Die Alchimistin
Die imm cologne 2016 bescherte ihr größte Aufmerksamkeit: ClassiCon stellte Victoria Wilmottes Entwurf „Pli“ vor – und der sorgte für Aufsehen. Der Name war natürlich nicht zufällig gewählt, das Tischchen ist tatsächlich in Knicke und Falten gelegt. Und die lassen das Möbel, dessen Korpus aus Edelstahl geformt ist, wie einen gigantischen geschliffenen Edelstein wirken, der wahlweise grün, blau, bronzebraun oder schwarz schimmert. Die vier Farben entstehen durch unterschiedlich lange Behandlungszeiten der Oberfläche im INOX-SPECTRAL-Verfahren, durch das sich der Edelstahl verfärbt. Die wahlweise glänzende oder satinierte Tischplatte aus Kristallglas ist von unten lackiert und auf den jeweiligen Farbton abgestimmt. Es kontrastieren die ovalen Formen der Grundfläche und der Platte mit dem Kantigen des Fußes. Das Resultat? Neu, originell, apart. Und eben: wie eine Skulptur.
Dass Victoria Wilmotte als Designerin Karriere machen würde, das lag wohl schon in ihrer DNA. Denn Jean-Michel Wilmotte, ihr Vater, ist ebenso Designer wie ihre drei älteren Brüder. Victoria studierte zunächst Innenarchitektur und anschließend Design am Royal College of Art in London. Mit Jurgen Bey, ihrem Professor am RCA, schwamm sie nicht gerade auf einer Wellenlänge. „Er arbeitet sehr konzeptionell“, erinnert sich die 31-Jährige. „Ihm ging es mehr darum, was für eine Geschichte ein Tisch erzählt. Ich aber wollte über Techniken reden.“ Denn Victoria hat ein Faible für Oberflächen, für Materialien, für die Arbeit in der Modellbauwerkstatt. Sie ist lieber in direkter Verbindung mit Dingen als mit einer bloßen Idee. Da lag ihr ihr Tutor, Michael Marriott, schon eher, der selbst stets das Experiment feiert.
Ihr Abschlussprojekt „Domestic Landscape“ hatte dann allerdings doch eine konzeptionelle Komponente: Victoria Wilmotte wollte wissen, ob es möglich sei, unsere Wahrnehmung von Alltagsobjekten zu verändern, wenn man sie aus einem anderen, hochwertigeren Material fertigt. Die Französin nahm sich Kunststoffflaschen, die für Waschmittel oder Weichspüler verwendet werden. Sie wollte die Flaschen in einem matten Finish, in Schwarz und Blau, in perfekter Geometrie. Ein Anruf bei einem Vertreter von Wedgwood brachte alles ins Rollen: „Ich habe ein Material gesucht, das wie Plastik aussehen könnte, aber eben doch ein bisschen anders“, erinnert sich Victoria Wilmotte. „Dabei bin ich auf Jasperware gekommen. Ich habe dem Vertreter mein Projekt präsentiert. Drei Monate später rief er mich an und sagte, ich könne meine Sachen abholen.“ Und die hat dann gleich die ToolsGalerie in Paris ausgestellt.
Die Galerie Pierre Bergé wurde auf die aufstrebende Designerin aufmerksam, sie schuf Möbel und Objekte aus Marmor für eine Ausstellung. Dafür reiste sie zehn Tage nach Carrara, um sich mit dem Material und der Arbeitsweise vertraut zu machen: „Ich mag es, Materialien zu erforschen, die ein bisschen in Vergessen geraten sind, und industrielle Techniken, die verdrängt wurden", sagt Victoria Wilmotte. Und die Erfahrung nutzte sie gleich für ihr nächstes Projekt, eine Serie von runden Marmor-Boxen, wieder für die ToolsGalerie. „Die Oberseiten der Behältnisse sind mit Emaille überzogen. Ich mag es die Menschen zu überraschen, wenn ich zum Beispiel Corian mit Marmor mische oder mir farbigem Metall oder Holz. Ich mag es, eine Verbindung zwischen all diesen Materialien zu schaffen.“
Und dieser Stil zieht sich durch das Œuvre von Victoria Wilmotte, von ihren Porzellan-Flaschen über die „Biological Marble Tables“ aus Kunstharz und Metall bis zum Tischchen „Pli“ aus Edelstahl und Metallglas. Sie wird sicherlich noch mehr überraschende Verbindungen finden – mit ihrem Domotex-Projekt „Mineralartificial Walking“, bei dem sie durch die Verwendung von Kunstharz Stein und Marmor neu auf den Boden bringen möchte, erfolgt schon eine erste Fortsetzung. (ua)
Eine Vorschau auf Victoria Wilmottes Projekt für die Domotex finden Sie hier.