Berliner Hipster-Export
Eine Fabriketage hinter dem Berliner Hauptbahnhof. Schon am Eingang stapeln sich Kisten und Verpackungsmaterial. Überall stehen Tische und Stühle, dazwischen ein Sofa und eine Vitrine. Materialproben, Modelle, Skizzen, Kram – in Werner Aisslingers Studio regiert das kreative Chaos. An Bildschirmen sitzen junge Frauen und Männer, die leise ihre Arbeit machen. Der Chef ist noch nicht da. Er ist beim Metallbauer, die Prototypen für die Sanitärmesse ISH müssen fertig werden. Als Werner Aisslinger dann tatsächlich auftaucht, muss er eigentlich gleich wieder weg. Ein Prototyp muss zum Pulverbeschichter. Also wird unser Gespräch kurzerhand ins Auto verlegt. Bitte einsteigen in den schwarzen Kombi, und los geht’s in den Feierabendverkehr.
Nun ist das Auto ohnehin der perfekte Ort für ein Gespräch mit Werner Aisslinger, denn Unterwegssein ist sein Lebensstil. Wie viele andere Designer tingelt er von Kunde zu Kunde, von Messe zu Messe, und nebenbei unterhält er auch noch eine Firma in Singapur. Vor allem aber ist das Reisen eines der zentralen Themen seiner Arbeit, denn Aisslinger konzipiert Hotels. Er gestaltet die Einrichtung der öffentlichen Bereiche und der Zimmer, aber auch die Geschichten, die das Haus den Besuchern erzählen soll.
Das Michelberger Hotel im Berliner Osten weckte 2009 das Interesse der Branche; mit dem 25hours Bikini Berlin landete Aisslinger dann 2013 einen weltweit beachteten Erfolg, zumal das Hotel eine Auslastungsquote von rund 90 Prozent und ein beliebtes Restaurant vorweisen kann.
Aktuell stehen zwei weitere, von Aisslinger gestaltete Hotels vor der Fertigstellung: Nächste Woche eröffnet das „Hobo“, ein 200-Zimmer-Hotel für Nordic Choice in Stockholm, und am 1. April ein neues Haus für die 25hours-Hotelgruppe in Zürich. Das Hobo liegt zentral im Stockholmer Stadtteil Norrmalm, in einem Gebäude aus dem Jahr 1974. In der Nachbarschaft befinden sich zwei Häuser des prominenten schwedischen Architekten Peter Celsing, die „Riksbank“ (1976) und das „Kulturhuset“ (1966). Die ganze Gegend wird gerade revitalisiert, direkt neben dem Hobo eröffnet Nordic Choice mit dem „At Six“ ein weiteres Hotel.
„Es ist ehrenvoll, dass wir als Deutsche in Stockholm ein Hotel einrichten können“, sagt Aisslinger, während er mit einem Schlenker über die Busspur den Ampelstau umfährt. „Viele Leute haben uns gesagt, dass das eine Ausnahme wäre. Es gibt in Skandinavien schließlich genug gute Architekten und Innenarchitekten. Wir haben ihnen nichts voraus.“ Dass er trotzdem den Auftrag bekam, erklärt sich der 1964 geborene Designer so: „Stockholm oder Kopenhagen sind elegante, prosperierende Orte, aber sie sehnen sich ein bisschen nach Berlin.“ Er habe jedoch nicht einfach den Bikini-Stil exportieren wollen, vielmehr sei es ihm darum gegangen, das Berliner Chaos mitzubringen: „Wir haben versucht, etwas Collagehaftes und Unkonventionelles zu bauen, eine offene, loftartige Atmosphäre zu schaffen.“
Das Erdgeschoss des Hobo hinter einer Glasfassade empfängt die Gäste dann auch mit einer informellen Rezeption und einer langgestreckten Bar. Es gibt einen Pop-up-Raum, der alle sechs Wochen neu bespielt werden soll. Zur Eröffnung habe sich dort ein Barber-Shop eingerichtet. Auch in Stockholm hat Aisslinger also einige seiner Lieblingsthemen untergebracht, beispielsweise die Pflanzen, die in den öffentlichen Bereichen von der Decke hängen. In einer Indoor-Farm im Eingangsbereich wachsen Kräuter und Gewürze für Restaurant und Bar. Auch der eklektische Mix aus Neu und Alt, „Rohem“ und „Gekochtem“, aus High-End-Design und Flohmarkt, ist typisch Aisslinger.
Mittlerweile sind wir auf einem Gewerbehof in Berlin-Schöneberg angekommen. Aisslinger holt den Prototyp aus dem Kofferraum und verschwindet in der Wellblechhalle. Sein Auto ist im Gegensatz zum Studio aufgeräumt; nur ein paar Parkquittungen und eine Dose Kaugummis liegen in der Ablage. Zurück am Steuer, berichtet er amüsiert von den 45 fensterlosen Zimmern, die es im Hobo einzurichten galt: „Im Rest der Welt wäre es illegal, in Skandinavien sind solche Zimmer sehr beliebt, weil sie günstig sind.“
In allen anderen Zimmern hat Aisslinger das Bett direkt vor dem Fenster aufstellen lassen. Zum einen, um Fläche zu sparen und den Raum unkonventionell zu organisieren; zum anderen, damit die Gäste beim Aufwachen den Blick in den Himmel oder über die Stadt genießen können. Das Kopfteil des Bettes dient zugleich als Raumteiler, daran schließt sich eine schmale Platte als Tisch und Ablagefläche an. Offene Borde, Haken und Kleiderstangen ersetzen den Schrank. „Ein riesiger Raumverdränger“, kommentiert Aisslinger. „Heute kommt doch niemand mehr mit einem Überseekoffer und hängt dreißig Jacketts auf.“
Zudem hat er eigens für das Hobo eine neue Leuchtenfamilie aus Kunststoff entworfen, produziert vom schwedischen Hersteller Wästberg. „Wästberg war sehr interessiert an dem Projekt“, sagt er. „Damit können sie sich einen Massenmarkt erschließen, die Leuchte kostet nur rund 150 Euro.“ Mit der italienischen Möbelmarke Cappellini hat er zudem ein neues Sofa entwickelt, das demnächst beim Salone del Mobile in Mailand offiziell vorgestellt wird.
So schließt sich mit den Hotelprojekten für Aisslinger der Kreis zum Produktdesign. Ursprünglich sein Kerngeschäft, sieht er die Branche heute kritisch: „Ökonomisch betrachtet, ist Produktdesign ein inkonsistentes Geschäft“, erklärt er. Es sei schwierig geworden, ein Objekt so oft zu verkaufen, dass überhaupt eine nennenswerte Summe an Lizenzgebühren zusammenkäme. „Leider reicht es oft nur für einmal Essengehen im Jahr. Ich bin froh, dass ich nicht mehr so abhängig bin vom Produktdesign.“ Projekte im Bereich Innenarchitektur seien dagegen besser zu kalkulieren. Ein Projekt dauere zwei bis drei Jahre und finanziere zwei oder drei Mitarbeiter. „Und wenn es gut läuft, bleibt auch noch was übrig.“
Unsere gemeinsame Fahrt durch Berlin endet in Charlottenburg. Er muss weiter, zurück ins Studio. Am nächsten Tag geht es nach München, kurz darauf nach Paris, danach zur ISH nach Frankfurt. Werner Aisslinger ist immer unterwegs.
Hotel Hobo
Brunkeborgstorg 4
Stockholm, Schweden