Man kennt das Spiel hinlänglich aus den Mode- und Frauenzeitschriften. Diese betreiben das Geschäft der Voraussage routiniert. Was im Frühling die Trendfarbe Grün - wahlweise Gelb oder Orange - ist, wird im Sommer die wiedererwachte Freude am Bunten, an Blauweiß oder an den Looks der Fifties, Sixties, Seventies. Im Oktober folgt der Trend zum Kuscheln, also Angora, im Januar dann die Besinnung auf das einfache Leben, also Leinen. So geht das jahrein, jahraus, mit geringfügigen Schwankungen, so dass sich in der Rückschau ein Bild der jeweils vergangenen Gegenwart verfestigt. Trends, so lernen wir, fügen sich aus der Distanz ein ins Bild eines Jahrzehnts oder einer Epoche.
Nicht jede Branche der Konsumgüterindustrie ist freilich so schnell unterwegs wie die Mode, die unersättlich verschlingt und neu interpretiert, was schon mal da war. Die Möbelindustrie etwa käme bei einem Rhythmus, wie ihn die saisonal getaktete Mode vorgibt, mächtig ins Schwitzen. Ein Sofa oder einen Stuhl zu entwickeln, dauert ein, zwei Jahre oder länger. Einfach deshalb, weil Möbel nicht nur formal, sondern auch konstruktiv überzeugen sollen, ökonomisch einigermaßen sinnvoll produziert werden müssen, in Seriengrößen und zu Preisen, die genau kalkuliert werden. Pflegt eine Designerin oder ein Designer Ambitionen, kann es auch viel länger dauern, bis das Material gefunden ist, das es erlaubt, den Entwurf perfekt umzusetzen. Es dauert, bis die Produktionsprozesse optimiert, die Fachhändler überzeugt sind - bis der Markteintritt gefeiert werden kann.
Das angesagte Möbel
Trotzdem spielen Trends und ihre publikumswirksame Voraussage auch in der Möbelindustrie eine Rolle. Das lässt sich besonders gut auf Messen beobachten. Sie sind nichts anderes als Umschlagplätze von Verheißungen, deren Erfüllung erst im Laden stattfindet. Wird dieses neue Sofa auch tatsächlich gekauft? Den Weg in ein Sortiment findet es angeblich eher, wenn es sich in einen Trend einbetten lässt. Das steigert seine Überzeugungskraft und bietet dem Fachhändler gute Argumente. Deshalb gilt inzwischen: Keine Messe, die sich ernst nimmt, kommt ohne Trendreport aus. Im Möbeldesign beginnt der Reigen im Januar bei imm Cologne: „Emotional Austerity", „Surprising Empathy", „Re-Balancing" und „Transforming Perspectives" - damit brachte eine Expertentruppe scheinbar Ordnung in das Chaos all der neuen - und weniger neuen - Möbel, die vorgestellt wurden. Wie viele der allerneusten Modelle tatsächlich zu Ende entwickelt werden und den Weg in den Handel und zum Kunden finden bleibt freilich Betriebsgeheimnis. So mancher Trend verpufft bereits während der Messe.
Überdies lernen wir: Wie ein Trend benannt wird, ist nicht so wichtig. Was damit gemeint ist, müssen Konsument nicht gar so genau wissen. Immerhin, so viel wird klar: Im Falle der Trendsetzer von Köln gipfeln die Begriffe im Wunsch nach Nachhaltigkeit. Das ist auch so ein Trend, der sich seit ein paar Jahren formiert. Wenn er noch etwas durchhält, mausert er sich vermutlich zum Megatrend, was, genau besehen, tatsächlich nützlich sein könnte.
Im Februar folgte dann in Frankfurt die „Ambiente", die sich als Leitmesse für Tisch, Küche, Geschenke und Wohnaccessoires darstellt. Auch sie zeigte in erster Linie Vieles und sehr viel Verschiedenes: 4.300 Aussteller brachten an die Händler, was demnächst gekauft werden soll. Hier sorgte das Stilbüro Bora.Herke für Orientierung und identifizierte ebenfalls Trends. Und auch hier schien das Ganze geprägt von einem Bedürfnis, das irgendwie nach Nachhaltigkeit klingt: Wir wollen Kontinuität statt Schnelllebigkeit, Tradition statt Trend, Qualität statt Trash, sagte die Trendforscherin Claudia Herke im Interview mit dem Messeveranstalter. Sie schaffte sich damit aber beileibe nicht selber ab, denn auch hier gilt: Ein Bedürfnis wird so lange zurecht gebogen und betextet, bis es sich in einem Moodboard mit den Bildern neuer Möbel und Accessoires illustrieren lässt. „Cute" meint adrett wie in den Fifties, die freilich reinterpretiert werden und heutige Traditionalisten ansprechen. „Raw" richtet sich an die Industrie-Nostalgiker, die für ihr digital gewordenes Leben eine harte Basis brauchen. „Refined" meint eine entspannte Modernität, die irgendwo bei Bauhausklassik und Vitra-Chic angesiedelt wird, also teuer ist. Und wer den Blick über die Grenze wagt, an den richtet sich der Trend „Mash" mit Ethnochic und in Türkisblau.
Was ist neu?
Trends zu erkennen, ist eine Frage des Beobachtens, und das wird professionell betrieben. Nur leider tendieren Trendscouts dazu, zu registrieren, was sie schon kennen. Davon leben nicht nur die Konsumgüterindustrie, sondern auch die Medien. Auch sie gehen davon aus, dass Leser bestätigt bekommen wollen, was sie schon wissen und kennen. Deshalb hat alles, was dreimal beobachtet oder gehört oder besprochen wurde, die Chance, zuerst zur Nachricht und durch die mediale Selbstverstärkung kurz darauf zum Trend geadelt zu werden. Das wiederum liefert die Bestätigung für den Trendscout, gar nicht so sehr daneben zu liegen. Und wer wäre geeigneter die Jagdgesellschaft anzuführen, als die Journalisten, die sich dem frohen Treiben von Kultur, Mode, Design und Musik widmen? Dumm nur, wenn sie von ein paar Beobachtungen auf eine Entwicklung schließen, die so nie einsetzt. Das ist aber nicht schlimm, denn was interessiert der Trend von gestern, wenn heute schon wieder drei andere ausgerufen werden.
Trends, so die dritte Lehre, die sich aus alledem ziehen lässt, haben also nur bedingt etwas mit dem Neuen zu tun. Sie verwerten und bündeln vielmehr, was sowieso schon da ist. Bestätigt werden sie allerdings erst, wenn sie, wie es so schön heißt, „breit akzeptiert" werden, und dazu braucht es die wahren Konsum-Avantgardisten, die so genannten „Early Adopters". Auf sie bleibt die Konsumgüterindustrie angewiesen. Erst sie machen aus einem Produkt ein neues Produkt und legen den Grundstein für einen wirklich neuen Trend. Sie nächtigen im Schlafsack vor dem Geschäft, in dem ein neuer H&M-Fummel lanciert wird. Sie haben die Kritik an der Betaversion des Nachfolgers in die Diskussionsforen gestellt, wenn wir anderen gerade mal darüber nachdenken, die erste Serie des Smartphones zu kaufen.
Bleibt zum Schluss die Frage: Wieso tun die das? Nun ja: Sie denken animistisch. Wer wirklich neue, also avantgardistische Produkte kauft, greift auf die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs Avantgarde zurück. Er übernimmt militärische Kundschafterdienste und Sicherungstendenzen, so wie sie die Avantgarde im Vorrücken für das nachfolgende Heer einst leisten musste. Den Vergleich zwischen der Avantgarde und dem Mängelwesen Mensch zog bereits der Psychologe Alfred Adler 1912 in seinem Buch „Über den nervösen Charakter": Wenn ich weiß was kommt, kann ich mich darauf vorbereiten. Die Wahl des neuesten aller neuen Produkte ist also nichts anderes als Kontingenzbewältigung, sprich Garant für ein überraschungsfreies Leben. Diese Wahl überhaupt erst zu ermöglichen, ist der tiefere Sinn all der neuen Produkte, die auf uns eindrängen und uns zum „Aufrüsten" zwingen. Und nicht die totale Verwirrung, wie wir simple Gemüter protestieren. Wer sich hingegen vom Neuen überraschen lassen will, der liebt die Kontingenz - und verzichtet auf jede Art der Absicherung wie sie Trendforscherinnen und Trendforscher anbieten.