„Das Morgenrot verwandelte den Rotkohl in herrliche weinrote Blüten mit karminroten und dunklen Purpurflecken. Am anderen Ende, an der Kreuzung neben Saint-Eustache, war die Einmündung der Rue Rambuteau durch eine Barrikade aus orangefarbenen Riesenkürbissen versperrt, die sich in zwei Reihen zur Schau stellten und ihre Bäuche ausstreckten. Hier und da entzündete sich der goldbraune Lack eines Korbes Zwiebeln, das blutende Rot eines Tomatenhaufens, das verblaßte Gelb eines Postens Gurken und das dunkle Violett einer Auberginentraube, während große Rettiche, die zu Trauerdecken angeordnet waren, inmitten der schwungvollen Freude des Erwachens noch einige Löcher in der Finsternis zurückließen." So pittoresk wie hier von Emile Zola beschrieben, geht es im Herzen von Paris, unweit von Palais Royal und Louvre schon längst nicht mehr zu. Profaner, aber nicht weniger bunt und laut, ist das Leben rund um die ehemaligen Markthallen der Seine-Stadt.
Einst befand sich hier der Großmarkt der Metropole, in zwölf Pavillons aus Glas und Metall. Der Komplex wurde 1848 von Victor Baltard entworfen, zwischen 1852 und 1870 gebaut; die letzten beiden Hallen kamen 1936 hinzu. Aber der mit Vorgängern bis ins 17. Jahrhundert zurück reichende Großmarkt erschien schon bald nicht mehr tragbar. Der Lastwagenverkehr, der Dreck, der Geruch, der Lärm waren nicht mehr zu rechtfertigen. Schon 1959 wurde beschlossen, die Hallen nach Rungis zu verlegen. Doch erst zehn Jahre später wurde der Markt endgültig geschlossen und der Abriss entschieden. Gleichzeitig traten erste Protestler auf den Plan, die sich für die Erhaltung der Hallen einsetzten. Von 1971 an wurden Tatsachen geschaffen und sechs Jahre später der riesige Untergrundbahnhof „Châtelet-Les Halles" eingeweiht. 1978 eröffnete das heutige, unterirdische Einkaufs- und Freizeitzentrum „Forum des Halles". Nach und nach verschwanden die Lebensmittelgroßhändler in den umgebenden Straßen, die Ladenlokale wurden in schicke Boutiquen oder Cafés, wie etwa Phillippe Starcks legendäres „Café Costes", umgewandelt. Der zweite Teil des Forums wurde 1985 als oberirdischer Garten mit postmodernen Pflanzspalieren der Nutzung übergeben. Es vollzog sich ein Gentrifizierungsprozess, der in dem Viertel bis heute fortdauert.
Lange wurde der Verlust der fantastischen Hallenkonstruktion aus Eisenguss bedauert. Die Hallen sind weg, auch weil man einen Verkehrsknotenpunkt an deren Stelle gebaut hat, über den die Pariser heute noch glücklich sein sollten, bewältigt er doch fast 800.000 Fahrgäste am Tag. Hätten die bürgerbewegten Hauptstädter sich in den siebziger Jahren durchsetzen können, stünden die Hallen vielleicht noch und würden vermutlich heute ein Sammelsurium an kleinen Shops beherbergen, die nach Ladenschluss zu einer prima Bleibe für allerlei Gesindel werden würden. Also eigentlich ziemlich genau das, was sich auf einem kommerziellen Teil der Anlage befindet: Kaskaden von postmodern-inspirierten Pavillons und Dächern aus Profilteilen, die nur mit Mühe die Tatsache verbergen können, dass Städtebau hier nichts anderes bedeutet hat, als den kleinsten gemeinsamen Nenner für eine funktionale Einfallslosigkeit zu finden. Pissecken inklusive. Viele Jahre hatte das Loch, das „Trou des Halles" wie die Franzosen sagten, offen gestanden, weil man nach dem Abriss der Hallen und dem Bau des unterirdischen Bahnhofs jahrelang um Art und Gestalt der neuen Bebauung gerungen hatte.
Soweit die Geschichte, in deren Verlauf sich der Wandel der Vorstellungen, was eine Großstadt ist, deutlich an der gebauten Umwelt ablesen lässt: Fast jeder Paris-Tourist ist hier schon vorbeigekommen und weiß um die prekäre städtebauliche Situation zwischen heruntergekommenen, überdachten U-Bahn-Eingängen und der aus den siebziger Jahre stammenden Dunkelzonen-Architektur der Shopping-Mall darunter. In der Mitte, die eleganten dreizehn Meter in die Tiefe reichenden, wasserfallartigen Fassaden des leider schlecht proportionierten und funktionslosen Atriums, das die unterirdischen Einkaufsetagen belichtet. Gut vierzig Millionen Menschen kaufen dort jedes Jahr ein. Dennoch ist das Forum keineswegs beliebt.
Der traditionsreiche Ort, das weiter bestehende städtebauliche Dilemma und die Notwendigkeit, hier auch weiterhin wichtige Verkehrs- und Handelsfunktionen zu ermöglichen, führte bereits 2004 zu einem ersten Architekturwettbewerb, aus dem der Entwurf des französischen Stadtplanerbüros Seura als Sieger ausgewählt wurde. Ein riesiges Dach sollte Einkaufsebenen und U-Bahn-Eingänge überdecken, während das bis dato ungenutzte Atrium in einen zentralen Kommunikations- und Erschließungsort verwandelt werden sollte. Doch auch hier gab es Einwände und so wurde 2007 ein neuer Wettbewerb veranstaltet. Dabei konnten selbst die Beiträge von Jean Nouvel oder Rem Koolhaas nicht überzeugen. Zugegebenermaßen hatte Koolhaas eine ästhetisch attraktive Lösung vorgeschlagen, die sich mit juwelenartigen, farbigen Solitärbauten visuell sehr hübsch macht. Die Tatsache, dass mehrgeschossige Bauten auf dieser vergleichsweise kleinen Grundfläche nur ausgesprochen schwer zu nutzen wären, lässt den Vorschlag aber als wenig sinnvoll erscheinen. Inzwischen gibt es zwei leitende Büros: Seura ist verantwortlich für städtebauliche Aufgaben wie die Grünanlagen und Teile der Infrastruktur. Den Architekten Patrick Berger und Jacques Anziutti obliegt die Planung des neuen Gebäudes „La Canopée" sowie die Sanierung von Verkehrsknotenpunkten. Der Umbau ist eine Operation am offenen Herzen der Stadt, doch der Plan erfordert keine Schließung der Gesamtanlage. Schon 2016 soll der 800 Millionen Euro teure, fußballfeldgroße Shopping-Hangar dem Publikum übergeben werden.
Was aber macht so eine einschneidende Veränderung mit dem Mikrokosmos, der Mikroökonomie eines touristisch geprägten Stadtviertels wie Les Halles? Und was sagt sie uns über die Gesellschaft, die sich zu dieser Lösung entscheidet. Der Entwurf ist funktional, als Solitär in die Umgebung gepflanzt, ohne die Großform des Gebäudes in menschlichere Dimensionen aufzulösen. In mancher Hinsicht atmet er noch den Geist der längst vergangenen Verkehrsfunktionalität der siebziger Jahre. Schwer vorstellbar, dass die Detaillösungen der Fassaden und der Durchdringung von Innen und Außen hier wirklich angenehme städtebauliche Räume schaffen werden. In einer Zeit, in der die Bewohner eines Ortes bei städtebaulichen Entscheidungen oft vehement intervenieren, ist es freilich schwer, alle Beteiligten von einer Vision zu überzeugen. Das Risiko, das, was heute für gut befunden wird, zukünftige Nutzer nicht überzeugt, ist groß. Ideologische Einwände, Größenwahn, Vetternwirtschaft und schlechter Geschmack bilden bei solch langwierigen Projekten eine zunehmend explosive Mischung.