VIENNA DESIGN WEEK 2023 – REVIEW
Es schlägt 17!
"Seit fast zwei Jahrzehnten versucht die Vienna Design Week, die unterschiedlichen Zugänge und Betrachtungsweise von Design in den Fokus zu rücken. Das ist deshalb wichtig, weil es eine Welt bestehend aus Produkten und Objekten ist, die uns täglich umgibt. Das Festival besteht aus einer Reihe unterschiedlicher Formate, die es zu Wege bringen, mit neu geknüpften Verbindungen und frischen Inhalten professioneller DesignerInnen und Unternehmen", sagt Gabriel Roland, Leiter der Vienna Design Week. Und fügt an: "Es ist bewusst niederschwellig gehalten – öffentlich und bei freiem Eintritt, vom Schulkind bis zu internationalem Publikum. Es ist jeder herzlich eingeladen, sich die Projekte anzuschauen. Es geht uns darum, dass Menschen miteinander in Kontakt treten, sich kommunikativ austauschen und Dinge voneinander lernen." Ursprünglich begonnen hat die Vienna Design Week als Passionswege, ein Format, das jeweils eine Designerin oder einen Designer mit einem Unternehmen zusammenführt, um gemeinsam ein Projekt zu entwickeln. Die Passionswege sind eine Symbiose aus Design und Handwerk, wobei es nicht vordergründig immer nur darum geht, ein neues Produkt zu kreieren, sondern die gemeinsamen Leidenschaften zu entdecken. Der Prozess ist in kein zeitliches Korsett gezwängt. Die Vienna Design Week versteht sich hier als Vermittler zwischen zwei sorgfältig ausgewählten TeilnehmerInnen, die sich dann selbst ausprobieren und in einen kreativen Prozess münden.
Eines dieser Projekte der Edition 2023 ist A+++ von Johanna Seelemann mit Florin Varga von Pyrarium am Donaukanal. Hier in der Ofen-Manufaktur mit eigener Werkstatt, widmet sich die deutsche Designerin, die in Reykjavik und Eindhoven studiert und projektweise mit dem italienischen Designstudio Formafantasma zusammengearbeitet hat, dem Feuer, seiner Geschichte und wie man es möglichst effizient einsetzen kann. "Wir dachten über eine Möglichkeit nach, die über das Heizen mit Feuer hinausgeht, und haben eine Feuerstelle entwickelt, die mit Holz beheizt wird und zum Kochen genutzt werden kann", sagt Johanna Seelemann. "Der Weg zu diesem Objekt brachte uns in einen Dialog, in dem es um die Nutzung von Biomasse ging, aber auch darüber, dass der Einsatz von Feuer oft als ineffizient und ungesund angesehen wird. Aber wenn wir in die Geschichte zurückblicken, wurde Feuer weit effizienter genutzt als wir es heute mit neuer Technologie vermögen. Feuer wurde vielseitig genutzt: für das Kochen, Wassererhitzen, Wäschewaschen, Beleuchten, Warmhalten von Speisen oder Heizen. Auch Biomasse wurde früher anders genutzt, nämlich nicht nur durch das Umschneiden der Bäume, sondern vielleicht nur durch die Entnahme von Ästen, wodurch der Baum weiterlebte. All das wollten wir in unserem Projekt einfließen lassen und zeigen." Das Objekt wurde bewusst minimalistisch gestaltet, konzipiert für die Aufnahme von langen Ästen und in Material und Technik bestmöglich an die heutigen Effizienzstandards anpasst.
In einer kleinen Seitengasse ganz in der Nähe von Augarten und Sängerknaben befindet sich das Hutmacherstudio von Eva Siebert Hutmacher Biester, die im Rahmen der Passionswege mit dem österreichisch-französischen Designerduo Célia Picard und Hannes Schreckensberger zusammengespannt wurde. Bei ihrem Projekt zeigt sich die stets als einfach wahrgenommene Strohborte in einem neuen Licht, denn die Verarbeitung ist alles andere als einfach. "Wir haben uns Evas Technik angesehen, wie sie die Strohborten verarbeitet, weil wir natürliche Materialien lieben. Das Schöne ist, dass wir mit einem sehr schmalen Band starten, das wir mit einer wunderbaren, über 100 Jahre alten Maschine Stück für Stück zu einer Tapisserie zusammennähen", sagt Célia Picard und Hannes Schreckensberger ergänzt: "Wir konnten auch verschiedene Farbnuancen verwenden, da die Bänder ihre natürlichen Farben haben – von Beige bis Gelb. Teilweise haben wir auch coloriert. Die große Herausforderung war es, aus dieser Kleinteiligkeit etwas richtig Großes zu machen, insbesondere auch um über die normale Hutgröße hinauszugehen. Auch das Flache der Tapisserie steht im Gegensatz zu den Rundungen eines Hutes. Mit den Loops haben wir das Flache wieder aufgebrochen." Ziel war es, ein Material aus seinem Kontext herauszugreifen und ihm eine neue Funktion zu geben.“ Doch wie war es für Hutmacherin Eva Siebert, keinen Hut zu machen? "Meine Hüte sind alle Unikate, die ich für meine Kundschaft individuell anfertigte. Ich habe dieses Hutgeschäft seit zwei Jahren, und obwohl ich nicht im Zentrum der Stadt bin, läuft es. Aber ich war sehr aufgeregt, dieses Projekt zu übernehmen, weil ich mich immer über neuen Input von anderen kreativen Menschen freue. Für mich war es toll den anderen Zugang zu sehen, was man mit einem klassischen Hutmaterial noch machen kann."
Ein Projekt des Social-Design-Formats Stadtarbeit, das in Form einer gestalterischen Aktionsinitiative Menschen – FestivalbesucherInnen und zufällige PassantInnen - einlädt mitzumachen, den öffentlichen Raum mitzugestalten, sind die Stadtvernetzungen membran, entwickelt von dem vierköpfigen Team Julia Habarda, Julia Katharina Hahnl, Frida Teller und Tobi Kauer, alle Studierenden der Klasse Design Investigations an der Universität für Angewandte Kunst. Mit selbst gebauten Apparaturen aus Baustellenrestmaterial werden beschädigten und für das Projekt in Streifen zerschnittene Bauplanen nach den Regeln des traditionellen Seilerei-Handwerks zu Schnüren gedreht, um damit Netze zu knüpfen, die als Orte zum Verweilen, Träumen und Spielen einladen sollen. Ausgesucht wurde dafür der Praterstern, eine lebendige, vielschichtige Zone rundum einen Bahnhof. Das Format Stadtarbeit selbst, das unter dem Motto "Vermehrt Schönes" dieses Jahr sein zehnjähriges Bestehen feiert, zielt im Rahmen gestalterischer Methodik auf die aktive Einbindung der Bevölkerung mit all ihren sozialen Dynamiken ab.
Gesponsert von einer namhaften österreichischen Bank, wählt eine Fachjury drei Projekte für die Umsetzung aus, die auch die Chance auf den Social Design Preis haben. Neben dem in London geborenen Creative Urbanist Eugen Quinn, der in verschiedenen Gastronomiebetrieben rund um den Praterstern die ÖsterreicherInnen in seinem Quiz "How to be Austrian – The Citizenhip Pub Quiz" zu ihrer Staatbürgerschaft befragt, sind auch JB Gambier und Hugo Beheregaray mit "The Destruction Room" nominiert. Die beiden in den Niederlanden lebenden und arbeiteten Designer laden die BesucherInnen ein, in einer Minute mit einem Werkzeug ihrer Wahl Möbel aus weißem Pappkarton zu zerstören und sie danach mit bunten Klebebändern wieder zu reparieren. Der steril weiße Raum wird infolge immer bunter und die Möbel immer außergewöhnlicher. "Wir freuen uns schon auf das, was am Ende dabei herauskommen wird, und möchten allen die Möglichkeit geben, Teil des Designs zu werden. Uns liegt es aber in erster Linie daran, Bewusstsein zu schaffen für einen Prozess, der die Menschheit schon immer begleitet: Zerstörung und die Schaffung von Neuem. Was konservieren wir? Was behalten wir? Was zerstören wir? Was reparieren wir?“, sagt Hugo Beheregaray. "Wir müssen eine Balance schaffen – das ist unser Botschaft mit diesem Projekt."
Schauplatz Festivalzentrale in der Nähe der herbstlich goldeingefärbten Prater Hauptallee. Hier ist das temporäre Headquarter der Vienna Design Week eingezogen, ein ehemaliges Seniorenheim der Caritas, das danach in ein Hotel umgebaut wird. Auch das ist schön zu hören, denn die viele Festival-Locations wurden nur noch dieses eine Mal bespielt und dann abgerissen. Das fünfgeschossige Gebäude wird auf vier Ebenen bespielt und ist prall gefüllt mit einzelnen Beiträgen, die sich in die ehemaligen Zimmer mit Bad eingerichtet haben. Allein der Ideenreichtum, wie unterschiedlich man die einfachen Räume inszenieren kann, lässt staunen. Ganz oben haben zwei alte Bekannte einen Teil der Flächen bezogen. Der Schweizer Uhrenhersteller Rado zeigt nicht nur sein neues Modell Rado True Square Thinline x Vienna Design Week aus ultradünner Hightech-Keramik, sondern präsentiert die anlässlich des Wettbewerbs Rado Moving Materials entworfenen Videoinstallationen, aus denen No Worries Just Shapes als Siegerprojekt hervorging. Die Jury lobte vor allem "das Spiel aus hypernaturalistischer Materialität und abstrakter Formensprache, untermalt durch einen beinahe greifbaren Soundscape, sowie das besonders gelungene Eingehen auf die Gegebenheiten der Rado Boutique in der Innenstadt, das ein niederschwelliges Eintauchen der Passanten in eine andere Welt“. Der andere alte Bekannte ist Ikea, der mit seiner Ausstellung, die sich über sechs Themenräume unter dem Titel „Democratic Design" erstreckt, seinen 80. Geburtstag feiert. So unterschiedlich die einzelnen Einrichtungsszenarien auch sein mögen, wird dem Besucher die unerschütterliche Vision des schwedischen Unternehmens eindrücklich vermittelt, nämlich gutes Design für alle leistbar zu machen ohne Kompromisse in Funktion, Qualität und Nachhaltigkeit.
Das Format Platform, das sich über weite Teile der Stockwerke erstreckt, überrascht, bringt ein Schmunzeln auf die Lippen und macht nachdenklich. Zum Beispiel über den fiktiven letzten Gast des Hotels in Zimmer 105, den das Designduo March Gut (Christoph March und Marek Gut) noch hinter der geschlossenen Badezimmertür bei eingeschaltetem Licht duschen lässt. Oder das "Zimmer mit Aussicht" von Lucy.D (Barbara Ambrosz und Karin Santorso), die für die zukünftige Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024 ein Hotelzimmernetzwerk über acht Beherbergungsbetriebe der Region gespannt haben, deren Verbindung in jeweils einem nachhaltig gestalteten Spezialzimmer besteht. Mitten im Stiegenaufgang der Festivalzentrale hat Johannes Rath, einer der drei Cousins, die heute das Traditionsunternehmen Lobmeyr führen – und übrigens 2023 auch sein 200-jähriges Jubiläum - drei Entwürfe der Designerin Eva Petrič platziert, deren Formen auf historischen Laternen basieren. Sie spielt mit der Lichtdurchlässigkeit von Spitze und erzeugt damit ein lebendiges Spiel von Licht und Schatten.
"Eva Petrič betrachten wir als langjährige Freundin des Hauses. Mein Ansinnen war es, die Anwendungen der Laternen, die früher nicht unwesentlich waren beim Storytelling eines Lichtkonzepts von Gebäuden waren – in Fluren, Stiegenhäusern, Eingängen und Einfahrten – wieder auf die Bühne zu heben. Sie verkörpern so einen richtigen Erzählstrang in der Beleuchtungschoreografie bis zu den großen Lustern in der Beletage. Leider sind sie in den letzten Jahrzehnten in Vergessenheit geraten, und wir haben sie jetzt wieder vor den Vorhang geholt. Dazu haben wir einen Spitzendekor gewählt, der die neutralen, planen Flächen des Glases ziert“, erzählt Johannes Rath. In einem der Räume präsentiert Designer Walter Grill ein Regal, an dem der Blick des Beobachters hängen bleibt: Ist es schon fertig oder nicht? Sein "Sozial Regal" besteht aus vielen Einzelteilen, die mit einem Gurtspanner zusammengehalten werden. Das Ergebnis hat aber eine tiefgründige Vorgeschichte, denn es braucht pro Einzelteil eine Person, die dabei hilft, es zusammenzubauen. "Meine Idee ist im ersten Lockdown entstanden, als man sich nicht sehen durfte. So wollte ich ein Möbelstück entwerfen, das – wenn man wieder zusammen sein darf – so viele Leute wie möglich an einem Ort versammelt, um gemeinsam ein einziges Möbel aufzubauen." Jedes Element muss gehalten und in Position gebracht werden, erst dann kann man es fertigstellen. Besucher der Vienna Design Week können dies gleich ausprobieren.
Im Erdgeschoss der Festivalzentrale, respektive auch im Garten des Gebäudes, grünt es. Im Format Urban Food & Design wird Bewusstsein geschaffen, etwa das Gemeinschaftsprojekt "Amino Feast – Alchemy with Proteins" von Studio z00, Magdalena Weiss und dem Wiener Unternehmen Arkeon, das mit einer klassisch aufgebauten Festtafel, an der man mit allen Sinnen eine besondere Geschmackerfahrung machen kann. Infolge der neuen sensorischen Wahrnehmung, die die Bereitschaft voraussetzt, neuartige Nahrungsmittel zu akzeptieren, werden Antworten in Bezug auf die Lebensmittelversorgung gesucht. Der Hintergrund dazu ist die Entwicklung einer nachhaltigen Methode zur Herstellung von Aminosäuren aus Kohlendioxid von Arkeon.
Weniger experimentell und emotionaler nähern sich Anke Noack und Olivia Ahn von Beyond Projects dem Thema Heimat – die Bohne, die Stadt und die Kunst. Gemeinsam mit Wiener Gusto, ein Unternehmen, das selbst angebaute Bioprodukte auf den Ackerflächen der Stadt vermarktet, wurde die Sojabohne und ihre Beheimatung in Wien in den Fokus gerückt. "Basierend auf der Idee Von der Stadt – für die Stadt möchten wir zeigen, dass alles praktisch um die Ecke wachsen kann und dass es keine langen Transporte bräuchte. Neu ist das angelegte Sojafeld, dessen Früchte in unseren Köpfen nicht wie Kartoffel, Mais, Rüben etc. mit dem Wort Heimat verknüpft sind. Spannend ist die Entdeckung, dass es Soja tatsächlich schon seit 150 Jahren in Wien gibt. Die Sachertorte ist jünger als die Sojabohne", hält Olivia Ahn fest. "Vieles, was wir heute mit Heimat verbinden, hat seinen Ursprung nicht in Österreich und war unbekannt und neu. Aber wir haben es bei uns „beheimatet“. Bei uns hat das den Gedanken in Gang gesetzt, was bedeutet Heimat für uns, was ist fremd und wie können wir etwas, das fremd ist, zum Teil unserer Heimat machen. Gelingen kann das, indem man neue Erinnerungen kreiert."
Apropos Grün: Beim Sprung in die Stadt, genauer gesagt in den Rahmenladen in der Neustiftgasse 62, kann man lebende Bilder entdecken. Designerin Miki Martinek und ihr Projektpartner Sebastian Hilpold, der als Landschaftsgärtner botanische Aufträge entgegennimmt, realisieren unter dem Titel "we frame landscape" gemeinsam künstlerische Bilder aus Moosen, Philodendren, Farnen und anderen Pflanzen für städtische Innenräume. Die 20 Kilogramm schweren Bilder aus Erde, lebenden Pflanzen und handgefertigtem Porzellan als Kontrast dazu wirken sanft und beruhigend, verbreiten frische Luft und gute Laune. „Die Pflanzenbilder für Stadtbewohner sind für mich eine Intervention mehr Grün in die Räume zu bringen. Meine Vision ist, dass man durch ein solches Bild mehr Beziehung zur Landschaft bekommt“, sagt Miki Martinek. Die Bilder selbst sind von Plätzen in Barcelona, Piran, Siena und dem Wiener Praterstern im Fokusbezirk inspiriert. Nur einer der vielen Hotspots der Vienna Design Week, die sich in der Stadt bei spätsommerlichen Temperaturen entdecken lassen.
Vienna Design Week
Bis 1. Oktober 2023