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Warum ist die Banane krumm? oder "Was ist Design?"
von Friedrich von Borries | 15.02.2012
Friedrich von Borries, Foto © FvB

Vor einer Woche erschien im Stylepark Magazin ein Artikel vom Designkritiker Thomas Edelmann, der im Titel eine schöne Frage stellte: "Wird Design zur Hilfsdisziplin der Kunst?" In seinem Text nimmt er auch dezidiert Position zum Designprofil der HFBK. Zwar konstatiert er uns die "Absicht" und den "Mut", "die Welt ein wenig aus den Angeln zu heben", doch behauptet er gleichzeitig, dass in Hamburg das "Design zur Magd der Kunst gemacht" werden würde.

Dass ich dem massiv widersprechen muss, versteht sich von selbst, dennoch finde ich die Sorge, dass das Design einen Identitätsverlust erleiden könnte, sehr spannend. Sie spiegelt ja auch die Debatte, die wir seit einiger Zeit hier an der HFBK – übrigens durchaus öffentlich – führen.

In seinem Text trauert Edelmann der guten alten Zeit hinterher, in der es noch einen Dieter Rams gab, die Ulmer Schule und auch das Bauhaus, kurzum, als die Welt noch in Ordnung oder in der Ordnung der Moderne war. Auch dafür steht die HFBK, an der Gustav Hassenpflug, einst Leiter dieser Hochschule und seines Zeichens Bauhaus-Schüler, laut Edelmann „Intuition der freien Künste mit der Technik verbinden" wollte. Ach, die Fünfziger, das waren noch schöne Zeiten. Doch die sind lange vorbei. Den Anfang allen Übels verortet Edelmann deshalb in der Postmoderne und den darauf folgenden Gestaltungs-Revolten des "Neuen Deutschen Design", deren Protagonisten wir zu unserem Symposium "Warum Gestalten?" eingeladen haben: Axel Kufus, Andreas Brandolini, und mit Ralph Sommer haben wir ja einen weiteren Vertreter dieser Zeit in unseren eigenen Reihen.

Womit wir bei der Banane wären, denn es ist ja nicht so, dass wir hier nicht diskutieren würden, was der richtige Weg einer Designausbildung und der damit verbundene Design-Begriff sei. Design ist eine relativ junge Disziplin, und sie klebt an ihrem tradierten, Industrie-bezogenen Selbstverständnis, obwohl wir wissen, dass die klassische Industriegesellschaft weder der Welten Heil noch deren Zukunft ist, und sich Design deshalb neu erfinden muss, weil die Welt, für die es entwirft, eine andere ist, als die, aus der es stammt. Genau deshalb stellt sich vielerorts mit gewisser Intensität ja die Frage, was Design denn sei. Eine Frage, wie wir an der HFBK sehr eindeutig beantworten: Design ist eine Form von Kunst, nicht deren Magd, nicht deren Hilfsdisziplin, sondern eine der Arten und Weisen, wie wir uns künstlerisch mit der Welt auseinandersetzen – in diesem Falle eben "entwerfend", was man, wie auch Thomas Edelmann und jüngst Konstantin Grcic in der Süddeutschen Zeitung, ganz neumodisch auch als "Design Thinking" bezeichnen kann.

Aber zurück zur Banane. Denn die Frage, was Design ist, finde ich ungefähr so spannend wie die Frage, warum die Banane krumm ist. Was keineswegs abwertend gemeint sein soll, schließlich stellen sich Millionen von Menschen diese Frage, seit es Bananen beim Obst- und Gemüsemann oder im Supermarkt um die Ecke gibt. Und das ist noch gar nicht so lange her, denn die Banane wurde erst 1870 aus Jamaika in die Vereinigten Staaten eingeführt, und breitete sich dann in rasender Geschwindigkeit in der gesamten westlichen Welt aus. Die Banane ist ein ökonomisches Erfolgsmodell, die Banane ist ein Produkt des globalisieren Warentransportes, die Banane ist ein Kind der Industrialisierung – genauso wie das Design. Ob dieser signifikanten Ähnlichkeit von Design und Banane lohnt sich vielleicht ein tieferer Blick in die Bananenwelt, um so über Umwege dem Wesen des Designs näher zu kommen.

Die Banane hat eine sehr komplexe Rezeptionsgeschichte, die einen steten Bedeutungswandel aufweist und dabei durchaus ambivalent eingeordnet wird. Diese Ambivalenz beginnt schon damit, dass wir bei "Banane" immer an Affen denken; die Banane als Leibspeise unserer nächsten Verwandten in der Tierwelt, der aber – im Gegensatz zu uns – nicht vernunftbegabt ist. Die Banane ist insofern Sinnbild für alles, was an ein niederes Gefühl appelliert. Und gleicht darin dem Design. Denn Design – und das unterscheidet es in so mancher Selbstverortung von der Kunst – zielt ebenfalls an niedere Empfindungen, wie z.B. den konsumistisch-massenproduktionsbezogenen Haben-Wollen-Kaufen-Reiz. Nicht umsonst ist so manches Design deshalb als oberflächliches Styling verschrien.

Aber die Banane hat auch eine andere Seite, denken wir nur an Josephine Baker und ihre Bananenröckchen. Hier ist die Banane zwar immer noch exotisch, aber auch erotisch (wobei das natürlich auch ein niederes Gefilde ist), aber sie steht im Kontext eleganter Nachtclubs und ambitionierter Jazz-Musik. Auch hier die Ähnlichkeit zum Design – Distinktion, Moderne, Fortschritt und ein bisschen Sexyness.

Eine ganz andere Bedeutung bekommt die Banane in ihrer Sonderform der Chiquita-Banane in den 1960er und 1970er Jahren. Das Böse wird offenkundig, der Global Player Chiquita beutet nicht nur Arbeiter aus, sondern stürzt demokratisch gewählte Regierungen, fördert Diktatoren, nur um die Ausbeutungsverhältnisse weiter aufrechterhalten zu können. Zeitgleich entdeckt Victor Papanek das Böse im Design, den kapitalistischen Zugriff, und plötzlich ist ein Panton Chair nicht mehr modern und zukunftstauglich, sondern fast so gefährlich und ausbeuterisch wie die Chiquita-Banane. Interessant hierbei auch, dass die Bananendebatten der 1960er und 1970er Jahre den späteren Diskurs der 1990er und 2000er Jahre um Branding und Marketing schon vorwegnimmt. Kurzum: Design und Banane sind Gegenstand einer prinzipiellen Konsumkritik.

Noch kurz einen Blick auf die Wiedervereinigungs-Banane. Denn mit den 1990er Jahren steigert sich die Ambivalenz der Banane: Für die einen Ausdruck von Zukunftshoffnung samt Glücks- und (dem gleichbedeutenden) Wohlstandsversprechen, für die anderen Symbol der ostdeutschen Paria. Für die Hochschulinterne Debatte sei hier auf die interessante Verknüpfung von „Banane" mit „Gurke" hingewiesen, für den allgemeinen Diskurs auf das Dilemma verwiesen, in dem heute jeder junge Designstudent steckt: Auf der einen Seite Produkte entwickeln wollen, auf der anderen Seite mit Greenpeace und Co sozialisiert zu sein und den Verführungen des Konsumkapitalismus kritisch gegenüber zu stehen.

Auch dafür gibt es einen Ausweg in der Bananenwelt, denn heute hat die Banane wieder Konjunktur, und zwar als fair gehandelte Bio-Banane, dem Äquivalent von Recycling-Phantasmen, Zero-Footprint-Produkten und Craddle-to-Craddle-Philosophien im Design.

Wir lernen also, dass die Banane in Abhängigkeit des gesellschaftlichen Wandels ganz unterschiedliche Bedeutungszuweisungen erfahren hat – und unabhängig davon weiterhin gegessen wurde. Auch das eine Ähnlichkeit zum Design, die alle klassischen Produktdesigner vielleicht zu einer entspannten Sitzhaltung verhelfen könnte.

Trotz dieser Erläuterungen haben wir aber noch immer nicht geklärt, warum die Banane eigentlich krumm ist. Wir wissen es alle: Die Banane ist krumm, weil der anfangs nach unten gerichtete Blütenansatz sich beim Wachsen in Richtung der Sonne dreht. Deshalb ist die Banane krumm. Die Krummheit der Banane liegt nicht in der Banane selbst begründet, sondern in ihrem Bezug zur Sonne.

Genauso verhält es sich mit dem Design. Die Frage, was Design ist, begründet sich nicht im Design selbst, sondern in den Aufgaben, die es in der Welt bearbeitet. Und deshalb fragt unser Symposium nicht: "Was ist Design?", sondern stellt die essentielle Frage: "Warum gestalten?", und damit natürlich auch: "Welchen Aufgaben müssen wir uns stellen?" Und: "Mit welchen Methoden können wir sie bearbeiten?" Und wenn uns Praxen wie z.B. die der urbanen Interventionen, der sozialen Plastik, der partizipatorischen Prozesse etc. dabei helfen können, eine über die Konsumversprechen der Moderne hinausreichende Aufgabendefinition und ein damit verbundenes sinnhaftes Selbstverständnis des Design zu entwickeln, dann sorgt mich nicht, ob diese dann ursprünglich aus verwandten oder benachbarten Disziplinen wie "Kunst" oder "Architektur" entspringen. Und genau daran arbeiten wir hier an der HFBK. Dabei ist das Design nicht die Magd der Kunst oder deren Hilfsdisziplin. Vielmehr kann man sich Philipp Ursprung, Architekturtheoretiker an der ETH Zürich und damit weder einer besonderen Nähe zum Design noch zur Zeitgeistigkeit verdächtig, anschließen, der eben jene verkrampften Grenzziehungen für überflüssig erklärt: „So gesehen lautet die Frage derzeit weniger, ob Kunst, Architektur und Design miteinander verschmelzen, sondern ob der Trend dahin geht, dass Kunst und Architektur in Design aufgehen werden."

Auf das Design – und deren Ausbildungsstätte Kunsthochschule – warten also nicht schlechte, sondern höchst spannende Zeiten.

www.design.hfbk-hamburg.de
www.friedrichvonborries.de

Friedrich von Borries, Foto © FvB