VIENNA DESIGN WEEK 2021 – REVIEW
Wissenstransfer für mehr Wertschätzung
15 Jahre Vienna Design Week – ein Jubiläum für Österreichs größtes Designfestival und gleichzeitig der Beginn eines neuen Abschnitts, denn Gabriel Roland übernahm vor einigen Monaten die Leitung von Lilli Hollein, der Mitbegründerin des Festivals. Zu der zukünftigen Ausrichtung sagte er im Interview mit Stylepark: "Ich bin schon ein paar Jahre dabei, aber werde das Festival nun aus einer ganz anderen Perspektive betrachten. Beliebte Formate wie die Auseinandersetzung mit Social Design im Bereich der Stadtarbeit oder die Themen Handwerk und Nachhaltigkeit werden bleiben. Der Festivalgeist ist aber trotzdem dynamisch und so sollte auch die Struktur der Vienna Design Week sein. Dabei stellt sich natürlich die Frage, was ein Designfestival inhaltlich benötigt. Ich würde zu dieser grundlegenden Thematik gerne ein Konferenzformat anbieten." Schwellen für die Auseinandersetzung und das Verständnis von Design weiß die Vienna Design Week seit jeher niedrig zu halten, ganz einem der diesjährigen Mottos entsprechend: "Bridges not borders!". In diesem Jahr wurde hierzu der 20. Wiener Gemeindebezirk als Zentrum für die Vermittlungsarbeit ausgewählt. "Im 20. Bezirk, der Brigittenau, wird in Kürze das Nordwestbahnhofgelände zu einem Stadtentwicklungsprojekt umgebaut, in dem bis zu 15.000 neue BewohnerInnen unterkommen werden. Dieser Einschnitt wird den Bezirk radikal verändern. Für uns als Designfestival ist es sehr interessant den Status Quo zu ermitteln und zu schauen, wo sich gemeinsame Perspektiven ergeben. Das ist gerade in unserer Auseinandersetzung mit Social Design aber auch in der Stadtplanung und Architektur wichtig", so Gabriel Roland. Das Programm bietet dabei viele Ansatzpunkte, um den öffentlichen Raum in der Brigittenau aus neuen Blickwinkeln zu sehen. Ein Beispiel ist das Projekt "Missing Link: Ein Versatzstück der Stadtbahn" von Marlene Lübke-Ahrens und Wolfgang Novotny: Mit viel Engagement erschloss das Duo – vorerst für die Laufzeit der Vienna Design Week und nach dem Vorbild des New Yorker High Line Parks – ein ehemaliges Bahnviadukt als Raum für Kulturangebote wie Konzerte. Das Projekt gehört auch zu den diesjährigen Siegern des Erste Bank MehrWERT-Designpreises.
Potentiale nutzen
Flächen in der Stadt erschließen und neue Netzwerke schaffen, deren Potenzial sonst im Verborgenen bleiben würde: zwei der großen Stärken des Festivals. "Wir wollen herausstellen, dass die Werkzeuge der Gestaltung uns alle in unserem Leben begleiten", so Gabriel Roland. Gleichzeitig wird in diesem Jahr den Forschungen der Hochschulen und JungdesignerInnen verstärkt eine Bühne geboten – erfreulicherweise zum Teil von Unternehmen gefördert. Der Sanitärhersteller Laufen unterstützt zum Beispiel das Projekt "Null Null Laufen x NDU", für das Masterstudierendende der New Design University St. Pölten die Sanitärräume von Schulen analysierten. Das Ergebnis sind Prototypen für neue räumliche Strukturen mit entsprechenden Material-, Licht- und Farbkonzepten. Auch grafische Elemente, wie Piktogramme, wurden für die Kennzeichnung der Wasch- und Toilettenräume entwickelt. Viele der Entwürfe zeigen dabei eine geschlechterneutrale Ausrichtung und eine Abkehr von den traditionell weißen Sanitäranlagen zugunsten einer angenehmeren Atmosphäre. Das Designduo chmara.rosinke nahm sich darüber hinaus der multifunktionalen Möblierung und Innenraumgestaltung für den neu gegründeten Design Campus im Schloss Pillnitz in Dresden an, ein Teil der Entwürfe wurde in der Wiener Festivalzentrale ausgestellt.
Neben frischen Ideen für die Innenraumgestaltung von Schularchitektur ist die Kreislaufwirtschaft ein prägendes Thema für die Exponate – sei es beim Konsum von Lebensmitteln, in der Produktgestaltung oder für die Mobilität und Energieerzeugung. "Tomorrow. Fabric with the use of seeds" von Renata Ramola-Piorkowska von der Academy of Art in Szczecin stellt so mit einem Textil aus Pflanzensamen, die mit einer biologisch abbaubaren Hydrofolie verbunden sind, die Frage nach der Verantwortung der DesignerInnen für den Lebenskreis ihrer Produkte. Die Arbeiten "Orbio Blast", "Orbio Beam" und "Orbio Drop" von Robert Mrowiec, Adrianna Paśkiewicz und Aleksandra Rutkowska von der Academy of Fine Arts Krakau bieten heimische Miniaturkraftwerke, die auf erneuerbaren Energien basieren. Die "Rain Wall" von Anna Ulmer, Natalia Rodríguez Ortega und Louisa Pankow von der Muthesius University of Fine Arts and Design zeigt ein Regenwasserspeichersystem, das es ermöglicht, die täglichen Niederschläge für die Bewässerung eines vertikalen Gartens zu nutzen, ohne eine unterirdische Zisterne installieren zu müssen. Dank dem modularen Aufbau kann dabei eine neue Fassade oder eine freistehende Struktur geschaffen werden. Das Forschungsprojekt Vibrant Fields – angesiedelt in der Abteilung für Energiedesign der Universität für angewandte Kunst – untersucht den Klimawandel derweil mit künstlerischen Mitteln: Gemeinsam mit der Abteilung für Tragwerksplanung und Ingenieurholzbau der TU Wien präsentiert das Projektteam bei der Vienna Design Week eine Installation, die die Vergänglichkeit von Energie und die Vielseitigkeit von Material begreiflich machen soll. Ein konstruierter Mikrokosmos bildet hierfür unterschiedliche Klimazonen ab und versucht die Interaktion des Menschen und der gebauten Umgebung zu imitieren.
Mit "Waste Ware" erkunden Studio Barbara Gollackner und Peter König die Potenziale von Lebensmittelabfällen als organisches Druckmaterial für Produkte wie Besteck oder Schalen, die dem Haushalt wieder zugutekommen. Mittels kleinen 3D-Druckern könnten diese so direkt in der eigenen Küche produziert werden. Das Designteam rund um Lukács László Vienna bietet passenderweise dazu eine Einführung in das 3D-Modellieren und 3D-Drucken als Workshop an. Das Industriedesignstudio EOOS next zeigt in der Ausstellung "Climate Care" im Rahmen der Vienna Biennale for Change 2021 im MAK – Museum für angewandte Kunst das "ZUV" (zero-emission utility vehicle), ein klimafreundliches Fahrzeug mit Elektromotor, das im Aufbau von einem Lastenfahrrad inspiriert ist und mit individualisierten Aufbauten versehen werden kann. Die selbsttragende Kunststoffkarosserie stammt vom Forschungs- und Designstudio The New Raw und wird mit einem Industrieroboter aus Recyclingplastik im 3-D-Druckverfahren gefertigt.
Parallel zu den Forschungsansätzen in Design und Architektur gibt es auch einige interessante Produktneuheiten zu entdecken, wie im Rahmen der Ausstellungsreihe "Design Everyday", die ausgesuchte Werke österreichischer Designstudios vorstellt – dieses Jahr bereits zum fünften Mal. Klemens Schillinger entwarf so die Hocker-Serie "Neubau" aus gebogenem Birken-Sperrholz in konvexen Formen. In unterschiedlichen Dimensionen dient "Neubau" als stapelbarer Hocker, Pult oder Zweisitzer. Die Tischlerei Trewit stellt den stapelbaren Freischwinger "Trax" von Robert Rüf aus Massivholz vor, der mit abgerundeter Form dem robusten Material eine sanfte Weichheit verleiht. Stefan Sagmeister kreierte mit "Beautiful Numbers" acht Varianten des Bierglases aus dem Trinkservice Nr. 4 von 1856. Diese sind mit Illustrationen von Raxenne Maniquiz versehen, denen Umweltdaten zu Grunde liegen, die einen positiven Blick in die Zukunft ermöglichen – sei es der sinkende Materialverbrauch pro Person und Jahr in Großbritannien oder die steigende Anzahl der Länder, die die UN Klimakonvention unterschrieben haben. Letztere soll dazu beitragen die Treibhausgaskonzentrationen so weit zu reduzieren, das eine gefährliche Störung des Klimasystems verhindert wird.
Gemeinsam stark
Zusammen für das große Ganze – der Kollektivgedanke findet sich in vielen Programmpunkten der Vienna Design Week. Wie auch mit Blick auf das Gastland in diesem Jahr: Statt einer einzelnen Nation wie sonst üblich, stellt das Festival dieses Mal ein multinationales Kooperationsprojekt vor. Das Format hinterfragt mit Unterstützung des Bundeskanzleramtes im Rahmen der Konferenz zur Zukunft Europas, was die EU für die Kreativwirtschaft und was die Kreativwirtschaft für die EU tun kann. Als Versammlungspunkt dient der von auf’strich und studiotut gestaltete Dorfplatz EU in der Festivalzentrale am Sachsenplatz, wo komplexe Zusammenhänge rund um das Thema gebündelt, niederschwellig aufbereitet und gemeinsam besprochen werden können. Allgemein bietet die diesjährige Ausgabe der Vienna Design Week zahlreiche Talks zu unterschiedlichen Themenfeldern der Gestaltung: von der Projektvorstellung seitens Christoph Huber und Ralf Steiner von AW Architekten, die aktuell unter anderem das medizinische Zentrum "MED 23" in Wien realisieren, bis zum Vortrag von Rechtsanwalt Philip M. Jakober zum Thema "Dein Design ist dein geistiges Eigentum: Spannungsverhältnis zwischen erfolgreicher Nutzung und unrechtmäßiger Ausnutzung“.
Die Vienna Design Week schafft es auch in diesem Jahr ein spannendes Programm auf die Beine zu stellen, welches der Kreativszene in Wien trotz pandemiebedingter Einschränkungen eine internationale Sichtbarkeit gewährt. Zudem leistet das Festival eine umfassende und vorbildliche Vermittlungsarbeit und zeigt auf, wie stark Design mit unserem alltäglichen Leben verknüpft ist. Es regt interdisziplinäre Diskurse für gemeinsame Perspektiven an, hinterfragt Nutzungsmuster und fördert das soziale Miteinander im Stadtraum. Bedeutende Aspekte – für Wien, aber auch weit darüber hinaus.
Vienna Design Week
24. September bis 3. Oktober 2021
Festivalzentrale: Sachsenplatz 4-6, 1200 Wien