Backstein, Ziegel und Klinker – das sind Baumaterialen, die ihre Wurzeln in archaischer Vorzeit haben. Es sind keine natürlichen, sondern künstliche, kulturell beeinflusste Steine. Eine Lichtfigur der Architektur des 20. Jahrhunderts, die oft fälschlicherweise als die „weiße Moderne“ bezeichnet wurde, schrieb: „Wie vernünftig ist diese kleine handliche Form, so nützlich für jeden Zweck. Welche Logik im Verband, im Muster und Textur. Welcher Reichtum in der einfachen Mauerfläche, aber wie viel Disziplin verlangt dieses Material!“ Ja – es war dieser Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969), den man gemeinhin mit viel Glas und wunderbar proportioniertem Stahl zusammenbringt, der hier den Ziegel huldigt.
In seinem Frühwerk hat sich der Direktor des Bauhauses und Erfinder einer neuen, industriell geprägten Architekturkultur in den zwanziger Jahren dem Backstein gewidmet. Die Krefelder Villa für den Unternehmer Hermann Lange, ein „wirtschaftspolitischer Akteur", Mitglied des Deutschen Werkbundes und Gründer des Vereins „Neue Kunst", spiegelt eindringend diese ambivalente Eigenschaft des Ziegelsteins zwischen Archaik und Aufbruch wider. Die benachbarte Villa Esters, ebenfalls von Mies van der Rohe, und die Villa Lange gehören zu einem gefühlten Weltkulturerbe des Backsteinbaus, obwohl sie technisch und innovativ nicht die Bedeutung erringen konnten wie das weltberühmte Tugendhat-Haus in Brünn und der Pavillon der Weltausstellung in Barcelona (Mies van der Rohe hat sie selbst nie im großen Stil publiziert). Das für ihn bedeutende Thema, „die Öffnung des Raumes unter Wahrung seiner Eigenständigkeit“ (Biograf Wolf Tegethoff), schien in der Differenzierung von Wand und Stütze eben den neuen Materialien vorbehalten zu sein.
Doch vorsichtig: In der Geschichte des mitteleuropäischen Backsteinbaus – nimmt man die Hansestadt Hamburg als Beispiel – spielten weniger die materiellen, also die konstruktiven Eigenschaften (welche unbestritten sind) eine Rolle, als mehr die immateriellen Faktoren wie das Image des Materials.
Für die industrialisiert ausgerichteten Bauhausarchitekten galten Ziegelbauten nicht als ein Zeichen von Fortschritt. Wenige Jahre zuvor jedoch galt der expressive Bug des backsteinernen Chilehauses von Fritz Höger in Hamburg nahezu als Fanal des deutschen Aufbruchs nach dem Ersten Weltkrieg und ist heute, neben dem Michel (auch aus Backstein), das wichtigste Hamburger Wahrzeichen. Ebenso die Speicherstadt, wo Türme, Zinnen und Millionen von Ziegeln etwas von der Wehrhaftigkeit und den Unbesiegbarkeiten mittelalterlicher Burgen erzählen, obwohl es einfach betrachtet nur mehrgeschossige Lagerhäuser sind, die in Hamburg Speicher heißen.
Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das bürgerliche Hamburg weiß geputzt, mit Ausnahme der Kirchen, Krankenhäuser und Gefängnisse. Der kleine Stein war den Hanseaten nicht schick genug, bis Fritz Schumacher kam, der knapp dreißig Jahre als Baudirektor das Bild Hamburgs prägte. Unter seiner Direktion entstanden Schulen und andere Staatsbauten, die Hamburger Kaffeemühle, umgangssprachlich für ein freistehendes Haus aus Backstein, oder die bis heute vorbildlichen Großsiedlungen der Zwischenkriegszeit. Schumacher hatte den Backstein favorisiert, weil „etwas Herbes, Strenges in diesem Klima reifen sollte“, nur der Backstein könne gegen Nebel und Seewind bestehen. Das zum Thema Solidität und Klimatauglichkeit.
Schumacher war es auch, der mit seinem Bauwerk für die Finanzbehörde am Hamburger Gänsemarkt (1926) neue, konstruktive Maßstäbe im gemischten Beton-Steinbau setzte, beziehungsweise ein neues Bild des Ziegelbaus propagierte. Der massive Ziegelmauerwerksbau ist seit Beginn des 20. Jahrhunderts im Prinzip ein Relikt und wurde durch mehrschalige Wandsysteme abgelöst. Historische Mauerwerksverbände, die vor ein anderes Material gesetzt wurden, simulierten nur noch das alte Bild; spätestens mit der heute notwendigen, aber rigiden Dehnungsfuge platzt eine solche „Theatervorführung“. Schumacher zeigte schon damals mit fein gewebten Ziegelfeldern als Brüstungselemente, dass diese nicht tragen können – das tut der Eisenbeton dahinter.
Und heute? Man kann zusammenfassen, soweit es die Nachhaltigkeit (vor allem im Wohnungsbau) und die Architektur im Klimawandel betrifft, dass es nichts Schöneres und Vernünftigeres gibt als zweischaliges Mauerwerk. Man muss ja nur die Lebendigkeit einer Mauerwand mit dem rasch alternden Außenmantel eines geputzten Wärmeverbundsystems vergleichen, und sich ausmalen, wie ein guter Klinker in hundert Jahren wirkt. Wir wissen es – wie ein würdig gealtertes Material.
Schwieriger ist es mit dem Bestand, da ist manchmal die Gefahr groß, künstliche Riemchen, „Fakes“, einzusetzen, die beinahe wie Steine aussehen, sich aber verraten, wenn man mit den Fingerkuppen beim Klopfen ihre Hohlheit herausfindet. Die bauphysikalischen, vor allem die energetisch relevanten Eigenschaften einer mehrschaligen Mauerwand werden sich trotz scheinbarer Mehrkosten auch bei Altbauten durchsetzen, weil es nachhaltig ist und weil keiner weiß, ob künstliche Wärmedämmverbundsysteme nicht irgendwann als Sondermüll enden.
Ein Aperçu zum Schluss: Eine Backsteinvilla in Hamburg-Volksdorf. Sie könnte für die Zukunft des Ziegels stehen. Der lehmfarbige Klinker erzielt eine offene, leichte Komposition, wie ein Tempel der Moderne mit einer sehr leichten, anmutigen Optik. Die Fassade thematisiere den „Kontrast zwischen der Massivität der Ziegelwände, die durch die tiefen Laibungen und ihrer großflächigen homogenen Textur betont wird, und der Leichtigkeit flächenbündiger Fenster“ schreibt die junge Hamburger Architektengruppe LA´KET dazu. „Die geschlossenen Bereiche der Fassaden sind als zweischalige Mauerwerkskonstruktion, die transparenten Bereiche der Fassaden als filigrane, in großen Teilen fest verglaste Dreifachverglasung ausgebildet“. Hätte Ludwig Mies van der Rohe damals schon all diese technischen Möglichkeiten gekannt – hätte er weniger auf Stahl und Beton und mehr auf Backstein zugegriffen? Wer weiß es so genau...