Design ist keine Kunst ‒ eine lapidare Feststellung, die dennoch und stetig Widersprüche provoziert. Für die aufgebrochenen Grenzen zwischen Kunst und Design bedarf es keiner besonderen Beweise mehr. Künstler haben längst das Konsumverhalten zu ihrem Thema gemacht und operieren mit der identifikationsstiftenden Rolle der Produktkultur. Das schrille Postmoderne-Design der 80er Jahre experimentierte mit effektvollen Kunst-Formen und glänzte mit Einfällen, um uns die Ununterscheidbarkeit von Serienprodukt und Kunstunikat vor Augen zu führen. Der gezielte Affront gegen gewohnheitsmäßige Zuordnungen und lieb gewordene Domänen hat zweifellos Debatten über den sozialen Ort des Designers ausgelöst und zur selbstreflexiven Auseinandersetzung mit den Bedingungen seiner Arbeit angeregt. Aber Designdiskurs und Designpraxis stehen in einem ambivalenten Verhältnis zueinander. Radikale Strategien erlangen nur bedingt Relevanz für eine praktische Umsetzung von Entwürfen, die für eine industrielle und serielle Produktion konzipiert sind. Designer genießen hier nicht das Privileg von Künstlern, quasi voraussetzungs- und bedingungslos zu denken, um Verhältnisse auf den Kopf zu stellen. Für die Realisierung ihrer Entwürfe ‒ und darum geht es ‒ bleiben stets soziale und funktionale Parameter konstitutiv.
Niemand wird mit Bestimmtheit sagen können, wo die imaginäre Demarkationslinie zwischen Kunst und Design verläuft. Nur so viel ist sicher: Serielles Design ist immer Konventionen (im Sinne gesellschaftlicher Übereinkünfte) verpflichtet. Sie geben einen Rahmen vor, innerhalb dessen Funktionen und Wirkungen von Gegenständen konzipiert werden. Dies zu interpretieren, umzuformulieren, zu biegen oder partiell zu brechen, ist die individuelle Leistung des Entwerfers. Mit der Transformation oder Umformulierung gängiger Parameter definieren die Autoren auch in Permanenz, was Konvention ist, bleibt oder wird. Insofern wird Designqualität auch daran gemessen, inwieweit Gewohnheiten und Normdenken konterkariert werden. So gesehen ist gegenständliches Entwerfen auch mit künstlerischen Strategien wie der Dekonstruktion vergleichbar. Dennoch scheint es eine fundamentale Differenz beider Disziplinen zu geben. Der Konventionsbruch des Designers wird immer ein partieller bleiben. Seine Grenzüberschreitungen werden die komplexen Realisierungsbedingungen eines Entwurfs nicht ignorieren können. Das Machbare bleibt immer ein Korrektiv der Umsetzung. Und dennoch: Das Machbare im Blick zu haben, aber das Mögliche zu denken, beweist kreative Kompetenz, die sich in der Originalität einer Idee zu erkennen gibt und von der Gesellschaft mit Begehren (und Verehren) honoriert wird. Auf dem Markt (der Images) stehen Designer den Künstlern nicht mehr nach. Sie nobilitieren ihre Leistungen mit der Signatur des geistigen Urhebers und mit der so beglaubigten Autorschaft. So zirkulieren die Designprodukte wie Unikate auf den Umschlagplätzen des Lifestyle. Hier wird nicht mehr generell zwischen Kunst- und Designobjekt unterschieden. Gefragt ist das identitätsstiftende Potenzial der Objekte. Gegenwärtig sind wir Zeugen eines rasanten Verschleißes von gruppenspezifischen und individuellen Codierungen. Vor allem Jugendliche bedienen sich dinglicher Attribute zur Demonstration einer nur noch temporär begriffenen Identität. Aber nicht für sie allein gilt, dass die Vergewisserung im Unverwechselbaren, Persönlichen und Inkompatiblen zwar gesucht, aber dauerhaft nicht gewollt ist. Hinter der Inflationierung des Design im flüchtigen Outfit der Dinge verbirgt sich auch eine Sehnsucht nach dem Einzigartigen und Individuellen. So gesehen kompensieren auratische Gegenstände vielleicht auch die Verlusterfahrungen einer technologisch gestützten Beschleunigungskultur. Ob der nützliche Gegenstand als solcher Verwendung findet oder primär als originäres Dokument eines Lebensstils vorgezeigt wird, das entzieht sich dem Willen des Designers, widerspricht möglicherweise auch seinen Intentionen. Das Phänomen ist nicht neu, bedenkt man, zu welch auratischen Objekten die Prototypen des Baushausdesign längst avanciert sind. Und es sind nicht ihre ethischen und sozialen Programme, die ihre Arbeiten zu begehrten Sammelstücken machen. Der Rezeptionskontext entscheidet letztlich, ob zum Beispiel Wittgensteins Türgriffe gute Gestaltung oder Indikatoren seines philosophischen Denkens sind. Diese Wurzeln liegen in der historischen und diskursiven Vernetzung von Kunst und Design. Gestaltung hat sich im Kunstkontext etabliert, im letzten Jahrhundert auch von der Kunst, dem Kunsthandwerk, beziehungsweise der angewandten Kunst emanzipiert und mit dem Bauhaus auch eine institutionelle Autonomie erlangt. Hier gewann erstmals das Denken über Gegenstände Vorrang vor dem Entwerfen von Gegenständen. Diese geistige Emanzipation ist nach wie vor Grundlage unserer Profession.
www.buero-staubach.de
Vorrang für das Denken
von Helmut Staubach | 08.03.2012
Helmut Staubach, Foto © Esch-Kenkel
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