Über dem stromlinienförmigen „Dymaxion Car", einem kompakten Stadtauto mit niedrigem Verbrauch, schwebt ein silbriges Luftschiff, das Leichtbautürme in aller Welt absetzen kann, zum Bau von Funkantennen, von Windkraft-rotoren, was auch immer gerade gebraucht wird. Für den Katastrophenfall gibt es billige, durchaus komfortable Notunterkünfte in runden Leichtmetallhäusern, die wie Zelte unter einem Tragemast aufgespannt werden. Richard Buckminster Fuller nennt sie „Dymaxion House", weil sie sich „dynamisch" der Umgebung anpassen, „maximal" alle Ressourcen nutzen und auf „tension" basieren, also nach dem Prinzip der Spannung und nicht konventionell mit tragenden Stützen errichtet werden. Die umwälzenden Ideen des amerikanischen Architekten und Universalgenies blieben in den frühen dreißiger Jahren Entwürfe. Nun sind sie im „Marta" in Herford zu sehen.
Die Vorzüge des „Dymaxion Car", Energieeffizienz und Ressourcenschonung, überzeugten nicht in der Ära chromblitzender Straßenkreuzer. Drei Prototypen, die Buckminster mühsam finanziert hatte, verstaubten und wanderten bestenfalls in die Garage eines Designsammlers. Für die Ausstellung aber hat Norman Foster jetzt ein beeindruckendes Museumsmodell anfertigen lassen: Der britische Architekt verdankt einen Gutteil seines Erfolgs – und nicht zuletzt die Idee für die Berliner Reichstagskuppel – der zwölfjährigen Zusammenarbeit mit dem 1983 gestorbenen „Bucky" Fuller. Dessen Metapher vom bedrohten „Raumschiff Erde" prägte früh schon Fosters Gestaltungsansatz. Heute haben Klimaschützer und Umweltpolitiker die publikumswirksame Formel auf ihr Panier geschrieben. Architekten und Designer beschäftigen sich mit Fullers nicht nur statisch, sondern auch ästhetisch verblüffenden Entwürfen. Möglicherweise aber verkennen sie die besonderen Qualitäten des eigenbrötlerischen Lebensreformers.
Auf den selten ausgeliehenen Originalzeichnungen, den Auf- und Grundrissen dominieren Zahlen und mathematische Formeln, aber Fuller war durchaus kein Erbsenzähler. Sein entscheidendes Kindheitserlebnis war die Konstruktion eines Modellhäuschens aus Erbsen und Zahnstochern, für einen schielenden Elfjährigen kein leichtes Unterfangen: Weil er Rechteckiges nicht wahrnehmen konnte, reihte Little Richard lauter Dreiecke an- und übereinander, fand so die Grundformel für jene geodätischen Kuppeln, die später als Erwachsener zu seinem Markenzeichen wurden. Allerdings nicht in der von ihm favorisierten Form als Klimahüllen, sondern in Gestalt weißer Kuppeln über Radarantennen, als Ikonen des Kalten Kriegs.
Derartig profane Nutzanwendungen sind aber nicht das Thema von „Bucky Fuller & Spaceship Earth", einer Ausstellung, die Fragestellungen und vor allem den Zusammenhang zwischen physikalischem Experiment und visionärem, aber durchaus pragmatischem Denken veranschaulichen will. Buckminster Fuller war kein unbedarfter Tüftler, sondern ein Designer, der seine Ideen mit einem Brückenschlag zwischen Naturwissenschaft und spielerischer Gestaltung sowie freier Kunst zu realisieren verstand. Ganz ohne Computer, allein im Medium der zuerst schwungvoll skizzierten, dann zunehmend präziser ausgeführten Zeichnung.
Diese Denkbewegung nachzuvollziehen, die Formfindungen Buckminster Fullers als konstruktive Opposition gegen den trägen Zeitgeist weiterzuführen, sind jetzt zeitgenössische Künstler unter dem Titel „Wir sind alle Astronauten" angetreten. In diesem zweiten Teil der Herforder Doppelschau lässt Pedro Reyes mit seinem „Ciclomóvil", einer Stromlinien-Fahrradrikscha für die vom Verkehrskollaps heimgesuchte Metropole, nicht nur ganz konkret Fullers „Dymaxion Car" aufleben, sondern verweist vor allem auf seinen Ansatz des „Comprehensive Design". Damals kam dafür kam allein ein Spezialist infrage, als „Synthese aus Künstler, Erfinder, Mechaniker, praktischer Ökonom und evolutionärem Strategen". Heute muss gleich ein ganzes Dutzend Künstler diese Aufgaben unter sich aufteilen. Überaus praktisch sind beispielsweise Olafur Eliassons optische Spiegelfechtereien, wenn es um Aufmerksamkeitsökonomie geht. Als Städtebaustratege erweist sich Tomás Saraceno mit dem Panorama einer Stadt, über deren Häusermeer sich geodätische Kuppeln wölben. Ai Weiwei, der in China inhaftierte Künstler, lässt den ansonsten ausgeblendeten politischen Aspekt anklingen, indem er die Grundfigur des dreidimensionalen Oktaeders auf dem Boden zum bedrohlichen Monument aus scharfkantigen Messingplatten ausrollt. Umgekehrt entsteht ein Oktaeder-Körper aus sechzehn halbierten Quadraten beim Kinderspiel „Himmel und Hölle" durch simples Falten eines DIN-A4-Bogens. Wie man diese Papierhütchen als „Nasenkneifer" oder „Salznäpfchen" auf vier Fingern tanzen lässt, zeigt Simon Dybbroe Møller mit einer traulich ratternden Super-Acht-Filmprojektion.
Da deutet sich der Abschied an von jenem multimedial überinstrumentierten Firlefanz, mit dem Buckminster Fuller keinesfalls beizukommen ist. Der Architekt setzte nie auf überwältigende Bilder, sondern allein auf grundstürzende Ideen. Damit brachte er zwar nicht die Welt, aber immerhin einige eingefahrene Begriffe und alle platonischen Körper zum Tanzen. Anschaulich wird diese Magie der noch nicht computerisierten Mathematik im mechanischen Marionettentheater von Attila Csörgös, der anstelle der Puppen Polyeder auftreten lässt. Mittels eines simplen Stabilbaukastens wird aus einem Kuboktaeder ein Oktaeder, dann ein Tetraeder – und schließlich wird alles wieder zurückverwandelt.
„Bucky Fuller & Spaceship Earth" und „Wir sind alle Astronauten"
Marta Herford
11. Juni bis 18. September 2011
www.marta-herford.de