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Eine Passion für traditionsreiches Handwerk: Materiallager der Petz Hornmanufaktur in Wiens 15. Gemeindebezirk, die anläßlich der Vienna Design Week mit der Designerin Katharina Eisenköck zusammenarbeitet.

Stylepark Vienna Design Week
Zizi und ihr Federschmuck

Kunst und Handwerk haben in Wien immer schon harmoniert. Die "Vienna Design Week" nimmt den Faden auf und lotet geschickt aus, was so alles unter einem erweiterten Designbegriff entsteht.
von Thomas Wagner | 10.10.2017

Vom Gehsteig aus sind es nur wenige Stufen, schon steht man im Souterrain der Beckmanngasse 36 im 15. Gemeindebezirk und mitten in der Metallwerkstatt von Roman Hegenbart. In der Werkstatt herrscht penible Ordnung. Auf der Werkbank in der Mitte des Kellergewölbes liegt neben Schweißmasken ein silbern glänzender Auspuff. Im Raum dahinter, auf einem weißen Stehtisch, erkennt man ein Tablett, eine Karaffe und zwei Becher aus Kupfer. Entworfen hat sie der Münchner Designer Matthias Lehner. In Abstimmung mit ihm hergestellt, also tatsächlich gemacht, hat die originellen, innen verzinnten und außen gewachsten Gefäße Roman Hegenbart. Er ist Kupferschmiedemeister in der vierten Generation und lehrt an „der Angewandten“ Metalltechnologie. Er erzählt, wie das Kupfer bearbeitet wurde, wie sich der erste Entwurf, den der Designer ihm geschickt hatte, im Lauf des Arbeitsprozesses verändert hat – und er erzählt auch, dass sein Großvater nicht nur die Haltegriffe in den Wiener Straßenbahnzügen hergestellt, sondern auch mit Adolf Loos zusammengearbeitet hat. 

Während man sich, unterwegs zwischen den diversen Locations der Vienna Design Week, mit U-Bahn, Straßenbahn und zu Fuß durch die Stadt bewegt, reift als erstes die Erkenntnis: Hier muss man sich Zeit nehmen und Zeit lassen, und mit den Leuten reden. Und je mehr man das tut, den verstreuten Stationen der „Passionswege“ folgt und hier und da auf Projekte der „Stadtarbeit“ trifft, desto besser begreift man, dass in Zeiten eines erweiterten Designbegriffs Objekte tatsächlich nicht das Wichtigste sind. Hauptsache, ein Projekt wird realisiert – irgendwo auf dem weiten Feld zwischen Handwerk, Kunsthandwerk, Design und sozialem Engagement. Wer sich die Zeit nimmt und nicht nur darauf aus ist, in Schaufenstern Objekte paradieren zu sehen, der kann an vielen Orten der Design Week feststellen, dass Partizipation hier kein Modewort ist und weniger das Nachspielen vorgegebener Beziehungsmuster als das Eintreten in einen offenen Dialog bedeutet. 

Natürlich gibt es – konzentriert im Blauen Haus neben dem Westbahnhof – daneben auch die übliche Mixtur aus Präsentationen großer Marken und kleiner alternativer Labels, eine Mischung, wie man sie, manchmal ausufernder, aus Mailand, Köln oder Kortrijk kennt. Im Blauen Haus hat auch das Gastland Rumänien seinen Auftritt, wobei die zusammengetragenen „zeitgenössischen Antworten auf rumänisches Handwerk“ den erweiterten Designbegriff dann doch etwas zu selbstverständlich zurück in die Handarbeits- und Volkskunstecke drängen. Ganz anders nebenan: Unter dem Titel „Design Everyday – Design für den Gebrauch“ zeigen „28 österreichische Designstudios“ ausschließlich Industriedesign. Das die durchgestylte Präsentation mit schwarzem Wellblech und digitalen Ziffern anstatt Erläuterungen nach Entwurf des Büros Vandayse nicht jedermann gleich überzeugt, demonstrierte eine sich unsicher um den Wellblechsockel drängende Schulklasse. Ihr wurde von ihrem besonders smarten Tour-Guide sogleich erklärt, die Objekte sprächen ja für sich selbst, die Kuratoren aber hätten mittels des Sockels eine „sleeke Atmosphäre geschaffen“ – um hinzuzufügen: „Das könnt ’s jetzt mal abspeichern.“ Direkter auf vorhandene Probleme steuerte die Fakultät für Architektur und Urbanismus der Polytechnischen Universität von Timisoara zu, die Abwanderungsbewegungen rumänischer Hochschulabsolventen untersucht hat.

Kupfergeschirr von Matthias Lehner, hergestellt von der Metallwerkstatt von Roman Hegenbart

Auch im 11. Jahr seines Bestehens hat das Team des von Lilli Hollein mitbegründeten und geleiteten Festivals alternative Wien-Karten angelegt und Wege durch die Stadt erschlossen, die man ohne „Passionswege“ und „Stadtarbeit“ nicht gehen und von deren Besonderheiten und Charme man nichts erfahren würde. Naturgemäß sind es auch heuer weniger die bekannten Firmen, Produkte und Showrooms, die den Unterschied machen. Überschaubarer als der opulente Reigen der Fuori Salone in Mailand und stärker auf Kunsthandwerk und Stadtarbeit fokussiert als die Passagen in Köln, steuert die Vienna Design Week geschickt ebenso durch die Hektik der touristischen Gassen des 1. Bezirks wie durch die Nebenstraßen der sich wandelnden Vorstadt. 

Der diesjährige Fokusbezirk, der 15. Wiener Gemeindebezirk Rudolfsheim-Fünfhaus, erweist sich als weit weniger rau oder heterogen als erwartet. Von der Dönerbude bis zur Gemeindewohnanlage und vom leerstehenden Areal bis zum Telefonladen ist hier alles beisammen, nicht anders als in solchen im Umbruch befindlichen Bezirken in anderen Städten. Aus dem Blickwinkel des Besuchers wirkt das Viertel jedenfalls recht unaufgeregt: Durchgangsstraßen, über die der Verkehr rauscht, daneben lebendige Plätze und dazwischen jede Menge ruhige Wohnstraßen. Typische Wien-Touristen trifft man hier freilich so gut wie keine. Vieles hier wirkt ein bisschen wie Berlin-Prenzlauer Berg vor 20 Jahren. 

Vielleicht entsteht der Eindruck aber auch nur, weil es, als wir uns auf den Weg zur Festivalzentrale Süd machen, plötzlich wie aus Kübeln gießt und wir, in der Hoffnung, der Starkregen werde sicher gleich nachlassen, von der U-Bahn-Station Gumpendorfer Straße Richtung Sparkassenplatz und Festivalzentrale Süd eilen. Im „Eduard“ gleich gegenüber der 1970 in den unteren Geschossen von Johann Georg Gsteu umgebauten ehemaligen Kommunalsparkasse Rudolfsheim heißt es nun aber erst einmal, den durchweichten Mantel trockenen und sich stärken.

Peter Weisz und Nadja Zerunian von zerunianandweisz mit dem Federobjekt "zizi", das in Zusammenarbeit mit der Wiener Silber Manufactur entstanden ist.

Während die Wiederbegegnung mit rumänischem Handwerk in der Zentrale Süd in Gestalt kleiner Monster pfiffiger und lustiger ausfällt, verliert sich die Zusammenarbeit des Werkraums Bregenzerwald mit dem Royal College of Art aus London leider im Ungefähren, wobei unter anderem die Frage erörtert wird, ob und wie sich die „Stimme des Designers“ ins Produkt übersetzen lasse, wenn dieses von einem Handwerker gefertigt wird. Dass es auch anders geht, belegen abermals die Passionswege. 

In der seit 1862 bestehenden Petz Hornmanufaktur in der Nobilegasse 13 riecht es leicht nach verbranntem Horn. Über der Werkstatt im Erdgeschoss liegt ein Nebel aus Staub; ein Stock höher stapeln sich die zugeschnittenen und begradigten Hornplatten ­– und mittendrin hängen die filigranen Leuchtobjekte der österreichischen Designerin Katharina Eisenköck. 

Etwas ganz Besonderes erwartet einen in der Wiener Silber Manufactur in der Spiegelgasse 14, wo zerunianandweisz, also Nadja Zerunian und Peter Weisz, in einer Serie von Centre-Pieces mit großer Raffinesse und vollendeter Handwerklichkeit der Magie der Verführung auf die Spur zu kommen suchen. Im Zentrum steht dabei „zizi“, eine, wie Peter Weisz selbst charmant erklärt, federleichte und wunderbar verspielte Hommage an die legendäre Zizi Jeanmaire – samt rosa, von jedem Lufthauch erzitterndem Straußenfederbusch. Nicht weit entfernt in der Kärntner Straße kann man im Fenster der Glasmanufaktur J. & L. Lobmeyr, gleich neben den „Essentials“ von Adolf Loos oder Josef Hoffmann, noch große Glasvasen des niederländischen Objektdesigners Jólan van der Wiel bestaunen. 

Und während im Studio von Mischler Traxler abermals die kommunikativen Aspekte des Designs hervortreten, Möbel-Prototypen vorgestellt werden und vom Aussterben bedrohte Mottenarten verführerisch und gefahrlos viele Lichter umschwirren, erfährt man gleich nebenan, dass Kooperationen nicht nur Glücksache sind und „Social Design“ tatsächlich Glück bringen und Spaß machen kann – im temporären Wettbüro „Admirabel“, wo die Frage „Was kostet ...“ eben nicht mit Geldbeträgen beantwortet werden kann. Während im Schaufenster kleine asiatische Glückskatzen winke-winke machen, sollen wir – ein Wettschein wird umgehend ausgefüllt – schätzen, wie oft pro Minute eine der Katzen ihre Pfote hebt und senkt – und was, liegt man daneben, man dem Wettpartner zur Tilgung der Wettschuld anzubieten bereit ist. Sind es 58 oder 62 Bewegungen? – Am Ende sind es 61 – und ich werde eine Suppe kochen. Und während die Glückskatze ihre Pfote zum zweiundsechzigsten Mal hebt und wieder senkt, bleiben die Designprozesse in Wien überaus lebendig.

Glasobjekte, entworfen von Jólan van der Wiel und gefertigt von J. & L. Lobmeyr
Lampe mit Hornelement von Katharina Eisenköck
Rumänien war das Partnerland der diesjährigen Vienna Design Week.
Viele der gezeigte Arbeiten rumänischer Designer standen in der Tradition des Kunsthandwerkes.
Ausstellungsdesign des Büros Vandayse für die Schau „Design Everyday – Design für den Gebrauch“