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Die Fassade aus gewelltem Plexiglas wirkt wie ein filigraner Vorhang. Foto © Vitra
Vorhang auf in Weil am Rhein
von Daniel von Bernstorff | 25.04.2013

„Das Eindrucksvollste an der Baukunst von SANAA ist es, komplizierte und schwere Dinge ganz einfach wirken zu lassen“. Vitra-Chairman Rolf Fehlbaum bringt es auf den Punkt. Für den Neubau der Produktionshalle im Süden des Campus hat das Unternehmen das japanische Architekturduo Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa (SANAA) beauftragt. Nun ist das Gebäude fertig – und damit ein weiterer architektonischer Höhepunkt auf dem Gelände, wo auch schon Tadao Ando, Zaha Hadid und jüngst Herzog & de Meuron ihre Spuren hinterlassen haben. Leichtigkeit ist die große Klammer des Projektes: Die Fassade aus gewelltem Plexiglas wirkt wie ein filigraner Vorhang und umgibt den riesigen, kreisförmig anmutenden Baukörper, der dadurch fast schwerelos wirkt.

Mehr als zehn Jahre hatte sich auf dem Vitra Campus nichts mehr getan: Seit dem Großbrand im Jahr 1980, dem die Bauten von Tadao Ando (Konferenzpavillon, 1993), Zaha Hadid (Feuerwehrhaus, 1993) und Alvaro Siza (Produktionshalle, 1994) folgten, war es 2006 endlich wieder soweit. Vitra vergab Aufträge an Herzog & de Meuron für das VitraHaus, das Anfang 2010 eröffnete, sowie an SANAA für ein Produktionsgebäude im Süden des Campus.

Die neue Produktionshalle war dringend nötig: als Heimat für das zu Vitra gehörende Ladenbau-Unternehmen Vitrashop, das bislang in einer ebenso vom Brand leicht beschädigten Halle mit 12 000 Quadratmetern untergebracht war. Angedacht für den Neubau waren ursprünglich vier separate Gebäudekörper auf einer Fläche von 20 000 Quadratmetern. Nach einer ausführlichen Analyse schlug SANAA schließlich vor, ein einziges, kreisförmiges – in Wirklichkeit nicht ganz rundes – Gebäude zu errichten. Eine kluge und weitsichtige Entscheidung, wie sich herausstellte. Und eine ungewöhnliche. Der Entwurf von SANAA bricht mit den Regeln, eine Produktionshalle nur rechteckig zu gestalten. Der Rundbau ermöglicht entgegen diesen Vorstellungen jedoch eine hohe Flexibilität. Die kreisförmige Struktur erlaubt Anlieferung und Abholung je nach Bedarf an ganz unterschiedlichen Orten und führt damit zur Optimierung der Verkehrsströme innerhalb der Halle. Auch die Montagezone in der Mitte kann entsprechend der eintreffenden Aufträge variabel konfiguriert werden.

Das Gebäude wurde konsequent von innen heraus entwickelt, entsprechend der funktionalen Anforderungen von Vitrashop. Wer die Halle betritt, findet sich in einer lichtdurchfluteten, hellen und freundlichen Umgebung wieder, in der alle Funktionen, von der Beleuchtung über die Sprinkleranlage bis zur Strom- und Gasversorgung klar gegliedert und sichtbar sind und damit einem gestalterischen Gesamtplan folgen. Durch den Einsatz der Farbe Weiß - typisch für SANAA - und Fenster sowie Ladetore, in unregelmäßigen Abständen in den Sichtbeton geschnitten, erscheint das Gebäude hell und licht. Es vermittelt ein Gefühl von Leichtigkeit und Ruhe, das eine angenehme Arbeitsatmosphäre erahnen lässt.

Diese Leichtigkeit setzt sich auch außen fort. Die Fassade wirkt durch ihre wellige Struktur wie ein leichter Textil-Vorhang und verleiht dem Korpus damit gleichzeitig eine skulpturale und poetische Qualität. Ein weiteres Beispiel für die Fähigkeit von SANAA, komplexe Raum - und Funktionsanforderungen zu analysieren und aufs äußerste reduzierte und intelligente Lösungen zu entwickeln. Ob es sich um ein Bürogebäude, ein Universitäts- oder Forschungsgebäude, eine Kultureinrichtung oder wie hier um eine Produktionshalle - für die Architekten eine Premiere – handelt, ist unerheblich. Stets wird mit der gleichen Sorgfalt und Akribie analysiert, werden unzählige Modelle und Zeichnungen angefertigt, Materialstudien in Auftrag gegeben und erst wenn jedes Detail passt, geben sich die Architekten zufrieden.

„Sie können ganz schön dickköpfig sein“, bemerkt Rolf Fehlbaum, worauf ihm Kazuyo Sejima in ihrer sympathischen, bescheidenen Art sofort widerspricht. Schüchtern und zurückhaltend, aber auch scheinbar erstaunt über die große Aufmerksamkeit und den Medienrummel, den ihre Architektur gerade in Europa hervorruft – so waren Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa vergangene Woche bei der Eröffnung der Produktionshalle zu erleben.

Ernsthaftigkeit, Präzision, analytische Prägnanz, Bescheidenheit und poetische Ausdruckskraft: Das sind die magischen Zutaten der Architektur von SANAA, die sich so gar nicht einem gängigen Baustil zuordnen lässt und gerade deshalb eine ganz ureigene Kraft entwickelt. Das Produktionsgebäude für Vitra ist ein weiteres, ganz wunderbares Beispiel dafür.

Daten & Fakten

Projekt: Produktionshalle für Vitra, Weil am Rhein
Planung: Kazuyo Sejima + Ryue Nishizawa/ SANAA, Tokio, Japan
in Zusammenarbeit mit nkbak, Frankfurt, Deutschland
Ausführung: Mayer Bährle Freie Architekten BDA, Lörrach, Deutschland,
Bauphase: 2007-2012
Grundstücksfläche: 50 000 m2
Gebäudegrundfläche: 20 455 m2
Gebäudehöhe: 11,4 m

Die wellige Fassade verleiht dem Korpus eine skulpturale und poetische Qualität. Foto © Vitra
Das Gebäude für Vitrashop wurde konsequent von innen heraus entwickelt. Foto © Vitra
Hell und licht: Fenster sowie Ladetore sind in unregelmäßigen Abständen in die Wände geschnitten. Foto © Vitra
Lichtdurchflutet und übersichtlich: Alle Funktionen, von der Beleuchtung über die Sprinkleranlage bis zur Strom- und Gasversorgung, sind klar gegliedert
und sichtbar. Foto © Vitra
Der Entwurf von SANAA bricht mit den Regeln, eine Produktionshalle nur rechteckig zu gestalten. Foto © Vitra
Ein weiteres Beispiel von SANAA, komplexe Raum - und Funktionsanforderungen zu analysieren und aufs äußerste reduzierte und intelligente Lösungen zu entwickeln. Foto © Vitra
Die SANAA-Architekten Ryue Nishizawab und Kazuyo Sejima bei der Eröffnung. Foto © Daniel von Bernstorff, Stylepark
Die kreisförmige Struktur erlaubt Anlieferung und Abholung an unterschiedlichen Orten - eine Optimierung der Verkehrsströme. Foto © Vitra