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Von Tarnkappen und Schlitzhosen
von Nina Reetzke | 14.03.2012

„Chinesische Dinge", diesen schlichten aber prägnanten Titel trägt eine aktuelle Ausstellung im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst. Für das kundige Auge offenbart der Ausstellungstitel, in chinesischen Schriftzeichen dargestellt, jedoch durchaus sprachliche Raffinessen. Er setzt sich aus vier Schriftzeichen zusammen, die Zeichen „Mitte" und „Land" stehen für China, die Zeichen für „Osten" und „Westen" bedeuten zusammen Dinge, im Sinne von „hier etwas, dort etwas" – ein treffliches Wortspiel für eine Ausstellung östlicher Produkte im Westen. Mit einem freundlichen Lächeln bekomme ich diese Sprachnuancen von Wang Ning erläutert, in dessen Begleitung ich die Ausstellung besuche. Der Spezialist für Kalligrafie wurde im chinesischen Nanjing geboren, lebt jedoch seit mehr als zwanzig Jahren in Frankfurt am Main.

Ich frage Wang Ning, zu welchem der Dinge, er den stärksten Bezug hat. Ohne zu zögern, geht er auf Thermoskannen aus Edelstahl zu, jene weithin bekannten Modelle in Zylinderform mit aufgestülpter Tasse, in Rot mit Pfingstrosen darauf. Das Wasser aus den Behältnissen mit 1,5 bis 2,5 Liter Fassungsvolumen wurde früher nicht nur zum Trinken, sondern auch zum Waschen von Gesicht und Händen verwendet. Das Wasser sei über Stunden hinweg warm geblieben, so werden sie heute noch angepriesen. Falls der Verschlusskorken nicht dicht war, wurde er – was offensichtlich häufiger vorkam – mit Stoff umwickelt. Nein, anders als in heutigen Szeneläden westlicher Metropolen, seien die Kannen ursprünglich nicht teuer gewesen, die meisten chinesischen Familien haben mehrere Exemplare besessen. Gegenwärtig sind diese Thermoskannen im Haushalt, im Vergleich zu den dreißiger und vierziger Jahren, nicht mehr so wichtig, die Kanalisation ist besser ausgebaut, und Wasserkocher haben sich inzwischen durchgesetzt.

Neben Bekanntem – Wok, Tigerbalsam, Amuletten beispielsweise – lassen sich für Europäer auch bisher noch wenig bekannte Produkte entdecken, etwa ein elektrischer Chinaböller (erinnert etwas an elektrische Christbaumkerzen) oder eine Schutzkappe gegen Wetter, Insekten, unangenehme Mitmenschen (der Träger sieht entfernt wie ein Schweißer aus). Zu etlichen Diskussionen über kulturelle Dimensionen des Privaten mag die sogenannte Schlitzhose führen. Zwar hält sie Baby-Beinchen schön warm, doch gleichzeitig ermöglich eine Öffnung auf Gesäßhöhe den Toilettengang, schützende Windeln sind nicht von Nöten. Dem Kinderpopo, so heißt es in China, wohne die Hitze von drei Feuern inne. Wang Ning erklärt, dass diese Erziehungsmethode dazu führe, dass Babys schon im Alter von einem Jahr trocken seien.

„Made in China" – was denkt mein Begleiter Wang Ning von diesem Label? Inzwischen könne er den Begriff ohne Wertung, neutral betrachten. Das sei jedoch nicht immer so gewesen, lange wäre seine Vorstellung von westlichen (kritischen) Meinungen beeinflusst gewesen, da habe er erst umdenken müssen. Er spricht von einer „Kritik des westlichen Geschmacks". Was macht für Wang Ning die besondere Qualität von chinesischen Dingen aus? „Moden", lautet seine Antwort. In China gebe es oft neue Produkte, die dann plötzlich überall auftauchen, bis sie auf einen Schlag wieder vollständig aus dem täglichen Leben verschwinden. Er deutet auf einen Tauchsieder. Dieses Modell sei lange verbreitet gewesen, heute sehe man es kaum noch, es war aus technischer Sicht nicht sicher genug.

Die Kuratoren Stephan von der Schulenburg, Peter Schneckmann und Wu Xuefu erklären, dass die Ausstellung, den Blick auf das tägliche Leben in China lenken soll, inklusive gesellschaftlicher und kultureller Bedeutungsebenen. Der Zugang solle jenseits von Wirtschaftskontakten und den Differenzen zwischen den politischen Systemen – auf einer menschlichen Ebene – geschaffen werden. Bei Dingen wie dem „Acht-Kostbarkeiten-Reisbrei" oder der „Future Cola" mag man ihrem Ansatz folgen können, spätestens beim Anblick der Motorrad-Rikscha lässt sich die Realität – zumindest bei mir – nicht mehr ausblenden. Hatte nicht zum Beispiel gerade dieser Tage „Great Wall" als erster chinesischer Autobauer bekannt gegeben, dass er ein Werk im bulgarischen Lowetsch – und damit in der Europäischen Union eröffnet hat – und dort mittelfristig rund 50.000 Fahrzeuge wie den Kleinwagen „Voleex C10" oder den Pick-Up „Steed 5" pro Jahr fertigen möchte? Hieß es in der Meldung nicht, dass es für „Great Wall" ein strategischer Schritt sei, „Zugang zum Markt der Europäischen Union zu bekommen"? Der Blick für das Gesamtbild kann und sollte nicht verloren gehen, insofern wirkt die Ausstellung stellenweise verniedlichend und weltentrückt. Auf der anderen Seite liegen die Leistung und der Charme der Ausstellung sicher darin, menschliche, gesellschaftliche und kulturelle Seiten des chinesischen Alltagslebens zu vermitteln – Aspekte, die in der öffentlichen Darstellung im westlichen Teil der Erde sonst eher kurz kommen.

Gibt es ein chinesisches Ding, das in der Ausstellung fehlt? Der Blick von Wang Ning fällt auf ein Smartphone, dass einer der Mitarbeiter von Wu Xuefu in den Händen hält. Das sei ja das eigentliche chinesische Produkt der Gegenwart. Da verwundert es nicht, wenn sowohl deutsche als auch chinesische Ausstellungsmacher wiederholt betonen, dass bei diesem Projekt die Kommunikation über die Kontinente ungewohnt einfach verlief. Erstmalig seien keine Funktionäre involviert gewesen. Das Smartphone, der heimliche und vergessene Held der Ausstellung?

Chinesische Objekte
Von 23. Februar bis 27. Mai 2012
Museum für Angewandte Kunst Frankfurt
www.angewandtekunst-frankfurt.de

Zum Weiterlesen:
Essentially Chinese - Chinesische Dinge
Von Bo Puke und Tilman Lesche (Übersetzung)
Softcover, 169 Seiten, deutsch (auch in chinesisch und englisch verfügbar)
China Books, Zürich, 2009
23,33 Euro
www.chinabooks.ch

Blick in den Ausstellungsraum, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Kleinere Dinge in einer Glasvitrine, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Elektrischer Chinaböller, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Elektrisches Wörterbuch mit Statue des Gottes Wenquxing, der bei Prüfungen hilft, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Wang Ning erläutert den Gebrauch von Thermoskannen im chinesischen Alltag, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Umschläge für Geldgeschenke, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Wang Ning lobt die Qualität einer Bambusmatte, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Frontalblick in einen Fahrerraum, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Schlitzhose für Babys, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Grillenkäfig, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Wang Ning betont die Bedeutung der Pinselqualität für Schreibübungen, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Exponate aus der Ausstellung „Chinesische Dinge“, Fotos © Museum für Angewandte Kunst Frankfurt, Montage © Dimitrios Tsatsas, Stylepark
Sicht vom Eingang, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Amulette mit Glücksknoten, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Palmfächer mit verschiedenfarbigen Umrandungen, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Raumschiffmodell „Shenzhou“, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Briketts für Kanonenöfen, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Gestickte Banner mit Lobessprüchen, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Motorrad-Rikscha, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Glücksbringer für eine sichere Fahrt, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Namensplaketten für touristische Orte, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Lamm Hotpot, Foto © Nina Reetzke, Stylepark
Chinesische Version des Buchs „Chinesische Dinge“, Foto © Nina Reetzke, Stylepark