Wie ein Ornament legt sich „Crystal Mesh“ über die Fassade des Gebäudekomplex „Iluma“ in Singapur. Unregelmäßige Module aus Polycarbonat, weiß und teilweise transluzent, liefern schon am Tag ein ungewöhnlich abwechslungsreiches Gebäudebild. Doch was tagsüber wie eine kristalline Fassadenstruktur mit Anleihen an Ausdrucksformen der sechziger und siebziger Jahre erscheint, erwacht mit Einsetzen der Dunkelheit zu einer neuartigen Dynamik. Integrierte Lichttechnik sorgt dafür, dass die gesamte Gebäudehülle wie ein riesiger Monitor wirkt. Ein Monitor allerdings, der sich durch Anordnung und Oberfläche der Fassaden- und Lichtelemente deutlich von herkömmlichen Bildschirmen unterscheidet. Es fehlt die gewohnte Regelmäßigkeit der Oberfläche. Bunt, außergewöhnlich und vor allem dynamisch hat das Berliner Architekturbüro realities:united die Fassade und damit das Gebäude inszeniert.
Ursprünglich war die Fassade die „Schauseite“ eines Gebäudes. Die Seite des Baukörpers, die der Umgebung und den Betrachtern einen Eindruck über den Zweck und die Funktion des Gebäudes, von seinem architektonischen Anspruch und seiner Beziehung zum Ort vermitteln sollte. Die Fassade ist oft aufwändiger gestaltet als die übrigen Seiten des Bauwerks und mit anderen, wertvolleren Materialien versehen. Ein Ansatz, der mit den Medienfassaden eine Renaissance erlebt, ein Wiederaufleben des Zeigens und Präsentierens, jedoch in künstlerischer Hinsicht mitunter über den geschichtlichen Kontext hinausgeht.
Bekannt sind die Bilder von Medienfassaden schon aus den frühen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, als beispielsweise am New Yorker Times Square Werbetafeln in buntem Licht erstrahlten und erste simpel animierte Leuchtbänder den Glanz der Broadway-Inszenierungen widerspiegelten. Zu Beginn waren diese ersten Medienfassaden statisch, einfache Plakate und Poster, die übergroß meist genau auf das Bauwerk angepasst wurden. Ohne einen direkten Bezug zum Gebäude oder dessen Inhalten zu liefern, waren sie aber eben nur Oberfläche, eine Ergänzung, welche auf Anderes, Externes verweist.
Zeitgenössische Beispiele wie „Crystal Mesh“ von realities:united nutzen die Möglichkeiten von neuartigen Materialien, aufwändigen Konstruktionen und komplexen Steuermöglichkeiten, um über diesen Zustand hinaus zu gehen. Die Fassade wird zunehmend dynamisch. Das veränderbare Bild der Gebäudehülle bietet nun die Möglichkeit, neue Zusammenhänge zwischen Gebäude, Ort und Funktion herzustellen.
Entsteht mit den Medienfassaden ein Kommunikationstool? „Ich sehe in den Medienfassaden eine Erweiterung der Ästhetik, denn Medienfassaden schaffen per se keinen neuen Nutzen“, sagt Tim Edler, Geschäftsführer und Gründer von realities:united. Architektur sei als Versuch zu sehen, so Tim Edler, die Elemente der jeweiligen Umgebung zu ordnen. Dank dynamischer Medienfassaden ist der Austausch des Gebäudes mit seiner Umgebung, dem Ort und den Menschen, den Anwohnern und Passanten nun jedoch direkter und schneller möglich.
Schon 2003 entwarfen die Architekten von realities:united die Medienfassade „BIX“ für das Kunsthaus Graz in Österreich. Aus einer ersten Idee der Architekten, mit einem Blinken der Fassade auf das Ende der im Gebäude stattfindenden Ausstellungen hinzuweisen, ist in der Auseinandersetzung mit der Architektur des Kunsthauses, aber auch den technischen Möglichkeiten, eine komplexe Installation entstanden, die in allen Details auf das Gebäude abgestimmt ist. Nicht LED, sondern bewährte Leuchtstoffröhren kommen dort auch wegen ihrer technischen Verlässlichkeit zum Einsatz. Die Technik und ein begrenztes Budget waren die bestimmenden Rahmenbedingungen, die schließlich eine grobe Matrix mit 930 „Pixeln“ aus Leuchtstoffröhren bedingten. Dank einer eigens entwickelten Software lässt sich BIX trotz der technischen Einschränkungen – denn die Projektionsfläche hat nur einen Bruchteil der Auflösung eines herkömmlichen TV-Bildschirms und ist lediglich monochrom –vielfältig bespielen. Die Bilder sind entweder explizit für BIX geschaffen worden oder ergeben sich aus den Ausstellungen, die im Kunsthaus gezeigt werden.
Neben den künstlerischen Ansätzen bei Medienfassaden sind auch die Versuche, weitergehende technische Konzepte in die neuartigen Gebäudehüllen zu integrieren, interessant. „GreenPix“, ein 2008 fertig gestelltes Projekt des amerikanischen Architekturbüros Simone Giostra & Partners, ist die Kombination aus Display-Elementen mit farbigen LED- und Photovoltaik-Modulen in einer vorgehängten Glasfassade. Nach Angabe der Architekten ist die in Peking installierte Medienfassade energetisch selbstversorgend. Die tagsüber durch die Photovoltaik-Module gewonnene elektrische Energie wird genutzt, um bei Dunkelheit die LED-Elemente mit Strom zu versorgen.
Den genannten Beispielen ist gemein, dass sie Medienfassaden als eigenständige Ausdrucksform begreifen. Die Gebäudehüllen werden dabei eben nicht als simple Abspielflächen für Botschaften oder Werbung gesehen, ein Ansinnen, das viele Investoren dennoch immer wieder vorbringen. Doch selbst wenn überdimensionierte Bildschirme unabwendbar auf der Fassade landen, lassen sich Ansätze finden, diese Präsentationsflächen in einen größeren konzeptionellen Zusammenhang zu integrieren. Ein Bürogebäude in Singapur haben realities:united neben einem großen Werbebildschirm mit dynamischen Leuchtelementen ausgestattet. So entstand 2008 die Fassaden-Installation „Architectural Advertising Amplifier”, bei der die Elemente computergesteuert farblich auf die gezeigten Werbevideos reagieren. Auf diese Weise erfolgte in gewissem Sinne eine Integration der fremden Inhalte, ja fast ein Dialog des Gebäudes mit dem gezeigten Videomaterial.