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Versperrtes Panorama
von Jochen Stöckmann | 10.11.2013
Verlag, 2013

Zur altertümlichen Lochkamera greifen Fotografen hin und wieder, um die stilisierten Grundformen neuer Architektur hervorzuheben. Manchmal sind die simplen Apparate mit ihrer geringen Schärfe und fehlenden Details von Vorteil – weil sie der Sache, der Intention des Fotografen dienen. Josef Koudelka hat in dieser Beziehung ganz feste Vorstellungen, seit Jahrzehnten schon: Ob im „Schwarzen Dreieck“ osteuropäischer Brachlandschaften oder auf den Spuren des „Chaos“ kolossaler Industriemonumente, der Magnum-Fotograf schaut im Panoramaformat auf die Welt. Die Kamera ist schwer, sie lässt pro Film vier Aufnahmen im Format 6 mal 17 Zentimeter zu. Kein Apparat für Reporter. Und so waren schon 1992 Koudelkas Beiträge für den Sammelband „Beyrouth Centre Ville“ deutlich zu unterscheiden von Aufnahmen, die der Foto-Essayist Robert Frank, die Reporter Raymond Depardon und Rene Burri oder der Architekturfotograf Gabriele Basilico von ihren Streifzügen durch die vom Bürgerkrieg schwer gezeichnete Mittelmeer-Metropole mitbrachten.

Straßensperren, Stacheldrahthindernisse und Sandsackbarrikaden vor menschenleerer Ruinenkulisse mit grobkörnigen Schwarzweiß-Aufnahmen bedrängend ins Bild zu setzen, dafür schien niemand besser geeignet als Koudelka mit seiner Panoramakamera. Mit Frontalansicht und in Zentralperspektive schafft der Apparat Distanz. Und fokussiert den Blick auf übermächtige Architektur-Monumente als düsteren Ausdruck für die Folgen militärischer Aggressionen.

Die „Schuldfrage“ schien dem Fotografen – da die Gewalt von allen Bürgerkriegsparteien gleichermaßen ausging – nicht weiter von Belang. Und welche Ursachen und Wirkungen die Brutalität im alltäglichen Leben hat – das sollte sich angesichts einer von Granateinschlägen und Bombentrichtern zerfurchten Stadtlandschaft erahnen lassen.

In Koudelkas neuem Fotoband „Wall“ geht es nun um Israel, genauer um „israelische und palästinensische Landschaften 2008 - 2012“. Auf insgesamt vier ausgedehnten Reisen hat der Fotograf das Land erkundet und sich dann für die Teilnahme an einem Projekt mit dem Arbeitstitel „Israel: Portrait of a Work in Progress“ entschieden. Zwölf Kollegen waren vom französischen Fotografen Frédéric Brenner eingeladen, darunter Thomas Struth und Jeff Wall, Stephen Shore, Fazal Sheikh oder Nick Waplington. Koudelka wählte schließlich ganz bewusst das Thema „Mauer“, den nach einer Serie von Terroranschlägen im April 2002 von den israelischen Behörden errichteten befestigten Grenzzaun im Westjordanland.

Alle nur erdenklichen Annäherungen, alle möglichen „Einstellungen“ hat der Fotograf im Panoramaformat durchdekliniert. Ein Kranz nach innen gekrümmter Fertigbauteile, mit der eine Tunneleinfahrt vor Anschlägen geschützt werden soll, ist aus der Vogelperspektive zu sehen: Der Betonwall gerät zur „land art“ – als sei eine Skulptur von Tony Cragg in die karge Landschaft gestürzt. Der zugemauerten Straßeneinmündung in Hebron nähert Koudelka sich in Frontalansicht, bringt dadurch auch die benachbarten Häuser mit geschlossenen Ladentüren und heruntergelassenen Rollläden ins Bild. Das ist im Wortsinne „umfassend“ dokumentiert – hinterlässt aber einen ganz zwiespältigen Eindruck: Schwer zu entscheiden, ob hier lähmende Stille herrscht oder doch nur die für viele arabische Städte typische Feiertagsruhe.

Den Betrachter könnte diese zarte Unbestimmtheit von Koudelkas auf den ersten Blick so eindrucksvoll wuchtigen Bildern am Ende doch noch nachdenklich stimmen – wären da nicht die Bildlegenden: scheinbar informative Texte lenken die Wahrnehmung immer wieder in ein und dieselbe Richtung. „Die Mehrzahl der palästinensischen Geschäfte“, so heißt es unter der Aufnahme aus Hebron, „musste aufgrund der Zugangsbeschränkungen durch die israelische Armee und Schikanen durch jüdische Siedler schließen“. Kein Wort, kein Bild über Streiks der Händler und Ladenbesitzer während der Intifada. Dabei hatte Koudelka angekündigt, er wolle zeigen, „wie jede der beiden Seiten auf die Teilung ganz unterschiedlich reagiert.“

Davon jedoch wird mit dieser Art der monumental inszenierenden Fotografie kaum noch etwas erkennbar. Und so deutet sich jenes gravierende Problem an, das nicht allein mit der Wahl der Panoramakamera zusammenhängt: „Wall“ steht für eine absolut moderne Festungsanlage, technisch hochgerüstet – und dennoch durch Tunnel auszutricksen oder von Straßenkindern, die von der palästinensischen Seite auf Botengänge geschickt werden. Vor allem aber gibt es außerhalb der sichtbaren „Grenzstreifen“ eine Vielzahl von Barrieren, Absperrungen und Hinterhalten. Diese virtuelle, deshalb umso wirksamere „Mauer“ wird täglich neu errichtet mit Wärmebildkameras und Infrarotsensoren, Mobilfunküberwachung und Ausspähung via Drohnen.

All das in Worte zu fassen, ist schwierig genug. Koudelkas knappe Bildunterschriften aber deuten immerhin neue Möglichkeiten der Fotografie an. Vor der an einen Schuttberg gemahnenden Silhouette des Ostjerusalemer Stadtteil Al-Eizariya sind beispielsweise in symbolhafter Manier Stacheldrahtrollen drapiert, darunter das Lamento: „Obwohl die Mauer das größte Infrastrukturstrukturprojekt Israels darstellt, gibt es keine Studien zu ihren Auswirkungen auf die Umwelt.“ Genau diesen Aspekt aber hat Eyal Weizman mit Fotos und Luftbildern, Landkarten und Computersimulationen längst beleuchtet in seiner umfassenden Analyse der „Sperrzonen“ in Israel. Der Architekturtheoretiker weist darin auch auf eine umwälzend neue Taktik der israelischen Armee hin. Sie bahnt sich – geschult an dem „rhizomatischen“ Denken von Gilles Deleuze – unsichtbar und im Untergrund ihren Weg abseits der Straßen durch Keller und quer durch die Wände der Wohnhäuser, weicht damit Heckenschützen aus und überrascht den (nur schwer zu verortenden) Gegner. Um derart durch Wände und Mauern zu gehen, üben die israelischen Soldaten in der nachgebauten Palästinensersiedlung „Detroit“, einer „mock city“, die auch Koudelka fotografiert hat. Seine Aufnahmen allerdings zeigen völlig unversehrte Wohnhäuser, frisch verputzte Betonwürfeln mit leuchtend hellen Rasterfassaden. Wer wissen will, was tatsächlich dahinter – und vor allem: darunter vor sich geht, der ist angewiesen auf Adam Broombergs und Oliver Chanarins Bildessay „Chicago“. In dem gleichnamigen Übungsgelände der israelischen Armee haben die beiden Fotografen mit der Kamera recherchiert und jede Menge „frontier architecture“ gefunden. Am Ende aber sind es eben nicht die Bilder von Sperrzäunen und Grenzmauern, sondern Aufnahmen entlegener Spuren und unscheinbarer Relikte simulierter Häuserkämpfe, die den Betrachter unweigerlich zu der Erkenntnis bringen: „Alles, was passiert, hat sich zuerst hier abgespielt, als Übung.“

Nichts gegen Koudelkas Panoramakamera also – wenn nur der Fotograf seinen Gesichtskreis etwas erweitern würde.

www.magnumphotos.com

Josef Koudelka: Wall
Israelische und Palästinensische Landschaften, 2008-2012
Prestel Verlag, 2013
Gebundenes Buch, Leinen, 128 Seiten, Schwarzweiß- Abbildungen
Euro 49,95
www.randomhouse.de

hotos, Aus: Josef Koudelka. Wall. Israelische & palästinensische Landschaften 2008-2012, Prestel Verlag, 2013
Auf vier ausgedehnten Israel-Reisen hat der Magnum-Fotograf Josef Koudelka das Grenzgebiet zwischen Israel und den Palästinensern erkundet, das Ergebnis ist „Wall“. Foto © Sabrina Spee, Stylepark
ag, 2013. Abbildung des Bildbands © Sabrina Spee, Stylepark
osef Koudelka. Wall. Israelische & palästinensische Landschaften 2008-2012, Prestel Verlag, 2013. Abbildung des Bildbands © Sabrina Spee, Stylepark
abrina Spee, Stylepark
Landschaften 2008-2012, Prestel Verlag, 2013. Abbildung des Bildbands © Sabrina Spee, Stylepark