hatten wir das Gefühl, das Hässliche und das Schöne ist in dem Entwurf gleichermaßen drin. Das gilt für mich auch für die Kunst. Isa Genzken hat mal in einer Headline in Artforum geschrieben: „When everything becomes equal." – Wenn alles gleichwertig wird. Das ist so toll gesagt. Das ist mir über Jahre im Kopf geblieben. Beim Arbeiten mit Materialien ist Plastik genauso viel wert wie Chrom. Schönheit ist für mich nicht die Mainstream-Vorstellung vom Goldenen Schnitt. Wenn Dinge nur perfekt schön gemacht sind, ist es langweilig. Da kann man die Frage anschließen, die wir mal bei Dornbracht Conversations diskutiert haben: was ist ordinary oder extra ordinary? Ist es ein Stuhl von Jasper Morrison oder Lady Gaga? Auch deswegen sind die Schemel für mich ein bisschen wie kleine Poltergeister.
Wie kleine Poltergeister
16.04.2012
Mit der Hand gemalt, Foto © Meiré und Meiré
Mit der Hand gemalt, Foto © Meiré und Meiré
Beine des Hockers „60“ von Alvar Aalto, Foto © Meiré und Meiré
Frevel oder gelungene Aneignung? Foto © Meiré und Meiré
Ambivalenz zwischen Nachhaltigen und Überzeitlichen, Foto © Meiré und Meiré
Artek hat den Claim „Buy now, keep forever“, Foto © Meiré und Meiré
Im Moment ist der Zeitgeist auf Bunt gestellt, Foto © Meiré und Meiré
Designskizzen, Grafik © Meiré und Meiré
Sechs Hocker von Alvar Aalto quasi „customized“, Foto © Meiré und Meiré
Mike Meiré, Foto © Tim Giesen
Artek in Milan 2012