Der ägyptische Pavillon war jahrelang eine Lachnummer. Oder besser gesagt: ein Trauerspiel. Hier stellten die Kulturminister des Mubarak-Regimes ihren verqueren Kunstbegriff zur Schau. Manchmal stammte die Kunst sogar von ihnen selber. Mal erinnerte sie an eine Dekoration für ein Reisebüro, mal an drittklassige Aprèsgarde. Dieses Jahr nun ist alles anders. Nach der ägyptischen Revolution ist der jungen, unabhängigen Kunstszene, die in Ägypten bisher einen schweren Stand hatte, die Übernahme des Pavillons gelungen. Einfach war dies nicht, sagt die Kuratorin des Pavillons, Aida Eltorie, und die Zukunft sei ungewiss.
Egal, jetzt sorgen erst einmal fünf große Screens mit Videos des 1978 geborenen Medienkünstlers und -professors Ahmed Basiony für eine zeitgemässe Anmutung. Eines der Videos dokumentiert eine Performance, die Basiony 2010 auf dem Kairoer Tahrir-Platz inszeniert hatte; die anderen führen die ägyptische Revolution vor. Denn Basiony hatte die Massenkundgebungen auf dem Tahrir-Square während vier Tagen mit Digitalkamera und Handy gefilmt. Das wäre nicht weiter Aufsehen erregend, wäre Basiony dabei nicht am 28. Januar 2011 erschossen worden. Und so dokumentieren seine Videos nicht allein die Dynamik dieses Aufstands, der via Internet, Youtube, Twitter und Al Jazeera fast in Echtzeit verfolgt werden konnte. Sie stehen vor allem für den Mut und die Opferbereitschaft, mit der eine junge Generation in den arabischen Ländern ihre Forderungen vertritt. Aida Eltorie betont, dass es der starke Veränderungswille war, der zum Gelingen der Revolution geführt habe. Das Internet sei schon wichtig gewesen, aber doch sekundär.
Für Aida Eltorie ist der Auftritt mit Basiony ein Fanal und ein Neuanfang. Wichtig sei jetzt für die ägyptische Kunst- und Kulturszene die internationale Vernetzung. „Leiht uns ein Ohr, bei uns passiert viel, und wir haben viel zu sagen". In Europa sei man recht offen. So waren sie und ihre Mitstreiter im vergangenen Herbst auf der „Manifesta" zu Gast. Thema: die arabischen Mittelmeeranrainer. Aida Eltorie ist sichtlich stolz, dass die Revolutionsgeneration den ägyptischen Pavillon gekapert hat. Und während andere noch mit dem Konzept der Nationenvertretung in den Pavillons hadern, ist sie einfach begeistert, hier – einen Steinwurf weit entfernt vom israelischen wie auch vom nordamerikanischen Pavillon, wie sie betont – etwas vom arabischen Frühling zu präsentieren.
Szenewechsel. „The Future of a Promise" heisst eine der gewichtigeren Nebenveranstaltungen der Biennale. Im ehemaligen Salzmagazin gleich bei der Punta della Dogana hat Lina Lazaar, Expertin beim Auktionshaus Sotheby's, eine attraktive Gruppenausstellung von Kunst aus den arabischen Ländern zusammengestellt. Finanziert wird sie von privaten Stiftungen, die mit Unternehmern aus der arabischen Welt verknüpft sind. Hier steht weniger die Revolution als die Anschlussfähigkeit an den internationalen Kunstmarkt im Vordergrund. Und diese ist am besten gewährleistet, wenn der Zeitgeist durch die Kunst weht, ohne allzu stürmisch zu blasen. In der Ausstellung trifft man auf den marokkanischen Künstler Mounir Fatmi, der heute zwischen Paris, Tanger und Los Angeles lebt und sich in den letzten Jahren mit seiner gewitzten Konzeptkunst einen Namen gemacht hat. Fatmi hat Fahnenstangen mit Flaggen von 22 arabischen Ländern an die Wand gelehnt. Bei zweien, es sind jene von Ägypten und Tunesien, ist am unteren Ende des Holzstiels zugleich ein Besen als Symbol des Reinemachens und des Aufbruchs befestigt. Die pfiffige, aber für europäische Augen nicht gerade aufmüpfig wirkende Arbeit wurde jüngst bei der Kunstmesse Art Dubai ein Opfer der Zensur. Zensur interpretiert Fatmi als Ausdruck der Schwäche eines Regimes. Und Fatmi hofft, dass er bald die Fahnenstangen anderer arabischer Länder mit Besen versehen kann.
Und wie steht es mit seiner Heimat Marokko? Der 1970 geborene Fatmi, der Teile seiner Ausbildung in Paris und Amsterdam absolvierte, erklärt, dass seine Generation genug habe von den leeren Versprechungen des marokkanischen Königs. Die Generation seiner Eltern, die postkoloniale Generation, sei schon damit zufrieden gewesen, dass die einstigen Kolonialmächte durch Herrscher aus dem eigenen Land abgelöst worden wären. Seine Generation fordere mehr. „Ich erwarte von einem Präsidenten oder König, dass er für mich arbeitet. Die jetzige Regierung sagt immer, sie wolle etwas ändern. Aber die Leute dort können das nicht, weil sie nicht wissen, wie man arbeitet. Sie können es schlicht nicht".
Die 22 Flaggen suggerieren eine panarabische Union. Aber Fatmi ist allergisch gegen die Vorstellung von einer einheitlichen „arabischen Welt". „Es gibt keine arabische Welt. Das ist vor allem seit dem 11. September 2001 ein Klischee des Westens, der meint, al-Qaida beherrsche uns, wir seien alle islamistisch und potenzielle Selbstmordattentäter. Die arabischen Länder unterscheiden sich deutlich voneinander. Ich etwa spreche marokkanisch – und kann damit beispielsweise einen Ägypter nicht verstehen. Was uns aber verbindet, ist die Kritik an unseren Diktatoren". Und Fatmi, zur Bedeutung des Tods von Bin Laden gefragt, meint: „Das Merkmal der arabischen Revolution ist, dass sie von uns Jungen und von den Intellektuellen her kommt. Für uns war Bin Laden schon tot, bevor die Amerikaner ihn umgebracht haben".
Fatmi findet die Revolution und den jetzigen Aufbruch hoffnungsvoll, auch wenn es derzeit schon viel schwarzen Humor brauche. Er freut sich, dass die jungen Ägypter den Pavillon der Biennale „aus der Geiselhaft Mubaraks" befreit haben. „Das zeigt doch, dass wir mit unserer Kunst sogar nach unserem Tod noch etwas bewirken können. Und Ahmed Basiony oben im Himmel ist sicher sehr zufrieden, dass er der erste ist, der nach der Revolution im ägyptischen Pavillon ausstellt".
Mounir Fatmi und Aida Eltorie stehen beide für den gesellschaftlichen und künstlerischen Aufbruch in den arabischen Ländern. Sie gehören zugleich zur wichtigen Garde der kulturellen Vermittler zwischen ihren Ländern und einem Europa, das das Ausmaß der aktuellen Veränderungen erst allmählich voll erfasst. Ihre Auftritte bei der Biennale von Venedig sind ein Weckruf – gerade auch für Besucher aus Europa.
www.ahmedbasiony.com
www.thefutureofapromise.com
In unserer Reihe zur 54. Kunstbiennale von Venedig sind bisher erschienen:
> „Jenseits von Angst und Afrika" von Thomas Wagner
> „Taubenverteilen im Park" von Thomas Wagner
> „Wir verlassen den amerikanischen Sektor..." von Joerg Bader und Thomas Wagner
> „Mitgefangen, mitgehangen" von Annette Tietenberg
> „Amerikanische Turnstunde" von Thomas Wagner
> „Widerstand - erstarrt oder verflüssigt?" von Barbara Basting
> „ Schlinge, Schlinge über alles" von Barbara Basting
> „Tintoretto - einer von uns?" von Annette Tietenberg
> „Das übermalte Feuilleton" von Joerg Bader