Wer dieser Tage durch die Reihen eines der üblichen Elektrokaufhäuser schlendert, wendet sich mit Grauen: Die Vielfalt an elektrischen Haushaltsgeräten bei gleichzeitiger gestalterischer Einfalt, verleitet zum Wegsehen. Desaster by Design: Manche der Geräte sehen aus, als seien sie durch Dauerbenutzung zu heiß geworden. Ihre Formen, so scheint es, lösen sich auf, Materie zerfließt. Was für den flüchtigen Betrachter wie ein Makel durch Benutzung wirkt, hat eher zu tun mit dem verzweifelten Versuch, aufzufallen und dabei möglichst kein Geld für Produktidee und –entwicklung auszugeben.
Da heute in entlegenen Weltgegenden unter fragwürdigen Bedingungen produziert und dann spottbillig zu den Absatzmärkten transportiert werden kann, braucht es keine eigenständige Idee mehr oder ein originelles Konzept, um ein Massenprodukt auf den Markt zu bringen. Und es geht noch billiger als im Elektromarkt. Auch Discounter bieten längst elektrische Kleingeräte einfachster Bauart an. Zwei Drittel aller Wohnungsbrände werden durch defekte Elektrogeräte ausgelöst. Und so musste 2012 eine Drogeriekette einen Fön zurückrufen, dessen Schalter so mangelhaft war, dass er sich bei bestimmten Temperaturschwankungen von allein wieder einschaltete. Wer seinen brandgefährlichen Fön in den Markt zurück brachte, bekam den vollen Kaufpreis erstattet: 8,99 Euro.
Stille Helfer im Neuen Frankfurt
Unter solchen Bedingungen ist die Erinnerung an die glorreiche Designepoche der Marke Braun eine Erzählung aus längst vergangener Zeit. Hier eine Kurzfassung: Das Unternehmen wurde von dem Ingenieur Max Braun (1890–1951) gegründet. 1921 eröffnet er in Frankfurt seine Werkstatt für Apparatebau. Zu Beginn fertigt er Bauteile für Rundfunkgeräte, später kombiniert er Radiogeräte und Plattenspieler in einem Gehäuse. 1928 entsteht die erste Braun-Fabrik am Rande der Hellerhof-Siedlung des „Neuen Frankfurt“. Moderne Stadtentwicklung und Produktion gehen Hand in Hand. Weil Max Braun mit seinen Produkten Erfolg hat, produziert er bereits Anfang der 1930er Jahre auch in Belgien und Großbritannien. Als der Erfinder 1951 plötzlich stirbt, geben seine Söhne Artur (1925–2013) und Erwin Braun (1921–1992) eigene Karrierepläne vorerst auf und übernehmen die Führung des Unternehmens.
Während Artur als Techniker und Organisator gilt, ist Erwin zugleich Kaufmann und ganzheitlicher Visionär. Erwin Braun holt Fritz Eichler, Theatermann und Kunsthistoriker, als „ästhetisches Gewissen“ in die Firma. Erste Suchbewegungen führen zu Wilhelm Wagenfeld, dessen Vortrag über die Zusammenarbeit von Gestalter und Unternehmer 1954 neue Impulse liefert. Nachdem neue, sachlich gestaltete Radiogeräte 1955 für internationale Aufmerksamkeit sorgen, werden auch die Küchengeräte planmäßig erneuert. Dieter Rams, anfangs als Architekt eingestellt, übernimmt die Regie in der wachsenden Designabteilung. Erwin Braun formulierte später die Aufgabe: „Unsere elektrischen Geräte sollen unaufdringliche, stille Helfer und Diener sein. Sie sollten eigentlich verschwinden, so wie das gute Diener in früheren Zeiten auch immer gemacht haben. Man hat sie nicht gemerkt.“
Wer wieder ans Kaufhausregal des Jahres 2014 zurückkehrt, kann kaum glauben, dass es solche Produkte tatsächlich einmal gegeben hat. Sachliche Gestaltung findet sich hier nur noch in Spuren, ein gestalterischer Zusammenhang ist nirgends auszumachen. Von stillen Helfern hat sich Braun zeitgleich mit der Pensionierung von Dieter Rams Mitte der 1990er Jahre abgewandt. Unternehmensleitung und Designer – zum Teil dieselben, die unter Rams sachliche Entwürfe lieferten, gaben vordergründigen Effekten und Freiformen den Vorzug vor der evolutionären Weiterentwicklung.
Als Vorbild ausgedient
In Kronberg rieb man sich die Augen, als Apple-Chefdesigner Jonathan Ive sich zu seinem Vorbild Dieter Rams bekannte. Als deutlich wurde, dass der Unternehmer Steve Jobs in der Zusammenarbeit mit Designern – 1982 mit Hartmut Esslinger und ab 1996 mit Ive – nach gestalterischer Konsistenz suchte, die bei Braun längst verloren ist. Inzwischen ist das Unternehmen Braun, das einst Vorbild für andere war, dreigeteilt wie Gallien zu Zeiten Caesars. Den Kern bildet die Braun GmbH in Kronberg, die heute zu Procter & Gamble gehört. Kernthemen sind Herrenrasur, Haarentfernung und Haarpflege. Als Lizenzgeber hat Braun seine Markenrechte für Küchengeräte und Haushaltskleingeräte an die De'Longhi Appliances S.r.l. verkauft. Dieser Geschäftsbereich ist nun in Neu-Isenburg ansässig. Hergestellt werden Geräte zur Essens- und Frühstückszubereitung, eine besondere Rolle spielen Entsafter und Stabmixer, wie die Braun Zitruspresse. Auch Bügeleisen bietet De’Longhi unter dem Namen Braun an. Für Armbanduhren, Wecker und Taschenrechner wiederum hat die Zeon Ltd. in London die Markenrechte erworben. Zeon hat auch Modeuhren, Comic-Figuren und Spielzeugroboter im Angebot. Die äußeren Formen von Weckern und Armbanduhren (einst vor allem von Dietrich Lubs mit Liebe fürs Detail entworfen) sehen auf den ersten Blick aus wie zur Zeit ihrer Entstehung in den 1970er bis 1990er Jahren. Die Qualität allerdings, einst der entscheidende Faktor bei Braun, reicht nicht entfernt an die Originale heran.
Verbindendes Element zwischen Marken-Eigner und den beiden Lizenznehmern ist der Braun-Designchef Oliver Grabes, der mit seinem Team für alle drei Marken zuständig ist, ein Teil des Designteams arbeitet für Braun direkt bei De’Longhi Deutschland in Neu-Isenburg. Niemand erwartet heute noch von Braun jene „unaufdringlichen stillen Helfer und Diener“, die Erwin Braun einst propagierte. Und so überrascht die „Tribute Collection“ mit der Braun/De’Longhi nun zunächst gut eine Handvoll neuer Produkte auf den Markt bringt, die ein wenig so aussehen, als entstammten sie direkt der glorreichen Braun-Epoche. Doch nur für zwei von ihnen stimmt das beinah. Die elektrische Braun Zitruspresse „citromatic“ entstand 1972, nachdem Braun die spanische Firma Pimer übernahm und am Standort bei Barcelona neue Geräte fertigte. Das auch „MPZ 2“ genannte Produkt hat Rams gemeinsam mit Jürgen Greubel entworfen. Es war speziell für den spanischen Markt gedacht, erwies sich bald auf vielen Märkten als Longseller. Modifiziert wurden gelegentlich Produktgrafik und der Braun-Schriftzug. Von einer Neuauflage kann eher nicht die Rede sein.
Der kompakte Entsafter, einst „Multipress“ oder „MP 80“ genannt und 1988 von Hartwig Kahlcke entworfen, darf nun in Weiß wieder aufleben. Da ist der Standmixer, der jetzt „JB 3060“ heißt und der von Ferne betrachtet auf dem Vorläufer „Multimix MX 32“ von Gerd Alfred Müller aus dem Jahr 1962 zu beruhen scheint. Ideal geeignet für Mixgetränke, die in den Sixties mancher Party Glamour verliehen. Mehr als 1,4 Millionen Exemplare des „MX 32“ wurden zwischen 1962 und 1996 hergestellt. Tatsächlich handelt es sich bei der Neuauflage nur um eine optische Aufhübschung des „MX 2050“, ein stylisches Irgendwas mit aufdringlicher Produktgrafik, das 2001 Ludwig Littmann und Misae Shiba kreierten. Vielleicht haben auch die Küchenmaschinen „K 650“ (Littmann 1996) und „K 700“ eine Frischzellenkur durch neue Knöpfchen verdient. Doch eine „TributCollection“, die sich geriert, als stamme sie aus dem Manufactum-Katalog („Sie sind wieder da, die zuverlässigen Küchenhelfer im klassischen Braun Design“) ist so weder glaubwürdig noch sinnvoll.
Umräumen im Regal
Zugegeben: Für De’Longhi dürfte es nicht einfach sein, die technisch guten und verkäuflichen, gestalterisch aber höchst mittelprächtigen Geräte der umfangreichen Backlist, die sie mit der Lizenz übernahm, zügig zu verbessern. Doch die Braun-Designer, die sich um Haushaltsgeräte kümmerten, hatten vor allem eines nie im Sinn: Den Blick in den Rückspiegel in eine vermeintlich gute alte Zeit. Sie schufen für die Gegenwart, mit den Mitteln der Gegenwart. Und das ist es, was das Projekt „Tribute Collection“ mehr als albern erscheinen lässt. Dies ist die Antwort auf eine Frage, die niemand gestellt hat. Wenn schon, dann hätte man sich in den eigenen Archiven an wirklichen Vorbildern orientieren können. Die skulpturale Küchenmaschine „KM 3“ von Gerd A. Müller von 1957 gilt unter Sammlern als Ikone. Auch die Kaffeemaschine „KF 20“ von Florian Seiffert aus dem Jahr 1972 ist ein Objekt, das in keiner Braun-Sammlung fehlen darf. Gleiches gilt für die Toaster „HT 1“ und „HT 2“ von Reinhold Weiss, der bei Braun von 1959 bis 1967 maßgeblichen Einfluss auf die Gestaltung der Haushaltsgeräte hatte. Es waren die Toaster, Zahnbürsten und der Kombinationsgrill, nicht etwa Rasierer und Stereoanlagen, die Richard Hamilton zu seinen Braun-Arbeiten inspirierten. Die von Rams gestalteten Produkte, bekannte der Pop Art-Künstler, hätten sich einen Platz in seinem Herzen erobert und für ihn eine Bedeutung erlangt, „ähnlich der des Saint Victoire für Cezanne.“
Wie also könnte zeitgemäßes Design aussehen, das es mit diesen Meilensteinen aufnehmen kann? Vermutlich bräuchte man nicht nur Designer mit Courage und Selbstvertrauen, sondern auch Unternehmer, die mehr als nur Absatzzahlen im Blick haben. Gibt es die? Wo sollen sie ansetzen? Wie ihre Produkte produzieren und vertreiben? Solange all diese Fragen ohne Antwort bleiben, dürfte uns das Grauen im Elektroregal erhalten bleiben.