Weckruf mit Augen und Fransen
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von Uta Abendroth
02.06.2015 Sie werfen lange Schatten: Hans J. Wegner, Finn Juhl, Arne Jacobsen und Børge Mogensen, um nur einige zu nennen, sind immer noch die unangefochtenen Instanzen in Sachen Dänisches Design. Die Altmeister haben stilistische Maßstäbe gesetzt, die auch heute noch die kreative Szene im Norden dominieren. Vintage-Modelle erzielen Rekordpreise und Wieder- beziehungsweise Neuauflagen bislang noch in Schubladen verborgener Entwürfe sind quasi „daily business“. Und doch ist etwas in Bewegung geraten. Während der „3daysofdesign“ – Showroom-Tagen für Designinteressierte, Endverbraucher und Businesspartner – ging es viel ums Erbe, aber eben auch um die Frage, wie man die Objekte von Gestern ins Jetzt holen könne. Das Wohn-Modell der Collage, wo nichts aus einem Guss ist, sondern sich Möbel aus unterschiedlichen Epochen oder verschiedener Stilrichtungen ergänzen, dieses Ideal schwebt den Firmen vor, die sich in Kopenhagen präsentierten. Jedes Stück hat eine Geschichte Die perfekte Melange aus Holz, Handmade und Retro hatte Carl Hansen & Søn schon auf der Messe in Mailand vorgestellt. Stets spürt man bei den Produkten dieses Unternehmens den Respekt und die Leidenschaft für Handwerkskunst – so lautet sein Leitspruch „Every piece comes with a story“. Im Showroom an der Bredgade waren dann auch die „Neuheiten“ zu sehen: Hans J. Wegners filigraner Klassiker „CH88“ mit der charakteristischen Rückenlehne aus dampfgebogenem Holz und farbigen Gestellen, die Neuauflage des 1970 von Wegner entworfenen Tablett-Tischs „CH417“ mit seinem zusammenklappbaren Gestell und der beidseitig verwendbaren Tablettauflage sowie die „Colonial Series“ von Ole Wanscher aus einem Zweisitzer-Sofa und einem passenden Kaffeetisch. Die echte Neuerung kommt allerdings nicht aus dem Archiv, sondern von dem österreichischen Trio EOOS. Bei dem „Embrace Chair“, der Neuinterpretation eines klassischen Esstischstuhls, umfängt das wohlproportierte Holzgestell einen Sitz, der wie eine perfekt gefaltete, weiche Decke wirkt. Das Möbel fügt sich perfekt in die Firmen-DNA, zeigt aber auch, dass man der klassischen Holz-Naturton-Optik einen modernen Twist geben kann. In ähnlichem Fahrwasser bewegt sich Monica Förster. Die schwedische Designerin hat für Erik Jørgensen „Savannah“ entworfen. Bei dem Sessel und Sofa schmiegt sich dickes Sattelleder um einen gradlinigen Holzrahmen und bildet somit die Struktur für die handgenähten Polster. Das Produkt, das in der firmeneigenen Fabrik in Svendborg auf der Insel Fünen entsteht, passt – ganz klar – zu der über sechzigjährigen Handwerks-Tradition Erik Jørgensens und gleichermaßen ins 21. Jahrhundert. Klassiker in neuem Kleid „Alles neu“ will das 1911 gegründete Unternehmen Fredericia machen. Natürlich geht es nicht darum, alle Hinterlassenschaften über Bord zu werfen, aber für die Klassiker soll ein „wake-up call“ erfolgen. Den Anfang für das Update durfte Henrik Vibskov machen, der seine Ausbildung am Londoner Central Saint Martins College of Art and Design absolviert hat. Der Modeschöpfer, Musiker und bildende Künstler streifte Børge Mogensens „No. 1“, dem ersten Sofa, das der gelernte Tischler 1955 für Fredericia entworfen hat, ein neues Kleid über. Für „The Fringy Edition“, die Fredericia 2015 in begrenzter Auflage produzieren wird, beauftragte Vibskov die Firma Gabriel, ein Textil mit schlichtem Karo zu weben, die übrigen Textilien stammen von Kvadrat aus der Serie „Divina Melange“. Eine Unikatversion mit „Augen“ und Fransen hat Vibskov und sein Team in seinem Atelier in Kopenhagen handgenäht. Fredericia-Chef Thomas Graversen sagt dazu lakonisch: „Ich hoffe, wir können Sie in naher Zukunft mit so Einigem schockieren.“ Dass sich auch alteingesessene Marken für Kreative aus dem Ausland entscheiden, trägt zu einer größeren ästhetischen Bandbreite des dänischen Designs bei. So präsentierte etwa Georg Jensen zum ersten Mal ein komplettes Geschirrsortiment durch die Erweiterung „Cobra“-Kollektion des Münchner Designers Constantin Wortmann. Becher aus handgeblasenem Glas und strahlend weißes Porzellan in geschwungener Manier sollen dem klassisch gedeckten Tisch einen zeitgemäßen Touch verleihen. Internationale Infusion Die Gestalter Sebastian Herkner aus Offenbach und Niek Pulles aus Amsterdam haben für die Ausstellung „Reframing Danish Design“ in den Silos im Nordhavn Designikonen von zehn Firmen genauer unter die Lupe genommen und verwandelt. Herkner war außerdem mit seiner neuen Leuchte „Collar“ für Gubi präsent, die mundgeblasenes Glas mit einem Aluminiumkragen kombiniert, der als Reflektor dient. Um eine gute Kollektions-Balance bemüht sich auch Louis Poulsen. 1874 als Weinimporteuer gegründet, gilt die Marke längst als Inbegriff dänischer Lichtkultur mit einem Output von rund 250.000 Leuchten pro Jahr. Fast erstaunt das Verhältnis der Absatzzahlen der Klassiker zu den Neuheiten: Es steht „nur“ 60 zu 40 Prozent. Neben Dänemark sind Deutschland, die USA und Japan die größten Märkte. Da ist es wohl nur folgerichtig, dass der Japaner Oki Sato alias Nendo der aktuellste Designer-Neuzugang bei Louis Poulsen ist. Die Entwicklung der Tischleuchte „NJP“ dauerte zwei Jahre. Sie gibt ihr Licht ganz bewusst nicht nur nach unten, sondern durch eine kleine Öffnung des Schirms auch nach oben ab, sodass der Raum ein wenig erhellt wird. Dass es nicht reicht, bloß lokal zu agieren, weiß Fritz Hansen schon lange und hat vor Jahren die Kooperation mit Jaime Hayon gestartet. Neu in der Kollektion sind seit April der Sessel „Fri“ und der Stuhl „Sammen“. Und auch das Label &tradition hat diese Notwendigkeit nicht nur erkannt, sondern schon in Produkte für die globalisierte Designwelt umgesetzt. Neben wieder aufgelegten Leuchten von Verner Panton gibt es in diesem Jahr ganz neu die Kollektion „Cloud“ von Luca Nichetto. Der Sessel, das Zwei- und Dreisitzer-Sofa und der Pouf vereinen Sperrholz und Metall mit dicken Polstern. Da alle Komponenten im gleichen Farbguss daherkommen – Blau, Rot, Grau oder Naturweiß –, wirkt nichts klassisch oder gestrig. Spannende Showroom-Architektur Apropos gestrig: Die Stadt Kopenhagen ist ja ein Meister darin, ihr klassisches Stadtbild mit gewagter Architektur aufzufrischen. Und dem stehen die Showrooms der dänischen Möbelmarken in nichts nach; auch sie verbinden oft das Alte mit dem Neuen. So hat &tradition neue Räumlichkeiten nicht weit von der 2005 eröffneten Oper in einer alten Schiffwerft bezogen. Unter dem beeindruckenden Gebälk stehen nun 12 Kammern, in denen jeweils ein Teil der Kollektion arrangiert ist. Dornbracht und Alape – okay, keine Dänen – haben ebenfalls in einer kleinen Werft unweit der Oper ihr Lager aufgeschlagen, während Fritz Hansens Showroom im Pakhus 403 mal ein Bananenlager war. Bei dem Einzelhändler Nyt i bo in der Frederiksgade befinden sich viele verschiedene Marken unter einem Dach in einem gediegenen Haus der Jahrhundertwende, darunter Getama, Onecollection, &shufl und Please Wait To Be Seated. Muuto hat oberhalb seines Loft-artigen Showrooms in der Østergade die wohl schönste Dachterrasse für seine Mitarbeiter. Neu ist das Showroom-Haus Anker & Co im Nordhavn, einem Stadtteil, der gerade erst auf dem Aushub der Metro entsteht. Neben Living Divani sind viele Leuchtenhersteller vertreten, so auch Wästberg. Omnipräsent auf den 3daysofdesign war Dinesen – und das nicht nur im eigenen, nagelneuen Showroom am Søtorvet, in dem die Dielen nicht nur auf dem Boden lagen, sondern auch ein Häuschen im Raum bildeten. Unter dessen Dach stand ein langer Tisch aus Dinesen-Bohlen, auf dem wiederum Preziosen von Georg Jensen auf eingefärbten Dielen-Abschnitten arrangiert waren. Dinesen-Böden lagen in fast jedem der genannten Showrooms, bei Kvadrat bildeten die Dielen zudem kleine Kammern. Vielleicht noch dies: Aus dem nordisch-schlichten Farbkanon heben sich die 49 Farben der Montana-Kollektion heraus. Geschäftsführer Joakim Lassen führt da Verner Panton an: „Der mochte diese beige Naturton-Sauce überhaupt nicht.“ Der Farb-Visionär war da seiner Zeit voraus. Aber der Weg liegt, wie so oft, wohl in der Mitte, um das Gestern und das Morgen im Heute zusammenzubringen. |