Die Geschichte des Büros und seiner Gestaltung ist noch nicht geschrieben. Erstaunlicherweise! Denn wenn man bedenkt, dass in den entwickelten Ländern weit mehr als zwei Drittel der Menschen ihre Arbeitszeit in einem wie auch immer gearteten Büro verbringen, so fehlt es der Thematik doch keineswegs an Relevanz. Woran liegt dieses überraschend geringe Interesse von Designhistorikern und Verlegern an der Genese des Bürodesigns? Etwa daran, dass die meisten Menschen ihren Büroarbeitsplatz nicht lieben? Oder daran, dass bei der Gestaltung von Büromöbeln fast immer Funktionalität und Ökonomie im Vordergrund stehen, die emotionalen Aspekte dagegen eine untergeordnete Rolle spielen? Oder daran, dass auf dem Büromöbelmarkt immer nur das innovative Produkt punktet?
Festzuhalten bleibt, dass Bilder historischer Bürointerieurs ganz im Gegensatz zu alten Wohnungseinrichtungen normalerweise keine bewundernden Regungen auslösen. Während berühmte Wohninterieurs auch nach fünfzig oder sechzig Jahren noch reizvoll und sogar zeitgemäß wirken können – man denke etwa an das Eames-Haus und andere legendären Case Study-Häuser in den Vereinigten Staaten –, so erscheinen einem Büroräume und -möbel aus jener Epoche in ihrer Steifheit und Sterilität oft geradezu steinzeitlich. Sie berühren einen aus heutiger Perspektive fast peinlich, wie eine eher unangenehme Erinnerung an ein längst überwundenes Stadium der Entwicklung.
Zu diesem Befund passt, dass man im Bereich der Büromöbel keine jener „Ikonen“ und zeitbeständigen „Klassiker“ kennt, denen auf dem Markt für Wohnmöbel eine wachsende Bedeutung zukommt. Auch das im Zusammenhang mit den „Klassikern“ so wichtige Thema der „Re-Edition“ spielt entsprechend im Büromarkt allenfalls eine marginale Rolle. Sicher, es gibt einzelne berühmte Büromöbel, die ihren festen Platz in der Designgesichte haben. Henry van de Veldes dynamisch geschwungener Jugendstil-Schreibtisch von 1899 gehört dazu und Marcel Breuers Stahlrohr-Schreibtisch „B65“ von 1930. Auch George Nelsons „Home Office Desk“ von 1947 und noch mehr sein Rolladen-Schreibtisch aus der „Action Office 1“-Serie von 1964 zählen zu dieser Kategorie. Aber besitzen diese Modelle heute eine über ihre historische Bedeutung hinausgehende Relevanz? Der Eiermann-Tisch könnte als die berüchtigte Ausnahme von der Regel gelten, aber streng genommen ist das ja kein Büromöbel im klassischen Sinn.
Die relative Kurzlebigkeit von Büromöbeln erklärt sich vor allem durch deren extreme Abhängigkeit von der Entwicklung der Technik. Der Schreibmaschinentisch ist dafür ein hervorragendes Beispiel. Deutlich kleiner und niedriger als ein normaler Schreibtisch und mit diesem seit den fünfziger Jahren meist in einer winkelförmigen Konfiguration verbunden, tauchte er in den Jahren um 1900 herum auf, als die Schreibmaschine als wichtigste Büromaschine Verbreitung fand. Nachdem dieser Möbeltypus über viele Jahrzehnte ein fester, fallweise sogar zentraler Bestandteil jedes Büro-Interieurs gewesen war, verschwand er quasi über Nacht von der Bildfläche, als sich in den achtziger Jahren der PC in der Bürowelt durchzusetzen begann. Im Druckertisch mag er zwar einen kurzlebigen Nachfahren gefunden haben, mittlerweile aber sind auch diese einst so unverzichtbaren Tischchen praktisch sinn- und nutzlos geworden.
Bemerkenswerter Weise ist die Gestaltung von Büros und Büromöbel – abgesehen von repräsentativen Chef-Büros oder großbürgerlichen Arbeitszimmern – lange Zeit über praktisch kein Thema für bedeutende Gestalter gewesen. Otto Wagner mit dem Postsparkassenamt in Wien von 1906 sowie Frank Llyod Wright mit dem zeitgleich entstanden „Larkin Building“ in Buffalo und dem „Johnson Wax Building“ in Racine von 1939 haben hier Pionierarbeit geleistet. Bei beiden ging es eher weniger um die Entwicklung neuer Bürokonzepte als vielmehr um den Anspruch, einen Bürobau als Gesamtkunstwerk mit zur Architektur passender Möblierung zu gestalten.
Erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts rückte das Büro in den Fokus der Designer. Der erste, der die Wichtigkeit und das Marktpotential der Thematik erkannte war George Nelson, seinerzeit Designchef bei Herman Miller. Er erfand 1947 im Rahmen der „Executive Office Group“ von Miller die erste moderne „Workstation“ und Anfang der sechziger Jahre entwickelte er in Kooperation mit Robert Probst das revolutionäre „Action Office 1“-Programm. Dabei ging es einerseits darum, die physischen und psychischen Bedürfnisse der Angestellten zu berücksichtigen – etwa durch Möbel, die verschiedene Arbeitshaltungen ermöglichen – und andererseits um die Rationalisierung des Arbeitsprozesses. Diese Zielsetzung ist für anspruchsvolle Büro-Programme bis heute ein Leitfaden.
Büro, das bedeutet seit der Mitte des 20. Jahrhunderts für eine wachsende Zahl von Angestellten Arbeit im Großraum. Das berüchtigte und bis heute wenig geliebte Großraumbüro war zunächst eine rein ökonomische Erfindung. Arbeitssäle, in denen eine Vielzahl von Angestellten auf meist engem Raum einer gleichartigen, oft genug gleichförmigen Tätigkeit nachgingen, waren für die Arbeitgeber kostgünstig und erlaubten eine maximale Kontrolle über die Mitarbeiter. Billy Wilder hat diese Art von Großraum 1960 in seinem Film „Das Apartment“ unvergesslich in Szene gesetzt.
Dass das Großraumbüro auch anders funktionieren kann, bewies ungefähr zur gleichen Zeit die deutsche Planergruppe „Quickborner Team“ mit der folgenreichen Erfindung der Bürolandschaft. Das Ziel des Quickborner Teams war es, die starren und vielfach ineffektiven Strukturen großer Bürokratieapparate aufzubrechen und die räumliche Organisation des Büros in Abhängigkeit von Arbeitsabläufen und internen Kommunikationsbedürfnissen zu konzipieren. Diese Idee hatte etwas Bezwingendes und verbreitet sich innerhalb relativ kurzer Zeit auf der ganzen Welt. Als das erste Büromöbel-Programm, das auf diese neuartige Büroorganisation in nahezu optimaler Weise abgestimmt war, gilt das von Robert Probst für Hermann Miller entworfene und kommerziell extrem erfolgreiche „Action Office 2“. Dieses modular aufgebaute Möblierungssystem, das breit gefächerten funktionalen Anforderungen gerecht wurde und zugleich vielfältige räumliche Konstellationen ermöglichte, hatte bis in die achtziger Jahre hinein Referenzcharakter. Alternative Möbelprogramme anderer Hersteller, die natürlich nicht lange auf sich warten ließen, mochten sich in ästhetischer Hinsicht sowie in technisch-konstruktiven Details davon abheben – die grundlegende Idee blieb stets die gleiche.
Im nächsten Teil geht es darum, warum das Büro ist, was es heute ist...