Es ist wieder einmal alles neu, im Studio der „Tagesschau“. Zu Beginn ertönen zwar noch die bekannten Fanfaren, doch klingen diese nun ein wenig wie die Musik zu „Star Trek“. 23,4 Millionen Euro hat die ARD in das 320 Quadratmeter große Studio investiert, in dem gleich mehrere Veränderungen hervorstechen: Statt einer, gibt es jetzt zwei wie Wurfkreuze geformte Theken, der Raum wird dominiert von einer Medienwand im Panoramaformat, die Moderatorinnen und Moderatoren müssen sich mehr bewegen und der Boden ist beplankt. Glaubt man den Machern der Tagesschau, so dient die große Medienwand der besseren Vermittlung, sprich, einer besseren optischen Umsetzung von Nachrichten. Schwierige Sachverhalte könnten in Form von animierten Grafiken anschaulicher dargestellt werden, Aufnahmen von Fotojournalisten in größerem Format präsentiert und die Themen überhaupt „ausdrucksstärker, authentischer und emotionaler bebildert werden“, was die Verständlichkeit erhöhe. Ziel, so die ARD, sei es, „den Zuschauerinnen und Zuschauern seriösen Nachrichtenjournalismus in einer ansprechenden und modernen Aufmachung anzubieten“.
Buchstäblich im Bilde sein
Tatsache ist: Von nun an steht der Sprecher oder Moderator vollends „im Bild“. Womit wohl suggeriert werden soll, nicht nur er, auch wir, die Zuschauer, wären hautnah dabei, wo immer auf der Welt etwas geschieht. Und weil man heutzutage so gern Barrieren abbaut, stehen er oder sie auch nicht länger wie angewurzelt hinter der Theke, an der, auch wenn sie im Fernsehen jetzt fast zu schweben scheint, schon immer Neuigkeiten ausgetauscht wurden. Etwas verloren stehen sie schon noch herum, all diejenigen, die nun plötzlich Beine und einen Körper haben wie die Moderatoren anderer Sendungen, wenn sie der Magie des Bilds huldigen, weil es ihm an Authentizität angeblich nicht mangelt.
Vom Schiffsdeck aus die Welt erkunden
Zu überraschen weiß der Boden. Ob die von weißen Leuchtbändern umrahmten Planken aus Holz oder einem anderen Werkstoff bestehen, der wie Holz aussieht, wissen wir nicht. Ebenso wenig, ob die Designer, als sie sich für diese Lösung entschieden haben, an eine schöne Terrasse gedacht haben, von der herab man die Weltlandschaft medial überblicken kann, oder an das Deck eines Traumschiffs, das jeden Tag zu neuen Ufern aufbricht. Schwankend scheint er jedenfalls nicht zu sein, auch wenn man hier immer zu großer Fahrt aufbricht. In seiner Symbolik etwas verwunderlich erscheint die Wahl aber schon, selbst wenn man anerkennt, dass die Zeit, als Nachrichten nüchtern und sachlich präsentiert wurden, wohl ein für allemal vorbei ist.
Neues aus der großen weiten Welt
Das Kredo von Nachrichtensendungen klingt einfach: Neues aus der großen weiten Welt in Wort und Bild auf einen verhältnismäßig kleinen Bildschirm zaubern. Um dem globalen Anspruch Rechnung zu tragen, erscheint unser tagtäglich von Kriegen, Katastrophen, Protesten, Revolten und hoffnungslos überforderten Politikern geplagter Planet nicht nur aus dem Weltraum betrachtet blau. Als Farbe der Ferne und der Sehnsucht ist Blau auch bei Nachrichtensendungen beliebt. Auch aus dem „corporate design“ der Tagesschau, der Nachrichtensendung der ARD, des Ersten Deutschen Fernsehens, ist es, auch wenn es neuerdings mehr Weiß gibt, nicht wegzudenken. Da will die Konkurrenz natürlich nicht nachstehen. Also werden auch die „heute“-Nachrichten des ZDF vor einer blau getönten Weltkarte präsentiert, wenngleich das Blau des „Zweiten“ etwas wässriger ausfällt.
Im Zentrum steht die Theke
Nicht nur die Symbolik von Farbe und Grafik spielt eine Rolle, wenn aus aller Welt berichtet und den Zuschauern portionsweise aktuelle Nachrichten geliefert werden. Im Zentrum eines komplexen Settings, in dem Journalismus, Technik und Ästhetik zusammenwirken, steht noch immer das Design des Studios. Und vor allem hier hat sich viel getan. Fast alle großen Sender, nicht nur in Deutschland, haben ihre Nachrichtenstudios und deren Design in den letzten Jahren umgestaltet. Doch obgleich es für die Fernsehmacher darum geht, Informationen nicht nur anzubieten, sondern sie mittels neuester multimedialer Technik und diverser Medien auch verständlich zu machen, wird das Studio in den meisten Fällen noch immer von einem zentralen Möbelstück dominiert: einer mehr oder weniger ausladenden Theke, dem „news desk“.
Das Studio als symbolische Landschaft
Die „Möblierung“ des Studios gleicht heutzutage einer komplexen symbolischen Landschaft. Die Theke ist danach. Mal massiv, mal luftig, mal nüchtern-rechteckig, mal kreisrund, mal weitgespannt wie eine Brücke, mal geschwungen wie ein Bumerang, gebogen wie eine Banane oder in den Raum ausschwingend wie Hogarths „line of beauty and grace“, mal mit Leuchtbändern veredelt und mal mit spiegelnden Oberflächen belegt – in Nachrichtenstudios wirken viele Studiotheken wie Versatzstücke eines übertriebenen Shop-Designs.
Und tatsächlich ähneln viele Studios Geschäften, in denen Informationen wie Waren feilgeboten werden. Hinzu kommt: Damit die verlesenen Nachrichten nicht wie Verlautbarungen wirken, verharrt der Moderator immer häufiger nicht einfach stoisch hinter seiner Barriere, sondern bewegt sich – im Plauderton erklärend und belehrend – durch den Raum. Dessen an sich leere Wände sind Platzhalter und Projektionsflächen für diverse mediale Fenster zu einer Welt, die aus Bildern und dem Glauben daran besteht, diese könnten so etwas wie „Realität“ vermitteln. Oft genug hört man deshalb eine Moderatorin oder einen Anchorman sagen „Erschütternde Bilder“ – als gehe es nicht um eine Nachricht von einem Ereignis, sondern um die Wirkung, die dessen Abbilder hervorrufen. Auch Nachrichtenstudios sind Illusionsmaschinen. Heute mehr als je zuvor.
Ordnung ins Chaos bringen
Im Gegensatz zur Titelseite einer Tageszeitung wie der New York Times, deren zerklüfteter und vielfach facettierter Gestalt Marshall McLuhan 1951 eine kubistische Gleichzeitigkeit aus Überschriften, Texten und Leerstellen attestierte, erweist sich die kontinuierliche Abfolge aus Meldungen, Filmbeiträgen und Kommentaren im Medium Fernsehen als aberwitzig konventionell. Statt auf einem Bogen Papier in einen Strudel sich sprunghaft überbietender, typografisch gestalteter Überschriften und Texte zu stürzen, reiht auf dem Bildschirm ein Erzähler einzelne Geschichten aneinander. Seine Stimme gibt vor, Ordnung in das Chaos auf Erden zu bringen.
Grund genug für die Sender, eine zeitgemäße visuelle Ästhetik zu entwickeln, die den sich stetig wandelnden Sehgewohnheiten Rechnung trägt. Schließlich hat sich nicht allein die Informationsfrequenz vervielfacht. Der Zuschauer braucht auch eine Menge Vorwissen – und hier bieten „virtuelle Studios“ angeblich Vorteile. Als Plattformen, auf denen mehrere digitale Medien miteinander vernetzt werden, sollen sie komplizierte Sachverhalte erklären helfen. Eine Weile galten Touchflächen, auf denen der Moderator seine „Inhalte“ hin und her bewegen kann, und eine große Videowand, auf der diese abgebildet werden, als der letzte Schrei. Inzwischen scheinen sie wieder aus der Mode gekommen zu sein. Echtzeitgrafik und Multimedialität sollen zusätzliche Möglichkeiten schaffen, dem Zuschauer im Namen der „Zuschauer-denen-man-etwas-erklären-muss“, erläuternd unter die Arme zu greifen. Mit dem zweifelhaften Nebeneffekt, dass man sich selten wie ein mündiger Bürger angesprochen fühlt. Mit banalen Erklärungen abgespeist, fühlt man sich des Öfteren, als befände man sich im Kindergarten oder in der Schule.
Nachrichtensendungen als Informationsfilter
Seit Twitter und zahllose Apps für mobile Endgeräte den permanenten Nachrichtenfluss extrem beschleunigt haben, sind die Nachrichtenmacher des Fernsehens in Zugzwang geraten. Ein Grund, weshalb Nachrichtensendungen immer häufiger als Filter für die überall verfügbaren Informationsangebote fungieren und sich in eine Plattform verwandeln, die sämtliche Medienformen zusammenfasst und deren Informationen portionsweise und wohldosiert zum Konsumenten transportieren.
Vielleicht behält der Medienwissenschaftler Norbert Bolz ja Recht, wenn er vermutet, die multimediale Unterrichtung des Zuschauers diene vor allem dazu, diesem in einer unüberschaubar gewordenen Welt die Angst zu nehmen. Kann der Einzelne, seit jeder in Echtzeit an allem teilhat, was rund um den Globus geschieht, seiner kognitiven und moralischen Überforderung doch nicht mehr ausweichen. Mit der Folge: Man befindet sich ständig im Alarmzustand. Schon Marshall McLuhan hatte erkannt, dass elektronische Medien dem Menschen eine Metamorphose hin zur Stammesgesellschaft aufzwingen. Zumal im Zustand permanenter Überforderung Emotionen mehr zählen als Sachinformationen. Weshalb es in Fernsehnachrichten mehr denn je um Gesichter von Helden und Schurken, um Leidensgeschichten oder Erfolgsstorys geht, also um Schicksale, Betroffenheit und einen Handel mit Sympathie und Antipathie. Abgewickelt wird er zwischen analoger Theke und digitalem Blue- oder Green-Screen. Oder, wie neuerdings bei der Tagesschau, auf dem Oberdeck eines Medienkreuzers, von dem aus sich die Welt als Panorama all dessen darbietet, was man für eine Nachricht hält.