Als der amerikanische Designer George Nelson Mitte der siebziger Jahre den Auftrag erhielt, das Verwaltungsgebäude einer Versicherungsgesellschaft einzurichten, unterzog er alle damals auf dem Markt verfügbaren Bürosysteme einer kritischen Analyse. Sein Fazit war niederschmetternd: Obwohl sämtliche Möbelsysteme explizit für die Einrichtung von Bürolandschaften entworfen worden seien, tauge – so sein deprimierendes Resümee – keines davon dazu, menschenwürdige Büros zu schaffen. Besonders kritisch beurteilte Nelson die zur Abgrenzung der einzelnen Arbeitskompartimente gebräuchlichen Trennwände: „In fast allen begutachteten Installationen bestand die einzige Aussicht, die sich der Mehrzahl der Mitarbeiter bot, in einem ungehinderten Blick auf die von Neonröhren erhellte Decke. Das Konzept der offenen Bürolandschaft war zugunsten eines letztlich albtraumhaften Labyrinths aus Trennwänden aufgegeben worden, das einem ein schlimmeres klaustrophobisches Gefühl vermittelte als das alte Zellenbüro.“
Die von Nelson – und nicht nur von ihm – zu Recht kritisierten engen Arbeitskuben sind bis heute das Kardinalproblem des modernen Großraumbüros und haben wesentlich zu seinem schlechten Leumund beigetragen. Noch immer prägt das berühmt-berüchtigte „Cubicle“ den Arbeitsalltag zahlreicher Büroangestellter auf der ganzen Welt; und noch immer taugt es als Negativfolie bei der Konzeption „menschenfreundlicher“ Bürolösungen.
Überblickt man die Veränderungen der Bürowelt in der jüngeren Vergangenheit, lässt sich der Wandel im wesentlichen auf zwei Ursachen zurückführen: Zum einen auf die phasenweise rasante technische Entwicklung der Arbeits- und Kommunikationsmittel im Büro; zum anderen auf die vielfältigen Bemühungen um eine Humanisierung und um eine zeitgemäße Organisation der Büroarbeit.
Die technische Entwicklung kann mit den Stichworten Digitalisierung, Miniaturisierung und Mobilisierung umrissen werden. Die Durchsetzung der elektronischen Datenverarbeitung manifestierte sich im Büro vor allem durch den Siegeszug des Personal Computers in Form von zunächst voluminösen Desktop-Geräten und raumfressenden Röhrenbildschirmen. Sie verdrängten seit den achtziger Jahren die bis dahin gebräuchlichen Schreib- und Rechenmaschinen. Flachbildschirme und vergleichsweise winzige Rechner ersetzen dann etwa seit der Jahrtausendwende diese schon heute antiquiert anmutenden Kisten, wenn sie nicht gleich gegen mobile Laptops ausgetauscht wurden. Entsprechend reduzierte sich der Platzbedarf auf den Schreibtischen. Parallel dazu etablierten sich firmeninterne und externe Netzwerke (Intra- und Internet), die die Datenspeicherung, die Informationsbeschaffung und vor allem auch die Kommunikation (E-Mail) radikal veränderten. Die Entwicklung der drahtlosen Kommunikation, der dafür notwendigen Infrastruktur – Funknetze, W-Lan, Hotspots et cetera – sowie der dazu tauglichen Gerätschaften – Handy, Smartphones und jüngst Tablet-Computer – sorgen dafür, dass klassische Büroarbeit heute weniger denn je ortsgebunden ist. Diese von vielen Menschen als Segen und Fluch zugleich empfundene Mobilität bildet auf der technischen Seite die Voraussetzung für zeitgenössische Bürokonzepte wie das „nomadische Büro“, die das Prinzip des Desksharing propagieren und die Schaffung non-territorialer Arbeitsplätze vorsehen.
Angesichts der rasant fortschreitenden Digitalisierung wurde in den 1990er Jahren das papierlose Büro ausgerufen. Auch wenn sich die damit verbundenen Erwartungen bis heute nicht in vollem Umfang erfüllt haben, so geht die Entwicklung doch eindeutig in diese Richtung. Schränke, Regale, Hängeregistraturen und Schubladenkästen zur Aufbewahrung von Akten und Unterlagen, die früher einen wesentlichen Bestandteil der Büroeinrichtung ausmachten, werden kaum noch benötigt. Gefragt sind vielmehr Schließfächer, in denen sich die wenigen Utensilien der Angestellten bei Abwesenheit sicher verstauen und mobile Trolleys, in denen sie sich bequem durchs Büro bewegen lassen.
Seit jeher standen bei der Gestaltung des Büros technisch-funktionale Aspekte sowie Fragen der Effizienz und Ökonomie im Vordergrund. Menschliche Bedürfnisse wurden dabei nur insoweit berücksichtigt, als diese sich empirisch nachweisen und quantifizieren lassen. Die Bemühungen um die ergonomische Gestaltung von Büroarbeitsplätzen, die in zahlreichen Normen ihren Ausdruck gefunden hat, steht dazu nicht im Widerspruch. Denn dabei geht es in erster Linie um das physische Wohlbefinden und die damit verbundene Leistungsfähigkeit der Angestellten. An diesem gleichsam verengten Blick auf den arbeitenden Menschen krankt die Büromöbelbranche bis heute, wie einem ein Besuch der Fachmesse Orgatec alle zwei Jahre aufs Neue vor Augen führt.
Eine Zäsur in der Entwicklung von Bürokonzepten markiert in diesem Zusammenhang das Anfang der 1990er Jahre vom Vitra Chairman Rolf Fehlbaum initiierte Forschungs- und Ausstellungsprojekt „Citizen Office. Ideen und Notizen zu einer neuen Bürowelt“. In Kooperation mit Andrea Branzi, Michele De Lucchi, Ettore Sottsass und James Irvine wurde hier eine experimentelle und zugleich wegweisende Bürovision entwickelt, die auf der eigentlich banalen, in der Tat aber revolutionäre These basierte, dass das Büro eben nicht nur einen Arbeits-, sondern zugleich einen Lebensraum darstellt. Akzeptiert man diesen Gedanken, so folgt daraus, dass bei der Gestaltung von Büros auch die emotionalen und sozialen Bedürfnisse der Angestellten in angemessener Form berücksichtigt werden müssen.
Vitra hat sich seither als Thinktank der Branche etabliert und eine Reihe von Bürokonzepten vorgelegt, in die zentrale Erkenntnisse von „Citizen Office“, etwa die Integration betont wohnlicher Aspekte in die Bürogestaltung, eingeflossen sind. Als ein Büro das einerseits auf Teamwork und Kommunikation hin optimiert wurde und gleichzeitig den Bedürfnisse der Angestellten nach Individualität, Privatsphäre und Rückzugsmöglichkeit entsprach, präsentierte sich das 2008 lancierte und mittlerweile weiter entwickelte Konzept von „Net‘n‘Nest“. Es überraschte mit dezidiert informell gestalteten Bereichen, die eher nach privatem Wohnzimmer oder gepflegter Lounge aussahen als nach Büro. Sie dienen freilich nicht als Einladung zum Faulenzen, sondern als Orte der temporären Entspannung, der konzentrierten Einzelarbeit oder der informellen Besprechung.
Die Idee, das Büro als abwechslungsreichen, anregenden und inspirierenden Arbeitsplatz zu gestalten, entspricht den Bedürfnissen der Zeit und geht von einem selbstbewusst agierenden Angestellten aus, dessen Anspruch auf Selbstbestimmung auch die Wahl des Arbeitsplatzes und die Gestaltung seines Arbeitsumfeldes einschließt. Ob freilich so extreme Lösungen wie das viel beachtete Europa-Hauptquartier von Google in Zürich, das zumindest in Teilen wie eine Mischung aus Abenteuerspielplatz für Erwachsene, Jugendfreizeitstätte und Erlebnisgastronomie anmutet, die Zukunft des Büros repräsentieren, darf man bezweifeln.