Überall bunte Häuschen, schulterhoch abgeschirmte Sitzgruppen, kleine Arbeitskokons und offene Konferenz-Arenen – und alles in himmelblaue, grasgrüne, orangenrote oder zitronengelbe Stoffe gehüllt, die, ob sie nun sanft pastellig oder neongrell getönt sind, den Eindruck erwecken, als wollten die Designer und Marketing-Strategen der Büromöbelhersteller aus der Arbeitswelt ein heiter gestimmtes Aquarell machen. In Anlehnung an den Titel einer berühmt gewordenen Kunstaustellung, die 1981 in der Royal Academy of Arts in London einen „neuen Geist in der Malerei“ beschwor, könnte man mit Blick auf die Bürowelten, wie sie auf der Orgatec 2012 in Köln zelebriert werden, von einem „New Spirit in working“ sprechen. Wie sieht er aus? Was daran ist wirklich neu, was im Alltag sinnvoll? Und welcher Geist wohnt diesen Arbeitswelten inne?
Wie in der Kunst, so gilt auch hier: Nicht alles ist ganz so neu, wie behauptet wird. Schon in den vergangenen fünf, sechs Jahren hat sich angekündigt, was nun an fast jedem Messestand präsentiert wird: Ein System, das aus dem Büro eine Stadtlandschaft en miniature macht, eine urbane Welt aus lauter bunten Inseln, Lounge-Zonen und bequemen Höhlen, auf und in denen wir im Team kommunizieren oder konzentriert allein arbeiten können.
Ist die Zeit der langen Tische und der „workbenches“ ebenso vorbei wie die der Einzelmöbel? Ist heute alles Teil eines Systems? Gibt es so etwas wie eine neue, frische Uniformität? Oder sind die Vorreiter in Sachen „work-life-balance“ und Ästhetik schon wieder einen Schritt weiter? Eines scheint klar: Was von Unternehmen wie Vitra – Stichworte: „Citizen office“ und „net’n’nest“ – erdacht und von anderen, etwa Bene, konsequent zu einem System entwickelt wurde, findet allseits Anklang. Die Stimmung auf der Messe ist entsprechend optimistisch und entspannt. Dass nun aber mehr oder weniger alle der selben Typologie frönen, die auf der Erkenntnis basiert, dass Leben, Arbeiten und Kommunizieren sich nicht länger voneinander trennen lassen, gleichwohl aber nach der jeweiligen Tätigkeit angemessenen Zonen oder Bereichen verlangen, provoziert neue Fragen: Sind wir tatsächlich in der Zukunft eines nach urbanem Vorbild geformten und an den Interessen der Nutzer orientierten Großraumbüros angekommen? Und: Wer schafft es, das Paradigma ästhetisch, materiell und en detail am überzeugendsten zu realisieren?
How to work better
Der Business-Mantras sind viele. Eines, das Arbeiten nicht allein unter Gesichtspunkten der Effizienz betrachtet und ebenso sympathisch wie ironisch an die Sache herangeht, stammt von dem Schweizer Künstlerduo Peter Fischli und David Weiss. Schon 1991 haben sie unter dem Titel „How to work better“ eine Zehn-Punkte-Liste mit Empfehlungen aufgestellt, was man tun und wie man sich verhalten soll. Dankbar nehmen wir die Liste zur Hand, um zu überprüfen, was die aktuellen Bürosysteme zum besseren Arbeiten beitragen.
1. Do one thing at a time
Nur eine Sache zu bearbeiten, endlich einen Vorgang abschließen zu können – das ist in Zeiten von Email, Meeting und Multitasking für viele zum Problem geworden. Da hilft es, einzelne Tätigkeiten auch räumlich voneinander trennen zu können. Die Multifunktionalität von Großraumbüros, in denen jeder gerade das tut, was auf seiner Agenda steht, dem Nachbarn dabei aber – optisch und akustisch – ins Gehege kommt, wird abgemildert, seine Nachteile werden beseitigt. Hier geht es voran.
2. Know the problem
Dass der Beobachter allüberall auf „High-Back-Inseln“, Lounge-Bereiche in frühlingsfarbenem Wollfilz oder kleine Meeting-Pavillons trifft, ist zumeist nett anzusehen, auch wenn es so mancher mit dem „Cocooning“ etwas übertreibt. Die frischen Farben, die den Muff auch aus den letzten Ecken verscheuchen, wirken ansprechend. Selbst bei Cor findet man Uwe Fischers sachlich-elegantes Lounge-System „Scope“ – ergänzt um Elemente ohne Lehne und abschließende Tischchen – nun in einem Erdbeerton oder in grellem Gelb.
Auch muss man konstatieren: Die Qualität hat sich nicht nur in den Spitzen, sondern auf breiter Front verbessert. Bleiben zwei offene Fragen: Was bedeutet es für führende Hersteller, die in neue Ideen investieren, wenn diese immer schneller nach unten, zu den weniger innovativen Herstellern, durchgereicht werden? Und: Wie gehen wir damit um, dass die schöne neue Arbeitswelt zwar nicht mehr nach Arbeit schmeckt, am Ende aber doch Arbeit bleibt. Hier kommt es, das sollte über all den bunten Angeboten nicht vergessen werden, vor allem auf jene an, die neue Büros planen. Ein offenes, auf Kommunikation und angenehme Atmosphäre angelegtes System allein reicht nicht aus, um aus einem gut gefüllten Baukasten auch ein gut funktionierendes Büro zu machen.
3. Learn to listen
So wird es vermutlich schon bald noch mehr als bisher darauf ankommen, wie gut Kunden beraten werden und mit welcher Sensibilität die vorhandenen Bausteine an die jeweiligen Erfordernisse und Bedürfnisse angepasst werden. Beratung und Planung, darauf könnte in den kommenden Jahren einer der Schwerpunkte liegen. Technokratische Lösungen sind am Ende nämlich keine wirklichen Lösungen. Auch lässt sich hier und da beobachten, dass man – wie bei Sedus – Prototypen zum Testen vorstellt, um etwas über die Reaktionen der Nutzer zu erfahren. Nicht nur im Büro, auch bei dessen Planung und Ausstattung wird Kommunikation künftig eine entscheidende Rolle spielen.
4. Learn to ask questions
Trotz aller Fortschritte – bei Herstellern, die eher aufs Kopieren einer Typologie als darauf setzen, selbst eine eigene Designsprache zu entwickeln, wirken die zeltartigen Einhausungen und abschirmenden Paravents, die einen Raum strukturieren und wichtige Bereiche gegeneinander abgrenzen, schnell wie Elemente, die einem Campingplatz oder einem Abenteuerspielplatz entlehnt wurden. Hier ein Segel, das Lärm absorbiert, dort eines, das optisch abschirmt; hier ein Arbeitsrad, in das man sich mit seinem Laptop verkriecht, dort ein tonnenförmiges Gebilde, in dem kommuniziert werden soll. Auch die Bewirtschaftung der Atmosphäre bringt ihren eigenen Kitsch hervor. Hier verrutscht freilich mehr als nur die leitende Metapher. Ein Büro ist und bleibt ein komplexes System, dessen soziale, administrative und ästhetische Gestaltung viel Fingerspitzengefühl erfordert. Schließlich gilt auch hier, wie eigentlich immer, wenn es um Design geht: Genau hinschauen, auf die Qualität im Detail ebenso achten wie auf die Stimmigkeit des gesamten Systems. Der Büro-Bürger wird es danken.
5. Distinguish sense from nonsense
Am Stand von Wilkhahn lässt sich beobachten, dass es kein Fehler sein muss, wenn man sich auf die Tugenden solider, langlebiger und bis ins Detail durchdachter Einzelmöbel konzentriert, statt eine Agenda kopieren zu wollen, die andere schon länger durchdeklinieren. Ob man – nach dem Erfolg des „Chassis“ von Stefan Diez und des ergonomischen Bürostuhls „On“ – den Konferenzsessel „Graph“, den dazugehörenden „Graph Tisch“ oder die Sitzgruppe „Asienta“ in Augenschein nimmt, allesamt gestaltet von Jehs+Laub – die hohe Qualität und Wertigkeit dieser Produkte springt einem sofort ins Auge. Die Differenz zu Billigherstellern ebenfalls.
Der „Graph“ ist nicht nur elegant, er wirkt auch leicht und in der Art, wie die Armlehnen Sitzfläche und Rückenlehne verbinden, überaus raffiniert. Beim dazugehörigen Tisch sind es vor allem die ausgestellten Beine, die diesem mit ihren Lichtkanten eine Leichtigkeit geben, wie sie bei so großen Tischen selten zu finden ist. Und für all jene, die nicht gern in mehr oder weniger amorphen Sofalandschaften versinken – was sich im Büro des Chefs, das es ja noch immer gibt, selten als vorteilhaft erweist –, bietet „Asienta“ mit seinem filigranen Aluminiumgestell, um das die Polster gleichsam herumgelegt sind, eine Alternative, die auch im Wohnzimmer zuhause bella figura machen wird. Wenn die bunte Euphorie etwas verflogen sein wird, wird das eher klassisch auftretende Büro noch immer aktuell sein. Sich zu unterscheiden war nie ein Fehler.
6. Accept change as inevitable
Die Dinge ändern sich. Da lässt sich ohnehin nichts machen. „Wippen Sie doch nicht so!!“ – ist man, in Abwandlung eines Klassikers von Loriot, geneigt, an jedem zweiten Messestand auszurufen. Das kommt daher, dass Ergonomie zwar nicht mehr auf die Fahnen geschrieben wird, aber nach wie vor wichtig bleibt. Besonders bei Bürostühlen. Diese tragen die Beweglichkeit heute in sich. Und jeder, der auf einem neuen Modell Platz nimmt, beginnt plötzlich zu wippen, sich nach hinten zu lehnen oder sich zur Seite zu neigen. Die Wirbelsäule dankt es.
7. Admit mistakes
Die neue Typologie, so haben wir festgestellt, hat viele Vorteile. Die Vorstellung vom Büro als offener, urbaner Landschaft birgt aber auch Gefahren. Weniger für den Kunden als für die Hersteller selbst. Ist ein Paradigma erst einmal durchgesetzt, ein System erst einmal anerkannt und etabliert, so beginnt das Nachdenken darüber, was als nächstes kommt. Der Kapitalismus duldet keine Pause. Und die Integration neuartiger elektronischer Visualisierungssysteme könnte den Arbeitsplatz schon bald weiter verändern.
8. Say it simple
Bei Vitra verfolgt man den Weg konsequent weiter, den man mit dem „Citizen office“ von 1991 begonnen und mit Programmen wie „net’n’nest“ fortgesetzt hat. In gewohnt enger Zusammenarbeit mit den Gebrüdern Bouroullec, aber auch mit Alberto Meda und Hella Jongerius, präsentiert man gleich ein ganzes Bündel an Neuheiten.
Was die Typologie abgeschirmter Arbeitsbereiche und Besprechungskojen angeht, haben die Bouroullecs – auf der Basis des unvorhersehbaren Erfolgs ihres „Alcove-High-Back“ und darüber hinaus – nun eine komplette Palette unterschiedlicher Arbeitsplätze entwickelt. Zur Abschirmung werden, statt Filz, nun Polyestermatten verwendet, wie man sie im Kofferraum von Autos findet. Wobei nicht nur die Synergie und der geringere Preis überraschen. „Workbay“ hat man die kleinen Kabinen unterschiedlichen Zuschnitts genannt, die ebenso sensibel wie subtil gestaltet sind und eben nicht so plump und massiv daherkommen wie bei der Konkurrenz. „Alcove Cabin“ gibt es in drei Varianten, in unterschiedlicher Höhe, mal mit, mal ohne Tisch.
Überhaupt setzt man bei Vitra auf den „Workspirit“. Nur wenn der Geist stimmt, in dem es entwickelt wurde, stimmt auch das Design; und erst wenn sich dieser auf die Atmosphäre des Büros und die Mitarbeiter überträgt, stimmt die gesamte Organisation. Alberto Meda indes bleibt es überlassen, mit seinem Bürostuhl „Physix“ dem Alu Chair der Eames einen würdigen Nachfolger an die Seite zu stellen, auf dem es sich nicht nur vortrefflich sitzt, sondern der oberdrein auch leicht aussieht und leicht ist.
Etwas ironisch kommentiert Hella Jongerius den Trend zum abgeschirmten Arbeiten mit ihrem „Sphere Table“, einem schönen, kleinen Arbeitstisch aus Holz, an den eine leicht transparente, farbige Halbkugel montiert ist. Etwas versteckt hinter Bambus und unter dem Bild einer Braut in Weiß präsentiert, fragte man sich allerdings, ob der Tisch nur für Bräute gedacht ist.
Die Bouroullecs aber wagen – und sich damit fast allein auf weiter Flur - mit „Cork Table“ auch einen Blick in Zukunft. Was sich hier ankündigt, ist eine neue, fast minimalistische Strenge, die sich wohltuend von den urbanen Bürolandschaften abhebt – und der Tendenz zum Spielplatz auf ästhetischem Wege Einhalt gebietet. Sowohl, was die raffinierte Kombination aus Durchblicken und Abschottung angeht, als auch mit Blick auf alternative Materialien. Man darf gespannt sein, ob das System Eingang ins laufende Vitra-Programm finden wird.
Auch Bene entwickelt sein Bürokonzept weiter und präsentiert seine Officewelt unter der Überschrift „Smart Working“ als eine lebendige Stadtlandschaft, in die „Me- und We-Places“ eingebunden sind. Neu im Portfolio sind sogenannte „Docklands“, alternative Arbeitsplätze für temporäre Tätigkeiten, sowie „Cube_s“, Modularbeitsplätze für stationäres Arbeiten mit integriertem Stauraum. Kaum ein anderer Hersteller hat in den vergangenen Jahren sein Programm für wechselnde Anforderungen und flexibles Arbeiten derart ausdifferenziert wie Bene. Für jede Zone und jeden Arbeitsbereich wurden Lösungen entwickelt. Offen in der Struktur, flexibel, was die Anpassung an räumliche Gegebenheiten angeht, und effizient, was die Nutzung der zur Verfügung stehenden Flächen angeht. Die nun hinzugekommenen „Docklands“ sollen Ankerpunkte und Anlaufstellen für Mitarbeiter und Besucher schaffen und das Gespräch in einer abgeschirmten Runde befördern. Dass Strom, Netzzugang, Licht und selbst Kleiderhaken integriert sind, versteht sich von selbst. Die Module mit dem Namen „Cube_s“ funktionieren hingegen wie Cockpits. Denkt man das Konzept weiter und verbindet es mit den Überlegungen von Automobilherstellern, die über das Interieur des Autos als einem mobilen Arbeitsplatz nachdenken, so könnten sich hier für die Zukunft neue Perspektiven eröffnen. Der Arbeitsplatz als intelligentes Cockpit, das hat durchaus seinen Reiz.
Auch was die Integration neuer medialer Möglichkeiten angeht, die Arbeiten im Team und Meetings effektiver machen, beschreitet Bene – in Kooperation mit einer Hochschule – neue Wege. Beim Meeting kann künftig jeder an einer elektronischen Wand seine Ideen einbringen, was nicht nur von allen verfolgt werden, sondern auch an andere Ort übertagen, gespeichert und als Datei verschickt werden kann. Man muss kein Prophet sein um vorherzusagen, dass solche Systeme die Arbeitsweisen im Büro weiter verändern werden. „Smart Technologies“ bieten ähnliche „Visual Collaboration Solutions“ an, die, wie alle diese Systeme, noch an Handlichkeit gewinnen müssen, aber schon jetzt neue Arbeitsweisen ermöglichen.
9. Be calm
„Systeme“, schreibt der Soziologe und Systemtheoretiker Dirk Baecker, „ordnen, für einen Beobachter, den Zusammenhang von Freiheit, Blindheit und Anhängigkeit: Systeme sind frei in der Setzung ihrer Ausgangsunterscheidung; blind für die Folgen; und für den Erfolg dieser Setzung abhängig von allem, was sie ausschließen.“ Übertragen auf das nun überall anzutreffende „System Büro“ bedeutet das: Die freie Setzung des aktuellen Bürosystems als einer urbanen Landschaft ist abgeschlossen. Blind für die Folgen sind alle, die sie anbieten, insofern, als sie bislang wenig über Alternativen oder Evolutionsstufen nachdenken. Woraus folgt, dass der Erfolg davon abhängig bleibt, ob sich neue Arbeitsweisen bilden werden, die im gegenwärtigen System keine Entsprechung finden. Im Moment jedenfalls bieten die offenen Systeme genügend Möglichkeiten, all das zu integrieren, was im Büroalltag des 21. Jahrhunderts Erfolg verspricht, einschließlich einer wachsenden sozialen Flexibilität der Mitarbeiter, die nicht länger an einen Arbeitsplatz gefesselt sind.
10. Smile
Oder wird im Büro schon bald noch mehr Bewegung herrschen? Bei Vitra hat man bereits kleine Schrittzähler ausgegeben, mit deren Hilfe jeder für sich dokumentieren kann, dass er keineswegs nur rumgesessen hat. Der Zwang zu Beweglichkeit und Fitness macht eben auch vor dem Büro nicht Halt. Schon sehen wir Wettbewerbe am Horizont heraufziehen, bei denen mehrere Abteilungen miteinander um den Titel des „beweglichsten Mitarbeiters des Monats“ konkurrieren. Einstweilen aber halten wir uns an Ringelnatz, in dessen Gedicht „Überall“ es heißt: „Überall ist Wunderland. / Überall ist Leben. / Bei meiner Tante im Strumpfenband / Wie irgendwo daneben.“ Auch im Büro.