Die Entwicklung des elektrischen Lichts ist seit seiner Erfindung von einem sich rasant wandelnden Fortschritt geprägt und bietet ein weites Feld für Diskussionen. Nicht allein, was die Technik zu seiner Erzeugung angeht. Was ist Licht? Wozu brauchen wir Licht? Wie viel Licht wird benötigt? Spätestens seit die Europäische Union konventionelle Glühbirnen verboten hat, scheint die Frage nach dem elektrischen Licht, den Möglichkeiten seiner Erzeugung und der Gestaltung von Leuchtkörpern omnipräsent. Licht steht für Aufklärung und es hat das technologische Zeitalter ebenso geprägt wie es im heutigen Informationszeitalter unverzichtbar zu sein scheint. Nichts, soll mehr im Dunkeln bleiben.
Nun hat sich auch das „Vitra Design Museum“ in Weil am Rhein mit großer Leidenschaft dem Phänomen „Licht“ verschrieben und mit der aktuellen Ausstellung „Lightopia“ einen eigenständigen, nur schwer einzugrenzenden Bereich der Gestaltung unter die Lupe genommen. Ausgangspunkt für die rund 300 Arbeiten umfassende Schau ist die eigene, über viele Jahre entstandene Leuchtensammlung des Museums, die bis dato rund 1000 Objekte umfasst. Im Rahmen der Ausstellung werden daraus zum ersten Mal ausgewählte Stücke präsentiert.
In vier thematischen Räumen präsentieren die Ausstellungsmacher einen Streifzug durch interdisziplinäre Aspekte von Licht und Design: In „Living Lightopia“, dem Kapitel, das in die Thematik der Schau einführt, findet sich der Besucher zunächst in einem abgedunkelten Raum wieder. Die Finsternis, der er sich ausgesetzt sieht, schärft seine Sinne für die elementare Macht des Lichts. Hier wird, neben spielerischen und künstlerischen Ansätzen, auch der Glühbirne als einem „Klassiker der Moderne“ Ehre erwiesen. Zudem demonstriert eine überdimensionale Aufnahme aus dem Weltraum sehr anschaulich, wie krass die Unterschiede im Lichtkonsum in verschiedenen Regionen der Erde ausfallen. Erstaunlich, dass der Nil komplett erleuchtet ist.
Der zweite Teil der Schau widmet sich einzelnen Leuchtenentwürfen von Designern und Architekten. Hier wird aufgezeigt, wie vielfältig die Formen, Materialien und Ansätze sind, aus denen Leuchten entstehen. Die Objekte, darunter zahlreiche Ikonen etwa von Wilhelm Wagenfeld, Achille Castiglioni, Gino Sarfatti und Ingo Maurer, werden auf Podesten hervorgehoben. Sie sind in elegante Nischen aus raumhohen Vorhängen eingebettet, in denen man verweilen und sich an die Schönheit der Dinge verlieren möchte.
Im dritten Raum weitet sich der Blick. Nun stehen das Licht selbst und seine „performative Kraft“ im Zentrum. Zusammengetragen wurden Beispiele für die atmosphärischen und szenografischen Qualitäten von Licht und für seinen Einsatz in der industriellen Gesellschaft. Neben einer eher didaktisch anmutenden Zeittafel mit Filmen und interaktiven Darstellungen gibt es mehrere interaktive Installationen, die den Besucher für die Wirkung des Lichts auf Farbe, Raum und Bewegung sensibilisieren sollen. Leuchtreklamen und Halogenlampen kommen zwar etwas zu kurz, dafür verlockt László Moholy-Nagys berühmter „Licht-Raum-Modulator“ dazu, sich dem Spiel des Lichts zu überlassen. Und im Nachbau einer Bozener Diskothek von 1968, die komplett aus transluzentem Plexiglas gefertigt ist, lässt sich erahnen, in welchem Ambiente damals wilde Partys gefeiert wurden. Wie sich heute mit Licht gestalten lässt, veranschaulichen Entwürfe von zeitgenössischen Designern und Künstlern wie Olafur Eliasson, Troika, Chris Fraser, Front Design, Daan Roosegaarde, Joris Laarman, realities:united und mischer’traxler.
Im Obergeschoss widmet sich die Ausstellung der von technophilen Geistern ersehnten Verankerung des Licht-Themas in der Gegenwart: „Licht für morgen“ ist der Titel, LED und OLED liefern die Stichwörter. Im Zentrum des Raumes steht eine nachgestellte Laborsituation, die von Arbeiten mit installativem Charakter eingerahmt wird. Entwürfe von Joris Laarman, Auger Loizeau oder Rogier van der Heide veranschaulichen, wie energieeffiziente Leuchtdioden die Koppelung von Beleuchtung und Energieproduktion ermöglichen.
„Lightopia“ entwirft nicht nur ein Panorama des Lichtdesigns von den Anfängen der Industriegesellschaft bis in die Gegenwart und die – noch finstere – Zukunft, die Schau spricht im ersten Raum mit einer Weltkarte zur Energieverteilung auch ein brandaktuelles Thema an, dem sich ein bewusster Beobachter, Konsument und Gestalter nur schwer entziehen kann. Denn mittels Digitalisierung und auf der Grundlage der OLED-Technologie löst sich Licht immer stärker von einem Objekt – einer Leuchte – ab, von dem es ausgeht. Integriert in Fassaden oder Textilien wächst ihm eine raumbildende Kraft zu, von der schon die Moderne geträumt hat. So vermisst man am Ende nur eines: den Blick auf „Licht ohne Elektrizität“. Die Wasserflaschen-Leuchte aus den Slums von Manila hätte auch nach „Lightopia“ gepasst.
Lightopia
Vitra Design Museum
Weil am Rhein, bis zum 16. März 2014
Die Ausstellung wird begleitet von einem umfangreichen Rahmenprogramm aus Vorträgen, Diskussionen, Symposien und Workshops mit namhaften Künstlern, Designern und Wissenschaftlern. Unter den Gästen sind Michele De Lucchi, Ben van Berkel, Winy Maas/MVRDV, Rogier van der Heide, Troika, mischer‘traxler und viele andere.
Lightopia
Katalog zur Ausstellung
Herausgegeben von Kries, Mateo und Kugler, Jolanthe
Mit Beiträgen von Peter Weibel, Sidney Perkowitz, Hartmut Böhme und Bart Loomtsma
Verlag: Vitra Design Museum
Drei Bände, kartoniert im Schuber, ca. 300 Seiten mit über 300 Abbildungen
79 Euro
www.design-museum.de
Mehr auf STYLEPARK:
Mehr als die Summe kleiner Häuschen: Das VitraHaus der Architekten Herzog & de Meuron in Weil am Rhein setzt sich aus zwölf in die Länge gezogenen Satteldachhäusern zusammen. (24. Februar 2010)
Vorhang auf in Weil am Rhein: Das japanische Architekten-Duo SANAA entwarf eine Produktionshalle für den Vitra Campus. (25. April 2013)