„Replika“ bei Nacht, Foto © Gerhardt Kellermann
Verschobene
Orte
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von Esther Schulze-Tsatsas
06.08.2012 Es ist ruhig im Münchner Hofgarten an diesem regnerischen Samstagnachmittag im Juli. Man hört das Klacken der Metallkugeln einiger Boule-Spieler, die der wenig sommerlichen Witterung trotzen. Passanten eilen durch die angrenzenden Arkadengänge. Alles scheint seinen gewohnten Gang zu gehen. Und doch ist etwas anders an diesem Ort als in den vergangenen 400 Jahren seines Bestehens. Textile Vorhänge mit einer Länge von mehr als vier Metern schmücken seit einigen Tagen die 88 Bögen des nordwestlichen Wandelgangs des Hofgartens. Zum Teil erlauben sie hochgerafft den Blick auf die dahinterliegenden Geschäfte und Cafés, zum Teil verhüllen sie die Arkaden großflächig und bewegen sich sanft im Wind. Poetisch erscheint der Platz plötzlich, die Textilien dämpfen das Licht und strahlen Ruhe aus. Man fühlt sich an die wehenden weißen Vorhänge der venezianischen Piazza San Marco erinnert. Diese Parallele ist kein Zufall, wurde in Venedig doch die Idee für die Kunstinstallation „Replika“ geboren. Erstmalig seit Bestehen des Hofgartens ist es durch einen Wettbewerb des Kulturreferates der Stadt München möglich geworden, hier eine künstlerische Intervention vorzunehmen. „Aspekte der Gestaltung und des Designs im öffentlichen Raum“ lautete der Titel, aus dem „Replika“ unter 260 Einreichungen als Siegerentwurf hervorging. Das Projekt der in München ansässigen Gestalter Ayzit Bostan und Gerhardt Kellermann, entstanden in Kooperation mit der Bayrischen Schlösserverwaltung und der Stadt München, spielt mit der temporären Verwandlung eines Durchgangsortes und soll zum Verweilen und Nachdenken verleiten. Mit „Replika“ haben sich Ayzit Bostan und Gerhardt Kellermann die Verschiebung eines Ortes zum Thema gemacht, die nicht als Kopie, sondern als respektvolle Hommage an einen der berühmtesten Plätze der Welt verstanden werden möchte. Bei einem Besuch der Kunstbiennale in Venedig fiel der Modedesignerin und Künstlerin Ayzit Bostan die Ähnlichkeit zwischen der Architektur des Hofgartens und der des Markusplatzes auf, aber auch die Sinnlichkeit der venezianischen Vorhänge, die den Hofgartenarkaden bisher fehlte. Dies weckte in ihr den Wunsch, ein Stück dieser besonderen Aura nach München zu transportieren – der dortigen historischen Tradition folgend, Elemente italienischer Baukunst in die heimische Architektur zu überführen. Und es mündete in einer Teilnahme an dem Wettbewerb, gemeinsam mit Gerhardt Kellermann, einem Fotografen und Industriedesigner, dessen berufliche und private Wege sich mit Ayzit Bostan seit Jahren immer wieder kreuzen. Eingeweiht wurde „Replika“ mit einem fulminanten Eröffnungsabend, begleitet von zahlreichen Ansprachen der Münchner Kulturszene, von bengalischem Feuer, von einer sehr persönlichen Rede des langjährigen Freundes Konstantin Grcic und einer beeindruckenden Live-Performance des französischen Soundkünstlers Koudlam in den angrenzenden Räumlichkeiten des Münchner Kunstvereins. Bei Anbruch der Dunkelheit zeigt es sich nochmal, Bostans und Kellermanns Faible für das Temporäre: Die Vorhänge sind aus phosphoreszierendem Stoff gefertigt, der Tageslicht speichert. So entsteht in der Dämmerung ein kurzer Moment, in dem die Installation nachleuchtend den Tag in die Nacht überführt und dem Hofgarten einen mystischen Schimmer verleiht. Und da ist sie wieder – die venezianische Sinnlichkeit, 450 Kilometer in den Norden verschoben. „Replika“ ist bis zum 22. Oktober 2012 im Münchner Hofgarten zu besichtigen. Es ist ein Rahmenprogramm mit Konzerten, Lesungen und Lichtinstallationen geplant. |
Ein Teil der 88 Arkaden der temporären Installation, Foto © Dimitrios Tsatsas
Die textilen Vorhänge können mit der Hand gerafft werden, Foto © Dimitrios Tsatsas
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Video © Gerhardt Kellermann
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Der nordwestliche Arkadengang des Hofgartens, Foto © Dimitrios Tsatsas
Die Textilien verleihen dem Hofgarten eine neue Sinnlichkeit, Foto © Dimitrios Tsatsas
Im Wind bewegen sich die Vorhänge sanft, Foto © Dimitrios Tsatsas
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Gerafft erlauben die Vorhänge einen Blick auf das Dahinterliegende, Foto © Dimitrios Tsatsas
Der phosphoreszierende Stoff speichert das Tageslicht, Foto © Dimitrios Tsatsas
Ayzit Bostan und Gerhardt Kellermann, Foto © Martin Fengel
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