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Im Jahr 2015 noch experimenteller Beitrag zur Vienna Design Week, 2016 im Sortiment: Sektkühler von Alexandre Echasseriau für die Wiener Silber Manufactur.

VIENNA DESIGN WEEK 2016
Nach bewährtem Rezept

von Jasmin Jouhar | 05.10.2016

Das Erfolgsrezept für ein Designfestival? Man nehme fünf Zutaten, verarbeite sie frisch und serviere sie liebevoll garniert. Fertig! Wie gut die Rezeptur tatsächlich schmeckt, lässt sich alljährlich im Frühherbst in Wien bei der „Vienna Design Week“ probieren. Die zehnte Ausgabe, die noch bis diesen Sonntag läuft, hat den Geschmackstest jedenfalls bestanden. Wir haben den Machern in die Kochtöpfe geschaut und verraten Ihnen hier das Rezept.

1. Zutat: die Stadt

Ein Designfestival braucht den richtigen Schauplatz. Denn der ist mehr als eine bestenfalls schöne Kulisse, in der das Festival wie ein Theaterstück aufgeführt wird. Der Schauplatz muss das Festival inspirieren, muss außergewöhnliche Orte bieten und Fragen stellen. Wien ist da fast schon eine Idealbesetzung. Die Stadt ist im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Hauptstädten noch nicht restlos durchgentrifiziert, so dass es Raum gibt für Experimente: Einerseits finden sich leerstehende Läden und noch unsanierte Häuser, Andererseits konnten sich hier alteingesessene Geschäfte und Betriebe (s. Kap. „Die Partner“) halten, beispielsweise eine der letzten Kupferdruckereien Österreichs, mitten im 1. Bezirk mit Blick auf Prada und Louis Vuitton gelegen. Die ehemaligen Ausstellungshallen einer Kunsttischlerei im 5. Bezirk Margareten dienen in diesem Jahr als Festivalzentrale, also als Hauptspielstätte des Festivals. Diese liegt immer im jährlich wechselnden „Fokusbezirk“, in dem sich die Aktivitäten konzentrieren (s. Kap. „Das Konzept“). Ganz praktisch gesehen hat Wien auch eine gute Größe: Die Stadt ist klein genug, um alle Festivalbeiträge bequem anschauen zu können, und nicht so klein, dass es provinziell wird.

Gleich am Eingang der Festivalzentrale werden die Besucher aufgeweckt: von den poppigen Grafiken des britischen Duos Morag Myerscough.
Der Stuck war schon da, den Schriftzug hat das Teehaus Demmers für seinen Salon in der Festivalzentrale kongenial hinzugefügt.

2. Zutat: das Gesicht

Wichtig ist auch ein Gesicht, das für das Festival steht. Mit ihrer Direktorin Lilli Hollein verfügt die Designweek auch hier über eine Top-Besetzung. Die studierte Designerin hat das Festival nicht nur 2007 gemeinsam mit Tulga Beyerle und Thomas Geisler gegründet, sie ist bis heute die treibende Kraft und der kluge Kopf dahinter. Während des Festivals scheint sie überall zugleich aufzutauchen, bei der Eröffnung sowieso, aber auch bei Preisverleihungen, beim Presserundgang, beim Cocktail, beim Talk und in den Ausstellungen. Wo Hollein mit ihrer markanten schwarzen Brille ist, da ist Vienna Design Week. Sie ist als Kuratorin auch Garantin für den inhaltlichen Anspruch. Bei einer Gesprächsrunde zu den „Passionswegen“ (s. Kap. „Das Konzept“) erzählt Barbara Kamler-Wild von der Wiener Silber Manufactur freimütig, wie Projekte für das Festival überarbeitet werden mussten, weil Hollein bei der Zwischenpräsentation noch nicht zufrieden war.

Omnipräsent auf der Vienna Design Week: die Mitbegründerin und Direktorin des Festivals Lilli Hollein, hier bei der Eröffnung.
Großes Hallo: Die Eröffnungsparty der Vienna Design Week in der Festivalzentrale im 5. Bezirk.

3. Zutat: das Konzept

Die vielleicht größte Stärke der Vienna Design Week ist ihr straffes Konzept. Das Programm ist in verschiedene Formate gegliedert, die klare inhaltliche Schwerpunkte setzen. Mit „Stadtarbeit“ (s. Kap. „Die Stadt“) beispielweise realisiert das Festival mehrere Projekte im Sinne eines gesellschaftlich engagierten „Social Design“. In diesem Jahr stellen unter anderem die Designerinnen Johanna Dehio und Valentina Karga gemeinsam mit Geflüchteten und Bewohnern des Bezirks Margareten  Kochgeschirr und Tischöfen aus Ton her. Bei der Arbeit auf einem idyllischen Brachgrundstück kommt man ins Gespräch, anschließend wird gemeinsam in den neuen Gefäßen gekocht. Das Format „Gastland“ wiederum bringt internationale Impulse, in diesem Jahr vom Nachbarn Tschechien. Sehenswert ist die Ausstellung „Generation“, mit der das Kollektiv Okolo junges tschechisches Design präsentiert. Neben schönen Leuchten, Vasen und Produkten liefert Okolo in den Ausstellungstexten auch Einblicke in die Arbeitsweise der jungen Designer.

Integration outdoor: Die Designerinnen Johanna Dehio und Valentina Karga töpfern und kochen mit Flüchtlingen und Bewohnern des 5. Wiener Bezirks.
Böhmische Gläser: Das Kollektiv Okolo kuratiert eine Ausstellung junger Designer aus dem diesjährigen Gastland Tschechien.

Der Format-Klassiker sind die „Passionswege“. Hier experimentieren Designer gemeinsam mit lokalen Handwerksbetrieben. Die österreichischen Grafikdesigner Studio ES produzieren bei Kupferdrucker Wolfgang Schön (s. Kap. „Die Stadt“) Schwarz-Weiß-Collagen in verschiedenen Drucktechniken. Die verwunschenen Räume mit den Druckerpressen, den Farben, Rollen und Spachteln und damit ein fast ausgestorbenes Handwerk zu entdecken, ist Teil der Idee. In diesem Jahr führen die „Passionswege“ die Besucher auch noch in eine Klavierwerkstatt oder zu einem Hersteller von Lichtwerbung und Schildern. Bei Neon Kunze gibt es aber nicht nur Leuchtröhren aller Farben und Formen, an den Wänden hängen auch kapitale Jagdtrophäen von Wasserbüffeln und Gazellen. Die Designerinnen von Studio rENs aus Eindhoven ließen sich von der kuriosen Umgebung zu Experimenten mit rotem Neonlicht anregen. Am Beispiel der „Passionswege“ wird ein Anspruch des Konzepts deutlich: Das Festival soll nachhaltig sein – keine Heiße-Luft-Nummer, sondern ein Katalysator für neue Ideen. Dass dieser Plan funktioniert, hat sich das Team im Jubiläumsjahr in einer wissenschaftlichen Studie bestätigen lassen – ganz praktisch bewiesen wird der Effekt von „Passionswege“-Unternehmen (s. Kap. „Die Partner“) wie der Wiener Silber Manufactur. In deren Sortiment befinden sich mittlerweile mehrere Produkte, die aus Experimenten für die Designweek hervorgegangen sind.

Leuchtzeichen: Die beiden Designerinnen von rENs aus Eindhoven haben für die „Passionswege“ mit rotem Neon experimentiert.
Nadel und Graben: Studio ES haben zusammen mit der Kupferdruckanstalt Schön die Möglichkeiten der verschiedenen Drucktechniken ausgereizt.

4. Zutat: die Partner

Es versteht sich von selbst, dass ein kleines Festival-Team eine so große Unternehmung wie die Designweek nicht alleine stemmen kann. Das Festival braucht Partner – institutionelle und kommerzielle. Das umfangreiche Programm des Festivals basiert zu einem guten Teil auf Angeboten von Mitstreitern aus Kulturbetrieb, freier Szene und Wirtschaft. Formate wie die „Passionswege“ (s. Kap. „Das Konzept“) wären ohne engagierte Unternehmen gar nicht zu realisieren. Etwa der Glasmanufaktur Lobmeyr, die von Anfang an dabei ist und deren Geschäftsführer Leonid Rath den Austausch mit den Designern sehr schätzt: „Sie halten einem den Spiegel vor. Man lernt viel über den Sinn des Unternehmens in der heutigen Welt“, sagt er während des „Passionswege“-Talks. „Damit pflegen wir die Tradition der Erneuerung.“ Auch der Kristallspezialist Swarovski leistet seinen Beitrag: In diesem Jahr nicht nur mit der funkelnden Installation „Prologue“ von Frederikson Stallard im Treppenhaus des Schlosses Belvedere; Nadja Swarovski überreichte auch die „Swarovski Design Medal“, ein neuer Preis, der den Beitrag eines Designers zur Vienna Design Week würdigt. Als erste ausgezeichnet wurde das Wiener Duo Mischer’Traxler, eine feste Größe der österreichischen Szene.

Diese „Passionswege“-Paarung hat schon Tradition: Lobmeyr-Geschäftsführer Leonid Rath (links) und Designer Martino Gamper bei der Vorstellung ihrer Kooperation.
Das Wiener Duo Mischer’Traxler durfte die erstmals vergebene Swarovski Design Medal mit nach Hause nehmen.

5. Zutat: die Geschichte

Mit ihren zehn Jahren gehört die Vienna Design Week mittlerweile selbst schon zur Geschichte des Wiener Designs und Kunsthandwerks. Die reiche Tradition (s. Kap. „Die Stadt“) scheint in den Projekten häufig auf, natürlich in den „Passionswegen“, aber auch bei vielen Ausstellungen und Events der Programmpartner. Eine Entdeckung sind beispielsweise die Möbel und Leuchten des österreichischen Architekten Adolf Krischanitz, der in der Galerie MAM Mario Mauroner (s. Kap. „Die Partner“) eine „Inventur“ seines über dreißigjährigen Designschaffens macht. Immer wieder dabei Thema: Bugholz. Das Duo Zerunianundweisz wiederum findet neue Formen und Funktionen für geschmiedete Gefäße und Bestecke, zu sehen in der Festivalzentrale. Und wem die reiche Geschichte des Wiener Kunstgewerbes nicht vollumfänglich vor Augen steht, der sollte sein Gedächtnis natürlich unbedingt in der großartigen Sammlung des Museums für angewandte Kunst auffrischen.

Soweit das Rezept, mit dessen Zubereitung sich die Vienna Design Week Jahr für Jahr einen festen Platz im Eventkalender sichert. Interessant vielleicht auch, welche Zutaten Lilli Hollein und ihr Team nicht aus dem Vorratsschrank holen: Stardesigner, Jahrmarktrummel oder Trendgeraune beispielsweise. Und nach einem langen Wochenende in Wien ist klar: Man vermisst sie auch nicht.

Designentwürfe eines Architektur-Altmeisters: Die Galerie MAM Mario Mauroner im 1. Bezirk zeigt Möbel und Leuchten Adolf Krischanitz.