top
Wasserstoffmoleküle

NACHHALTIGKEIT
Status quo: Wasserstoff

Als Bill Gates, der Gründer von Microsoft, sich vermeintlich eine Yacht bestellte, die mit Wasserstoff betrieben wird, war die Aufregung 2020 groß. Die Technologie, so schien es, hat es nach gescheiterten Experimenten als Antriebsform von Autos aus der Nische herausgeschafft. Die Werft verneinte schließlich einen Auftrag von Gates, das Thema wurde aber nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine erneut virulent, weil selbst ein Land wie Deutschland einsehen musste, dass es seine Klimaschutzziele nun ohne russisches Gas, das als "Brückentechnologie" eingeplant war, erreichen muss. Wie ist der Stand der Diskussion heute?
von David Kasparek | 24.01.2025

Wasserstoff ist ein Gas, das man aus Wasser herstellen kann. Dafür muss das Wasser in Wasserstoff auf der einen und Sauerstoff auf der anderen Seite zerlegt werden – dieser Vorgang wird Elektrolyse genannt. Dieses Verfahren kann seit einiger Zeit auch ohne den kostspieligen Einsatz seltener Edelmetalle wie Platin durchgeführt werden. Wasserstoff als Energieträger steht also überall dort auf der Welt zur Verfügung, wo Gesellschaften Zugriff auf ausreichend Wasser haben, er lässt sich leicht speichern und enthält außerdem keinen Kohlenstoff. Damit Wasserstoff jedoch wirklich CO2-frei ist, müsste er auch so erzeugt werden, dass bei der Elektrolyse kein Kohlendioxid freigesetzt wird. Sogenannter "grüner Wasserstoff" wird also in einem Elektrolyseverfahren erzeugt, für das ausschließlich erneuerbare Energien zum Einsatz kommen. Strom, der nicht aus dem Verbrennen von Gas, Kohle oder Öl, sondern aus Wind, Sonne oder Wasser gewonnen wird.

Derlei gewonnener Strom hat im Gegensatz zu Wasserstoff den höheren Wirkungsgrad. Zum Betreiben von Zügen lohnt sich der Betrieb mit Wasserstoff also überall dort nicht, wo es schon Oberleitungen gibt – die Züge wären mit Strom aus erneuerbaren Energien umweltfreundlicher unterwegs, weil man die Energie nicht mit weiteren Verlusten erst noch in Wasserstoff umwandeln müsste. Auf Strecken jedoch, die derzeit nur mit Dieselloks befahren werden können, ist der Betrieb mit Wasserstoff eine echte Alternative. So er denn grün ist. "Grauer Wasserstoff", der durch Elektrolyse erzeugt wurde, für die Erdgas oder Erdöl genutzt wurde, ist zwar möglich – und war mit günstigem russischem Gas geplant –, aber eben nicht CO2-frei. Auch dort, wo hohes Gewicht vermieden werden soll, ist Wasserstoff eine Alternative, zum Beispiel bei Flugzeugen, für deren Betrieb mit Strom man riesige Batterien bräuchte. Doch schon beim LKW scheint das Thema Brennstoffzelle, die mit Wasserstoff betrieben wird, kaum wirtschaftlich einzusetzen. Der einstige Börsenliebling Nikola, der ob seiner Brennstoffzellen-Elektro-LKWs noch vor wenigen Jahren mehr wert war als Ford, gerät zusehends in finanzielle Schwierigkeiten, auch bei Mercedes setzt man inzwischen ganz auf Batteriebetrieb und ein internationaler Versandgigant hat mehr just 200 Exemplare des, ob dieser Zahlen überraschend verdrießlich aus der Wäsche schauenden, Tucks eActros bestellt.

Wasserstoffzuleitung eines Elektrolyseurs

Im Prinzip gut, aber…

Derzeit muss ungleich mehr Energie eingesetzt werden, um Wasserstoff herzustellen als dann bei der Nutzung wieder frei wird. Die Effizienz der Umwandlung liegt momentan zwischen 20 und 30 Prozent, sodass es wirkmächtiger ist, den aus Sonne, Wind und Wasser gewonnenen Strom entweder in Batteriegroßspeicher zwischenzulagern oder direkt zu verwenden, etwa für das Betreiben von Häusern, Zügen oder auch Autos – auch wenn die dann ohnehin im Dauerstau der Großstädte feststecken. Der Bau großer Speicher lohnt sich inzwischen aufgrund der niedrigen Lithium- und damit Akkupreise viel mehr als noch vor wenigen Jahren und ist damit deutlich wirtschaftlicher als die Wasserstofferzeugung, wie KennerInnen aus der vorsichtig gewordenen Branche sagen. Die Herstellung solch großer Speicher ist in den letzten Jahren nämlich deutlich günstiger geworden, auch wegen der Gewinnung von Lithium in Europa. In der Oberrheinischen Tiefebene in Deutschland beispielsweise wird es mittels Tiefenbohrung und Wasserdruck aus dem in tiefen Gesteinsschichten eingelagerten Wasser gewonnen.

In Deutschland soll der CO2-Ausstoß bis 2030 um 65 Prozent sinken, so der Plan der noch amtierenden Regierung, bis 2045 soll Deutschland CO2-neutral sein. Zu spät, wie KritikerInnen bemängeln. Eines der Probleme, das sich dabei auftut, ist die Tatsache, dass Deutschland längst nicht genug Wasserstoff produzieren kann, um den eigenen Energiebedarf damit zu decken. Mit einigen Ländern, die potenziell alles mitbringen, um grünen Wasserstoff zu produzieren, hat Deutschland deswegen sogenannte "Energiepartnerschaften" abgeschlossen: Namibia, Chile, Kanada oder Australien etwa. Derlei Partnerschaften gibt es auch mit autokratischen Staaten wie den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Saudi-Arabien, das nicht zuletzt in seinem fragwürdigen Gigantomie-Projekt Neom von einer Wasserstoff produzierenden Stadt träumt: Oxagon soll am Roten Meer und auf polygonalem Grundriss entstehen, teilweise schwimmend, entworfen vom dänischen Büro BIG. Ob nun autokratischen oder demokratischen Ursprungs, der Wasserstoff muss transportiert werden. Per Pipeline oder Schiff. Anschließend bedarf es der Verteilung in Deutschland. In Teilen könnte dafür auf vorhandene Infrastrukturen zurückgegriffen werden, bestehende Pipelines etwa, die aber in weiten Teilen noch für fossile Energieträger genutzt werden.

Wasserstoff-Pipeline

Zu wenig und zu teuer

"In den vergangenen drei Jahren haben sich die globalen Projektankündigungen für grünen Wasserstoff fast verdreifacht", sagt Adrian Odenweller, der am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung eine Studie leitete, die 1.232 global angekündigte Wasserstoffprojekte analysiert. Odenweller führt in einer Pressemitteilung des Instituts aus: "Allerdings sind in diesem Zeitraum nur sieben Prozent der ursprünglich für 2023 angekündigten Produktionskapazität auch rechtzeitig fertiggestellt worden." Laut der Studie lassen sich die jüngsten Probleme des sogenannten "Markthochlaufs von grünem Wasserstoff", also der breiten Anwendung, auf "gestiegene Kosten, fehlende Zahlungsbereitschaft auf der Nachfrageseite und Unsicherheiten über zukünftige Förderung und Regulatorik" zurückführen.

Klar ist für den Moment also eigentlich nur das: Deutschland produziert alleine nicht so viel Wasserstoff, wie es benötigen wird, um die geplante und dringend notwendige Energiewende umzusetzen und ist somit auf einen Import angewiesen. Eine Studie von vier Fraunhofer-Instituten in Karlsruhe, Freiburg, Halle und Dresden legt nahe, dass die Wasserstoffnachfrage für die Stahlproduktion allein in Deutschland bis 2030 auf sechs Terrawattstunden pro Jahr und bis 2050 auf 38 bis 56 Terrawattstunden (TWh) pro Jahr steigen wird. Laut Bundesnetzagentur wurden 2024, gemessen an der Gesamterzeugung, 254,9 TWh durch erneuerbare Energieträger erzeugt, was 59 Prozent der insgesamt in Deutschland im letzten Jahr erzeugten Energiemenge von 431,7 TWh Strom entspricht.

Ein Baustein von vielen

Dass Atomstrom dabei keine Abhilfe sein kann, zeigen nicht nur die Kostenanstiege der Kraftwerksneubauten Hinkley Point C in Großbritannien und der neue Reaktor 3 im französischen Flamanville in Frankreich, jeder für sich ein ökonomisches Desaster, sondern auch die Einschätzungen derjenigen, die mit Kernkraft theoretisch Geld verdienen könnten, wie Siemens, RWE, Preussen Elektra, das zu E.on gehört, oder EnBW. Joe Kaeser, Aufsichtsratschef von Siemens Energy, gab in der deutschen TV-Sendung "Sandra Maischberger" zu Protokoll: "Es gibt kein einziges Atomkraftwerk auf dieser Welt, das sich ökonomisch rechnet." Jörg Michel, Chef der Atomsparte von EnBW sagte an anderer Stelle: "Wir glauben nicht, dass der Neubau von Kernkraftwerken in Deutschland eine Lösung der Fragen zu heutigen Problemstellungen der Energieversorgung wäre." Atomstrom ohne massive staatliche Subventionen ist also nicht möglich, die Frage nach einem Umgang mit den auf Jahrtausende giftigen Überbleibseln zudem immer noch ungeklärt.

Es bleiben regenerative Energien aus der Tiefe, aus Wind, Wasser und Sonne und Wasserstoff. Er wird – wie andere Technologien auch – nicht die alleinige Lösung bei der Bewältigung der Energiewende sein, aber eben ein Baustein von vielen anderen. In diesem Rahmen soll in den nächsten Jahren der sogenannte "südliche Wasserstoffkorridor" entstehen, über den Wasserstoff aus Tunesien und Algerien durch eine 3.500 bis 4.000 Kilometer lange, direkte Leitung nach Italien, Österreich und Deutschland kommen soll. Philipp Nimmermann, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, betonte in einer Verlautbarung des Ministeriums, dass so das "immense Potenzial Nordafrikas für erneuerbare Energien" genutzt werden könne. Pro Jahr sollen so künftig rund 55 Terawattstunden grüner Wasserstoff nach Deutschland geleitet werden.

Elektrolyse-Anlage der WUN H2 GmbH, Bayern