Kolumne
Alles sehr urban
Frauenkirche, Olympiastadion, Allianz-Arena und: Van B. So stellt sich das anscheinend der Projektentwickler Bauwerk (ehemals Bauwerk Capital) vor, der das Letztgenannte als Münchens neue Architekturikone vermarktet. Damit ist ein Wohnungsbau gemeint, der aus der Feder von Ben van Berkel und dessen UNStudio stammt. Der Niederländer zeichnet nicht nur für den Entwurf verantwortlich, sondern muss auch als Namensgeber für ein Gebäude herhalten, das laut Bauwerk "Very Urban Living" bereithält. Stellt sich die Frage, was das in München – oder überhaupt – bedeutet. Eine Antwort darauf soll eine Baustellenbesichtigung des Van B geben, das sich seit drei Jahren im Bau befindet. Die Fertigstellung ist für den Spätsommer 2023 geplant.
Wenn man sich dem Bauzaun nähert, fällt einem erst mal das expressive Äußere auf, das der Bauherr folgendermaßen beschreibt: "Die außergewöhnliche Fassade des Gebäudes wirkt dynamisch und entwickelt dadurch eine besondere Strahlkraft für die gesamte Umgebung. Asymmetrische Vorsprünge, raumhohe Fensterflächen und Balkone verleihen ihr Lebendigkeit." Die ist tatsächlich nötig, denn die Nachbarschaft besteht unter anderem aus Amtsgericht, Bundespolizeidirektion, Hochschulgebäuden und einem Betriebsgelände der Stadtwerke inklusive Heizwerk. Allerdings dockt am südöstlichen Ende des Van B ein im Bau befindliches Mehrfamilienhaus von Fink+Jocher an. Direkt daneben befindet sich ein gerade fertiggestelltes Wohngebäude von Goetz Castorph Architekten mit Werkswohnungen für die Münchner Stadtwerke. Und schräg gegenüber ist vor kurzem eine Grundschule von Behnisch Architekten eingeweiht worden. Auf der Nordwestseite gegenüber des Van B dann die zu Beginn des 20. Jahrhunderts errichtete Barbarasiedlung. Deren putzige Walmdachhäuschen mit Vorgärtchen bilden den größtmöglichen Kontrast zu Van Berkels dekorativem Betonstrukturalismus – und zum ersten Mal bekommt man eine Ahnung vom "Very Urban Living", als bei der Führung von der Heterogenität der Umgebung geschwärmt wird.
Parkhausatmosphäre im Treppenhaus
Im Erdgeschoss gibt es unter anderem einen sogenannten "Co-Living-Space" als Treffpunkt und Arbeitsraum für die BewohnerInnen. Auf circa 115 Quadratmetern sind hier Sofas und Sessel, eine Bar, ein großer Tisch und abgetrennt dahinter mehrere kleine Nischen zum Arbeiten untergebracht. Trotz der großen Fenstertüren, die sich auf zwei Seiten zum Straßenraum öffnen, wirkt das alles leicht beengt. Das eklektische Gestaltungskonzept – ein Resultat der Zusammenarbeit des Urban-Art-Duos Layer Cake mit der Interior-Designerin Stephanie Thatenhorst – verstärkt das Ganze zusätzlich. Zeitgeist-Design trifft hier auf Graffiti-Kunst, was nicht nur etwas bemüht wirkt, sondern aufzeigt, wie man sich in München die Großstadt mitunter so vorstellt. Die Belegung des "Co-Living-Space" und seine Öffnung zur Stadt, überlässt Bauwerk im Übrigen den BewohnerInnen. Und so bietet nicht nur die Nutzung des Raums, sondern auch dessen Organisation eine Möglichkeit sich gegenseitig kennenzulernen.
Beengt geht es in einem der Treppenhäuser weiter. Von Ben van Berkel bei der Projektpräsentation zuvor noch als kommunikativer Erschließungsbereich angepriesen, macht sich dank der Kombination aus Enge, fehlendem Tageslicht und uninspirierter Materialität Parkhausatmosphäre breit. Zwar gibt es auch großzügigere Treppenhäuser mit Tageslicht. Die glänzen aber leider ebenfalls durch architektonische Lustlosigkeit. Langgestreckte Erschließungsflure in den oberen Geschossen erinnern an Budgethotels und die Grundrisse der Wohnungstypen, die den größten Anteil im Van B ausmachen, konsequenterweise an Hotelzimmer. Auf einer Fläche von gerade mal 33 bis 44 Quadratmetern muss hier einiges untergebracht werden, weshalb der Architekt sich etwas ausgedacht hat, das der Bauherr als "Plug-ins" vermarktet. Damit sind Schrankmöbel gemeint, die je nach Bedarf Funktionen wie Klappbett, Stauraum, Sitznische, Küchenzeile oder Schreibtisch beinhalten können und mittels Schienen durch den Raum befördert werden. Durch die Konfigurierbarkeit der vorhandenen Fläche verspricht man sich mehr Flexibilität. Die zukünftigen BewohnerInnen müssen sich aber mindestens für das Klappbettmodul entscheiden, damit das Ganze überhaupt funktioniert. Ansonsten bleibt es, was es ohnehin ist: eine Einzimmerwohnung mit innenliegendem Bad.
Allerdings hält das Van B noch einige typologische Überraschungen bereit, wie etwa die "Gallery Lofts" im Erdgeschoss mit eigenem Garten. Von dort geht es über Ebenen mit eingeschnittenen Lufträumen zwei Stockwerke in die Tiefe. Eine Unterteilung in offene und geschlossene Bereiche ist hier eher schwierig bis unmöglich und unten angekommen fragt man sich, wieviel Tageslicht eine Wohnung eigentlich benötigt. Allerdings: In Amsterdam und Tokio wird das ja auch so gemacht, wie man bei der Besichtigung erfährt. Und damit wäre man beim eigentlichen Punkt, warum das Van B leider tatsächlich "Very Urban Living" ist: die abnehmende Wohnfläche, die diametral dazu immer teurer wird. Für eine Einzimmerwohnung zahlt man hier laut Bauwerk mindestens 599.000 Euro. Bei den drei bislang meistgefragten "Plug-ins" fallen für das Büromodul etwa 13.500 Euro, für das Lounge-Modul etwa 16.700 Euro und für das Bettmodul (ohne Bettenrost und Matratze) etwa 19.000 Euro an. Was an Quadratmetern und genereller architektonischer Großzügigkeit fehlt, müssen das Vermarktungspotenzial eines Starchitekten und ein paar Gimmicks wieder wettmachen. Dabei bräuchte es dringend das genaue Gegenteil: bezahlbaren Wohnraum, der trotz deutlich gestiegener Baukosten und stark erhöhter Zinsen durch typologischen Einfallsreichtum glänzt. Das Van B ist leider kein Lösungsvorschlag, sondern nur ein weiteres Symptom der Wohnbaukrise.