„Bella macchina!“, den spontanen Ausruf hört man in Italien, wenn zum Beispiel ein aufregendes und besonders seltenes Automobil vorbeifährt. Etwa ein Lamborghini, mit viel Glück sogar ein „Miura“. Längst hat es der „Miura“ geschafft, auf den Ranglisten kleiner und großer Jungs, welcher italienische Supersportwagen nicht nur der stärkere, schnellere, bessere, sondern auch der schönere ist, einen der vorderen Plätze einzunehmen. Es gibt einige Supersportwagen, die einem den Atem rauben; trotzdem ist der „Miura“ eine Klasse für sich. Allein schon der Name klingt lautmalerisch nach Beschleunigung. Beim „M“ brummt die Stimme gleichsam im Leerlauf, dann heult das „i“ kurz auf, das „u“ stürmt los, um in dem sich öffnenden „ra“ vollends abzurauschen. Oder so ähnlich. Übertrieben? Okay, das Aroma des Namens aber passt perfekt zu dieser „bella macchina“.
Die Legende will es ohnehin archaischer, aggressiver, blutiger: 1962 besucht Ferruccio Lamborghini, der bis dato hauptsächlich Traktoren hergestellt hat, die Stierzucht von Don Eduardo Miura Fernández auf der „Ganadería Miura” in der Provinz Sevilla. Woraufhin er beschließt, einen Kampfstier zum Wappentier seiner Firma zu machen. Auch seine Supercars, mit denen er angefangen hat, sich einen Traum zu erfüllen und deren wenige Exemplare bisher nur durch Nummern gekennzeichnet sind, sollen fortan die Namen berühmter Stiere aus der Miura-Zucht tragen. Was für Ferrari das „Cavallino rampante“, das ist für Lamborghini von nun an der wilde Kampfstier.
Der „Miura“ wurde sogar auf dem spanischen Gut präsentiert. Nachfolgende Modelle hießen zum Beispiel „Islero“, nach einem Stier, der den legendären Matador Manolete getötet hatte, oder „Gallardo“ nach einer der fünf Rassen der Zucht. „Murciélago“ wurde nach einem Stier benannt, der bei einem legendären Stierkampf am 5. Oktober 1879 in Córdoba mit 24 Lanzenstößen verwundet wurde und auch im finalen Kampf durch den Matador Rafael Molina Sánchez, genannt „Lagartijo“ („Eidechse“), nicht getötet werden konnte. Auf Wunsch des Publikums wurde der Stier begnadigt. „Reventón“ indes tötete 1943 den mexikanischen Torero Félix Guzmán, und auch „Diablo“ zählte Ende des 19. Jahrhunderts zu einem der legendären Miura-Stiere. Sogar Ernest Hemingway hat 1932 in „Tod am Nachmittag“ die Stiere aus der Miura-Zucht als Kämpfer beschrieben, die in der Arena äußerst schnell lernten und gegen die anzutreten und die zu töten sehr schwer sei. Auch Lamborghinis sollen früher schwer zu bändigen gewesen sein.
Der „Miura P400“ war – nach dem „350 GT“ und dem „400 GT“ – überhaupt erst das dritte Automobil von Lamborghini. Produziert wurde er von 1966 bis 1973 in Sant’Agata Bolognese. Er war mit einem quer eingebauten V12-Mittelmotor ausgestattet und zählte mit seinen 350 PS (in späteren Versionen bis zu 385 PS) und einer Höchstgeschwindigkeit von nahezu 300 Stundenkilometern zu den schnellsten Sportwagen seiner Zeit. Gefertigt wurde er in Handarbeit, was ihm den Ruf einer hohen Verarbeitungsqualität einbrachte. Er war auch das erste Modell, mit dem Lamborghini Gewinn machte, was die Entwicklung weiterer Modelle ermöglichte und das Fortbestehen des Sportwagenbaus sicherte.
Konzipiert wurde der „Miura“ von Gian Paolo Dallara. Die bis heute an Kraft, aber auch an Geschmeidigkeit selten übertroffene Karosserie, entwarf der damals 27 Jahre alte Marcello Gandini, ein Mitarbeiter von Bertone. Er sieht keineswegs so wild und unbändig aus, wie spätere Modelle. Der „Miura“ ist nur 1,05 Meter hoch und hat eine stark geneigte Frontscheibe, was zu seiner gedrungenen Erscheinung beiträgt und zusammen mit einer Länge von 4,37 und einer Breite von 1,76 Meter zu ausgewogenen Proportionen führt. Seiner Zeit entsprechend scheint er auch einen Schuss „Pop-Design“ aufgesogen zu haben, zumindest, wenn er gelb lackiert vorfährt.
Zu seinen Besonderheiten zählen die Klappscheinwerfer, die nach hinten in die Karosserie geschwenkt werden, und die sechs pechschwarzen Lamellen, die statt einer Scheibe den Motorraum abdecken und das Heck wie den Rückenpanzer eines Reptils aussehen lassen. Sanfte Rundungen, weiche Übergänge, dabei aber muskulös, kraftstrotzend, geduckt wie kurz vor dem Sprung – welche Modelle ihm auch nachfolgten, der „Miura“ bleibt in seiner ganzen Erscheinung einzigartig. Mit einem zitronengelben „Miura“ vor einer italienischen Bar anhalten, hineingehen, sich auf einen Barhocker von Konstantin Grcic gleiten lassen, der denselben Namen trägt, und einen „Caffè“ trinken – das wär’s doch, oder? Klingt leider zu sehr nach Werbefilm.