„Die Mutter aller Teppiche ist der persische Teppich", sagt Hossein Rezvani in deutlich näselnder, hanseatischer Tonlage. Seit Generationen kennt sich die Familie des Deutsch-Iraners im Teppichhandel aus. Vor zwei Jahren dann hat der Junior des Hauses sein eigenes Label gegründet und stellt seine persischen Teppiche normalerweise in einem eigenen Showroom an der Alster aus. Doch auf der Domotex präsentierte der Hamburger die handgeknüpften Schätze aus Isfahan auch auf einem kleinen Messestand in Hannover. 45.000 Besucher und mehr als 1.300 Aussteller konnte die führende internationale Messe für Bodenbeläge dieses Jahr verzeichnen. Die steigendende Besucherzahl dokumentiert das wachsende Interesse an einer Branche, die viele Optionen für die Zukunft bietet und wie keine andere Handwerk und Hightech verbindet. Wie sehr die Sehnsucht nach generationenübergreifenden Traditionen, nach Natur und Handwerk zunimmt, und mit welchen Mitteln und Möglichkeiten die Branche darauf reagiert, ließ sich in Hannover nicht nur am Stand von Hossein Rezvani studieren.
Persien, Tibet und Nepal
Mit etwa einer Millionen Knoten pro Quadratmeter werden persische Teppiche aus Wolle und Seide in sechs bis acht Monaten handgeknüpft, als Unikate in der ganzen Welt mit Ausnahme der Vereinigten Staaten verkauft, wo seit letztem Jahr ein Embargo die Einfuhr unterbindet. Oft werden sie über Generationen vererbt und breiten am Stand von Rezvani schillernde Landschaften oder abstrakte Muster aus, die sich auf traditionelle Patterns beziehen und sie reinterpretieren. Statt industrieller Massenware setzen viele Teppichlabel im Premium-Bereich auf eine Handwerkstradition, die nicht nur in Persien, sondern auch in Nepal und Tibet seit Jahrhunderten weitergegeben wird, und mit einfachen Materialien wie Brennnesseln oder Wolle auskommt. Einige europäische Firmen fördern – wie die Wiener Teppichmarke Vartian – sogar Schulen und Krankenhäuser vor Ort, um sicher zu stellen, dass die Kunst des Teppichknüpfens –ein von der Unesco geschütztes Erbe – nicht verloren geht.
Das „Natürliche" war eine der drei großen Entwicklungen, die der Textildesigner Ulf Moritz in der Ausstellung „Floor Forum" neben klassischen sowie modischen Designs, Farben und Produktionsmethoden als Trend auch für maschinengefertigte Teppiche ausmachte. Mit gefilzten Garnen, in Schlingen gewebten Kunstfasern oder recycelten Papierresten lassen die Teppiche Unregelmäßigkeiten zu, die an einen handwerklichen Hintergrund denken lassen und dennoch maschinell produziert werden. Mit der zunehmenden Verfeinerung der Herstellungsmethoden werden Customized-Produkte möglich. Außerdem hat sich die Welt der Teppiche längst von ihrer im Westen oft allzu einfach hingenommenen Funktion gelöst und präsentiert heute viel mehr als nur den Bodenbelag. Durch Teppiche entstehen Sitzgelegenheiten und Bilder, räumliche Stimmungen und sinnliche Interieurs, die auf die Zukunft verweisen oder gezielt den Kontext zur Tradition herstellen und Räumen einen eigenen Charakter geben.
Intelligente Böden
Wie aber sieht der Boden der Zukunft überhaupt aus? Was kann er leisten und was wünschen wir uns von ihm? Uzin Utz aus Stuttgart nutzte ihr hundertjähriges Firmenjubiläum, um über diese Fragen gemeinsam mit Experten und Hochschulen nachzudenken und stellte die Ergebnisse dieser Feldforschung auf der Domotex aus. Die unter dem Titel „Die Zukunft unter uns" zusammengetragenen Visionen bestechen durch ihre unkonventionelle Selbstverständlichkeit: Warum soll ein Boden nicht weich sein und an verschiedenen Stellen sogar nachgeben, als ob er gepolstert wäre? Können Böden in Zukunft vielleicht ähnlich wie Magnetfelder Energie transportieren? Was passiert, wenn Boden und Decke als ein leichtes, bewegliches Material oder ein Stück mobiler Architektur in verschiedene Umgebungen übertragbar sind wie eine flexible Luftmatratze, die nebenbei auch noch Möbel und Landschaften im Innenraum formt?
Digitaldruck und Vintage-Look
Für den Parkett- und Laminathersteller Parador hat die Zukunft des Bodens in Teilen bereits angefangen. Auf der Domotex stellte das Unternehmen aus Coesfeld ein Laminat-Programm vor, das frei kreierte Dekore von Kunden mithilfe eines eigens entwickelten Druckverfahrens möglich macht. „Parador Identity" nennen sich die Laminate mit Kunstdruck-Qualität, welche Kunden vom vorgegebenen Dekorsortiment unabhängig werden lassen. Eine sogenannte „Design-Bibliothek" mit breit gefächerten Motivvorschlägen und graphischen Elementen kommt weniger erfahrenen Zeichnern zu Hilfe.
Unterschiedliche Dekore im Vintage-Look stellte das Schweizer Unternehmen Bauwerk Parkett aus: Das Parkettholz wurde dazu in drei Auflagen mit Farben behandelt, abgeschliffen und versiegelt. Die Leidenschaft für Gelebtes und Gebrauchtes, die Schönheit einer Patina von verwitterten Fassaden und abgelaufenen Böden hätten sie zur Vintage Edition inspiriert, meint die Designerin Virginia Maissen von der Creative Agentur Gustave. Individuell zusammengestellt entsteht durch die Vintage Edition ein farblich variables Parkett, das auch nach mehreren Jahren noch abgeschliffen werden kann und sich dann in seinem unbehandelten Naturfarbton präsentiert.
Recycling de Luxe
„Souk Deluxe" nannte sich die Sonderschau handgefertigter Teppiche, die Jan Kath zusammenstellte. Traditionelle Knüpftechnik und modernes Design trafen in der großflächigen Ausstellung, deren Titel die Bezeichnung arabischer Geschäftsviertel aufnimmt, zusammen – mit Beispielen von Michaela Schleypen, Jürgen Dahlmanns und anderen Designern. Unterschiedliche Materialien wie Hochlandwolle und Jeans waren dabei in einem bunten Mix innovativer Ansätze vertreten. An seinem eigenen Stand zeigte Jan Kath ungewöhnliche Dekore in Verfremdungstechnik, die in den Färbereien, den Spinnereien und der großen Knüpfhalle des Unternehmens weit entfernt vom Firmensitz in Bochum gefertigt werden – in der Nähe von Kathmandu. Alte Techniken und moderne Dekore, Verfremdungseffekte und traditionelle Muster treffen in den insgesamt sieben neuen Kollektionen von Jan Kath aufeinander. Die Saari-Teppiche zum Beispiel wurden aus grell leuchtenden Farben recycelter Saaris hergestellt. Und die großen bunten Blumenmuster der Kollektion „From Russia with Love" greifen Motive der Volkskunst aus Sibirien auf, die in Tibet geknüpft wurden. Seit Jahrhunderten hat sich am Handwerk des Teppichknüpfens wenig geändert. Doch die alten Techniken werden durch Farben, zeitgenössische Dekore, neue Materialien und dreidimensionale Ornamente zu eindrücklichen Beispielen eines modernen Designs, das sich zu seinen Wurzeln bekennt.