Das Trendforum auf der Heimtextil: Im Labor zeigt Mutter Natur, wo’s langgeht. Alle Fotos © Martina Metzner, Stylepark
Vive la Raffinesse!
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von Martina Metzner
12.01.2014 Man könnte meinen, Weihnachten wäre noch nicht vorbei, wenn man sich dieser Tage auf der Heimtextil in Frankfurt tummelt, so glänzt und glitzert es da. Silber beschichtete Stoffe mit Knittereffekten, Leinen, der mit kupfernen Stickereien verziert ist, Tapeten, die mit Strass besetzt sind. Das sind einige der vielen zeitgeistigen Trends auf der Heimtextil, deren Aussichten im übertragenen Sinne glänzend sind. Denn die gesteigerte Lust am modischen Dekorieren der Wohnung als Ort des Rückzugs von der hektischen, durchtechnologisierten Welt ist ungebrochen. In den Hallen der Messe herrscht emsiges Treiben, die Vertriebsfrauen und -männer sind positiv gestimmt, was die anstehende Saison betrifft. Und Neuigkeiten zu zeigen haben sie allemal, auf der Heimtextil, die dieses Jahr mit 2.718 Ausstellen aus 61 Ländern aufwartet. Was sind also die Trends, die neuen Farben, Materialien und Oberflächen, die wir bald als neue Mitbewohner in unseren vier Wänden begrüßen können? Wo, wenn nicht im Trendforum, das die letzten Jahre viel Lob bekommen hat, finden wir die Antwort. Doch dieses Jahr weiß es nicht wirklich, wohin es will, mit seinen vier Konzeptbereichen. Ein Bereich bedient sich bei allerlei Jugendkulturen mit schreienden Neonfarben, lässt einen „echten“ Hipster mit einem Airbrush-Drucker Taschen „individuell gestalten“, während als dekorative Hintergrundbespielung der ganzen Inszenierung die Bewegungen der Menschen als Farbwelten simuliert und auf eine Wand projiziert werden. Im anderem Bereich des Forums wartet das Labor von Mutter Natur. Herunterhängende Stoffe in grünen und silbrigen Tonalitäten, Reagenzgläser und allerlei Apparaturen versetzen den Besucher unvermittelt in die Biologiestunden der Schulzeit zurück. Aber nicht Themen rund um Nachhaltigkeit sollen hier vermittelt werden, sondern dass die Natur eine prächtige Quelle für neue Materialien und Techniken ist: Etwa Bakterienkulturen für neue Färbetechniken oder der „Mycelium Chair“, ein 3D-gedruckter Stuhl aus biologisch nachwachsendem Material. Der nächste Bereich des Forums huldigt dem wachsenden Interesse nach Ursprünglichkeit in einer Art Zelt-Lager. Bei einem Tee und inmitten einer Stoffsammlung aus Wolle, Baumwolle, Leinen in leichten bis groben Strukturen wird vermittelt, das „öko“ durchaus „chic“ aussehen kann. Zusammen mit dem vierten Bereich, einem Orient-Labyrinth aus reich gemusterten und in Gewürzfarben getauchten Stoffbahnen, wird uns deutlich: Die Heimtextil will uns auf diesen beiden Stationen in die Wüste schicken. Zu unseren Vorfahren. Die wussten ja noch, wie es geht! Summa summarum: Alles schon irgendwo anders gesehen. Ohne großen Aha-Affekt zieht die Karawane weiter, in Halle 3.1, das Herz der Heimtextil. Hier stellen die großen Tapetenhersteller aus, Erfurt, A.S. Creation, Omexco, Arte. Aber auch erlesene Anbieter wie Élitis und Sahco sind mit von Partie. Die Marburger Tapetenfabrik hat es dieses Mal in den Palmengarten verschlagen und bringt ihre Besucher hoheitlich mit einem Shuttle-Service dorthin. Die Lust, sein Heim wie ein Schloss herzurichten, muss groß sein, so sehr fallen die fast an jedem zweiten Stand präsentierten Vorhänge mit Glitzereffekten und Neo-Barocktapeten mit Floral-Ornamenten auf. Klar, dass Harald Glööckler, der deutsche Homeshopping Star-Verkäufer, auch hier sein Unwesen treibt – und neben weiteren „Promis“ wie Dieter Bohlen, Barbara Becker und Jette Joop seine neue Kollektion bei Marburger Tapeten vorstellt. Spätestens dann wird einem klar: Mit einem progressivem Designverständnis hat man es auf dieser Messe schwer. Man muss schon lange an der Oberfläche kratzen, bis etwas Interessantes zum Vorschein kommt. Beim französischen Tapetenspezialisten Élitis etwa erahnt man, welche innovative Meisterleistung hier an der Wand vollbracht wird: Eine reliefartige, schaumstoffgepolsterte Wandbekleidung im kräftigem Kardinals-Lila zieht die Blicke auf sich. Patrice Marraud des Grottes von Élitis erklärt die raffinierte Machart dieser Tapete, die zwei Jahre Entwicklungszeit in Anspruch genommen hat und die sich aus der Welt der Lingerie – man denke an Push-ups! – ableitet. Marraud des Grottes kommt ins Schwärmen und erzählt von italienischen Schuhmachern, deren Techniken man jetzt auch verwende, von Tabakblättern, die an der Wand zum Einsatz kommen und von digital bedrucktem Stoff, der nicht flach erscheint, sondern plissiert ist. Die Ergebnisse sind in der Tat Produkte von erstaunlicher Handwerkskunst. Auch gegenüber bei Arte gibt es diese schaumstoffgepolsterten 3D-Tapeten, hier streng geometrisch mit kleinen Kästchen, die sich aber hin und wieder einen „Wackler“ erlauben. Es ist die neue Kollektion „Le Corbusier“, die an die Arbeiten des Architekten erinnern soll und in strenger Absprache mit der „Fondation Le Corbusier“ in Paris entwickelt wurde, so dass nur die echten Le Corbusier-Farben zur Anwendung kommen. Die sechs Tapetentypen „Squares“, „Tints“, Dots“, „Stone“, „Unity“ und „Pavilion“ erscheinen in einer ausgewogenen, minimalistischen Komposition und werden sicher ihr Publikum finden. Einen ganz anderen Weg geht Architects Paper by A.S. Creation. Ihre Neuheit heißt „Pigment“: Reliefierte Vlies-Tapeten, die mit einer individuellen Farbe bestrichen werden können. Dass die Welt auf so einer internationalen Messe plötzlich sehr klein werden kann, bemerkt man nicht nur an den vielen Sprachen, die einen akustisch umnebeln, sondern auch an der Bemerkung des Vertriebsmannes, dass sei eine besonders stark und rissfest Vlies-Tapete – geeignet zum Beispiel für Erdbebengebiete. Er meint es ernst. Dass die Branche gerade im Aufwind ist, hat auch etwas mit einer neuen Technik zu tun, die in Halle 4.1. von Hewlett Packard ganz konkret anhand von Maschinen ausgestellt wird: Der Digitaldruck, der sowohl für Papier, Vlies als auch für Stoffe in Frage kommt. Durch ihn eröffnen sich neue Möglichkeiten, großzügigere Rapporte, schärfere und realistische Drucke und das alles recht kostengünstig und in Windeseile. Auch die Textildesignerin Iris Maschek, die in der gleichen Halle ausstellt, preist die neue Technologie, während sie ihre grafisch-düsteren Drucke präsentiert, die mit gewohnten Stereotypen von Aquarellblüten oder Karomustern brechen, in dem sie diese auf eine morbide, höchst poetische und vor allem stilistisch sehenswerte Weise interpretiert. Maschek, die mit Herstellern wie Christian Fischbacher oder Arte zusammenarbeitet, ist so etwas wie ein Lichtblick auf dieser Messe, trotz ihrer dunklen Bilder. Sie versteht es, sich neben den vielen kommerziellen Designs der Marktmitte einen eigenständigen Auftritt zu erlauben. Eine ähnlich melancholische Sinnlichkeit und dunkle Tonalität trägt auch die neue Tapeten-Kooperation von Omexco mit dem belgischen Designteam Maison Martin Margiela. Stark gerasterte, überdimensionierte Rosenblütendrucke oder angedeutete Marmorgesteinsschichten in kristalliner Oberflächenbeschaffung – eine äußerst ungewöhnliche Gestaltung für Tapeten. So ist es eben für Branchen fast immer ein Gewinn, wenn Gestalter den Blick über den eigenen Tellerrand wagen. Auch die Kooperation des österreichischen Architekturbüros Coop Himmelb(l)au mit der Wiener Traditionsweberei Backhausen zeugt davon. Die von den Architekten gestalteten Stoffe wirken durch die grafischen Muster wie die amorph-technoiden Gebäudehüllen des Wiener Büros. Nach einem Tag Heimtextil, das Resümée: Es lohnt sich, an der Oberfläche gekratzt zu haben. Zwischen den vielen Stöffchen und Müsterchen überraschen einige Hersteller durch raffinierte Produkte. Die Branche ist im Aufwind, auch weil sie sich wieder traut, über ihre Grenzen zu gehen und neue Konzepte zu wagen. Der Besuch der Heimtextil ist damit ein guter, wenn auch nur mit kleinen Highlights gespickter Auftakt zu den weiteren Interior-Messen, die wir in den kommenden Tagen mit Spannung besuchen werden. www.heimtextil.messefrankfurt.com |
Neon-Pop-Punk lässt grüßen – Trend No.1.
Wie tanze ich grün?
Stoff mit eingewebten Federn von ATT Rotex, Taiwan.
Technologie + Natur: 3D gedruckter „Mycelium Chair“ von Eric Klarenbeek.
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Holz? Nein, Stoff! Von Punikim Textiles.
Nur eins der vielen Blütenspiele in Halle 4.1.
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„Barn the Spoon“ kam extra aus London zum Löffel-Schnitzen auf die Heimtextil.
Plissierter digital bedruckter Stoff wird zu „Opulence“-Tapete von Élitis.
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Schimmer überall, vor allem im Trendforum.
Lingerie für die Wand – bei Élitis.
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Leinen mit Lurexstickerei bei Casadeco.
„Squares“ aus der neuen Kollektion „Le Corbusier“ von Arte.
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„Pigment“ von Architects Paper by A.S.Creation – reliefierte Vliestapeten zum Bemalen.
Polsterstoff, der duftet, beim spanischen Anbieter Pyton.
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„Circles“- Kollektion von Coop Himmelb(l)au für die Traditionsweberei Backhausen.
„Early Bird“ von Christian Fischbacher.
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