Zwillingsstädte
Robert Schütz: Welche konkreten Ziele verfolgt das Projekt Connected Urban Twins (CUT)?
Dr. Nora Reinecke: Urbane digitale Zwillinge bilden unsere Städte digital ab und ermöglichen "Was-wäre-wenn-Szenarien" für lebenswerte und zukunftsfähige Städte. Im Projekt Connected Urban Twins (CUT) wird nicht nur die technologische und konzeptionelle Entwicklung urbaner Datenplattformen und digitaler Zwillinge für Städte und Kommunen gemeinsam weiter vorangetrieben, unsere drei Partnerstädte Hamburg, Leipzig und München erproben auch datengetriebene Anwendungsfälle für eine zukunftsfähige Infrastruktur- und Flächenplanung. Dabei legen wir einen Fokus auf die Themen soziale Transformation, Energie und Klima. Ein weiteres Ziel unseres Projektes ist es, ein Baukastensystem für den Einsatz von urbanen digitalen Zwillingen in anderen Städten und Kommunen zu entwickeln. Wir möchten mit unserem Projektwissen dazu beitragen, dass auch andere Städte und Kommunen neue Wege gehen und digitale Zwillinge im Rahmen ihrer Stadtentwicklung nutzen können.
Können Sie das Baukastensystem weiter erläutern?
Dr. Nora Reinecke: Das Baukastenprinzip wurde in unserem Projektteam entwickelt, um ein gemeinsames Verständnis vom Konzept "Urbane digitale Zwillinge" zu erzeugen. Es basiert auf dem Gedanken, dass es nicht den einen urbanen digitalen Zwilling für alle gibt. Vielmehr ist es so, dass jeder Kommune vielfältige digitale Ressourcen zu Verfügung stehen. Diese umfassen verschiedene Arten von Daten, Schnittstellen und Anwendungen, aber auch Funktionalitäten wie Analysen, Simulationen und Visualisierungen. Aus dieser Vielfalt gilt es, diejenigen Bausteine auszuwählen, die zur Beantwortung einer Fragestellung der Stadtentwicklung notwendig sind. Dazu stellen wir unsere Projektergebnisse, wie zum Beispiel technische Bausteine, als Open Source-Lösungen zur Verfügung.
Welche Lösungen konnten Sie bereits in die Praxis umsetzen?
Dr. Nora Reinecke: Drei Entwicklungen in unserem Projekt möchte ich anführen, die das Potenzial von Technologien im Kontext der Stadtentwicklung aufzeigen: In städteübergreifender Kooperation haben wir die Virtual Reality-Umgebungen der drei Partnerstädten weiterentwickelt. Diese Prototypen, die zu virtuellen Stadtführungen einladen, schaffen ein Verständnis für die Technologie an sich und ihre Einsatzmöglichkeiten: In weiteren Versuchen haben wir beispielsweise die barrierefreie Zugänglichkeit in Städten mittels VR-Simulatoren untersucht, doch auch eine Vielzahl weiterer VR-Anwendungsfälle ist vorstellbar. Mit dem 3D-Projektplaner entsteht aktuell ein weiteres Werkzeug für die tägliche Arbeit in der Verwaltung, welches differenzierte Visualisierungen und Analysen zu Bauvorhaben ermöglicht und die Arbeit mit 3D-Modellen erleichtert.
Wir haben außerdem die in Hamburg entwickelte Open Source-Software DIPAS (Digitales Partizipationssystem) in Leipzig und München in ersten Beteiligungsverfahren erprobt. Im begleitenden Wissens- und Erfahrungsaustausch ist das Storytelling-Tool (DIPAS_stories) entstanden. Das kartenbasierte Erzählen von Geschichten mit diesem Tool kann Daten und Informationen verständlicher, interessanter und ansprechender machen. Die Entwicklung und Weiterentwicklung von Werkzeugen wie diesen schafft die Grundlage für die Bearbeitung ganz unterschiedlicher Anwendungsfälle, sei es eine Kitanetzplanung in Leipzig, klimaneutrale Quartiersentwicklung in München oder das städtebauliche Monitoring und die Veranschaulichung von Bauvorhaben in Hamburg.
Wie gewinnen Sie die Informationen, beziehungsweise welche Datenquellen nutzen Sie?
Dr. Nora Reinecke: Als virtuelle Abbilder von Städten basieren digitale Zwillinge auf Daten, die über die jeweiligen städtischen urbanen Datenplattformen gesammelt werden. Anwendungsfallbezogen werden diejenigen Datensätze ausgewählt und kombiniert, die die konkrete Fragestellung der Stadtentwicklung beantworten können. Urbane digitale Zwillinge gehen aber über die Bereitstellung von Daten hinaus. Ein Beispiel: Mit dem eben erwähnten 3D-Projektplaner kann ein Gebäude virtuell in den Stadtraum platziert und Wind- oder Schattensimulationen durchgeführt werden. Diese Simulationsdaten lassen sich wiederum über die Datenplattform zur Verfügung stellen und in weitere Planungsverfahren einbinden. Urbane digitale Zwillinge nutzen also verfügbare Informationsressourcen, erzeugen neues Wissen und teilen dieses Wissen innerhalb der Stadt und Kommune, aber auch über die Stadtgrenzen hinaus im Austausch mit überregionalen Zwillingen.
Das Projekt CUT setzt auch auf die BürgerInnen-Beteiligung. Wie wird diese Datenerhebung realisiert?
Dr. Nora Reinecke: Wir möchten analoge Formate und Werkzeuge für die Beteiligung der Stadtgesellschaft durch innovative digitale Werkzeuge ergänzen, um neue Zielgruppen zu erreichen. Dazu erproben wir verschiedene Tools, wie beispielsweise das digitale Partizipationssystem DIPAS, welches wir innerhalb des Projektes entlang unserer Erfahrungen in ausgewählten Beteiligungsverfahren auch weiterentwickeln. Mit DIPAS können Bürgerinnen und Bürger in Live-Veranstaltungen, von zu Hause aus oder mobil digitale Karten, Luftbilder, Pläne, 3D-Stadtmodelle, städtebauliche Entwürfe und weitere städtische Daten abrufen und ein genau lokalisiertes Feedback auf einer Karte geben. In Veranstaltungen vor Ort kommen hierbei oft auch Touchtische zum Einsatz, an denen Menschen für Gespräche über Planungsvorhaben zusammenkommen. Zudem geht es auch darum, die neuen technologischen Möglichkeiten erst einmal kennenzulernen.
Werden bei der BürgerInnenbeteiligung private Daten verwendet? Wie sehr sind der Datenschutz und die Datensicherheit gewährleistet?
Dr. Nora Reinecke: Bei den Beteiligungsprozessen mit DIPAS werden keine persönlichen Daten erhoben, gespeichert oder weiterverarbeitet. Unsere drei Projektstädte stellen offene Verwaltungsdaten über ihre Open-Data-Portale zur Verfügung, die beispielsweise auch für die Beteiligung genutzt werden können. Mit Open-Data wird die Idee verfolgt, Daten frei zugänglich zu machen und Entwicklungen zu unterstützen, die der Allgemeinheit zugutekommen. Diese Daten umfassen zum Beispiel Wetterdaten, Verkehrsinformationen, Geodaten oder Statistiken. Daten mit persönlichen und sicherheitsrelevanten Inhalten sowie Daten, die dem Datenschutz unterliegen, werden dort nicht veröffentlicht.
Das Projekt CUT setzt sehr stark auf den Wissens- und Datentransfer. Können Sie dieses Prinzip an einem Beispiel erläutern?
Dr. Nora Reinecke: Die CUT-Partnerstädte haben mit ihren eigenen Digitalisierungs- und Smart City-Strategien bereits umfangreiche Erfahrungen sammeln können. Die städteübergreifende Partnerschaft dient dem intensiven Wissenstransfer und bietet zudem eine große Chance, die auch den Modellcharakter von CUT kennzeichnet: Im CUT-Projekt entstehen Lösungen, die die städtische Perspektive verlassen und so auch anderen Städten und Kommunen in Deutschland neue Wege aufzeigen. Das bedeutet konkret, dass wir die mögliche Übertragbarkeit schon bei der Entwicklung von Anwendungen oder der Arbeit an Anwendungsfällen von Anfang an mitdenken und alle unsere Ergebnisse Open-Source und Open-Knowledge zur Verfügung stellen. Unterstützend entwickeln wir neue Formate wie die CUT-Akademie oder die Online-Veranstaltungsreihe strg + c[ut], zu denen alle Interessierten herzlich eingeladen sind.
KI ist aktuell in aller Munde, kommt im Rahmen von CUT künstliche Intelligenz zum Einsatz?
Dr. Nora Reinecke: Unser Projektpartner, das ScaDS.AI aus Leipzig, ist als nationales Kompetenzzentrum für künstliche Intelligenz erster Ansprechpartner in Sachen KI- und Big Data-Lösungen. Das ScaDS.AI versucht beispielsweise, mittels KI eine Datenlücke innerhalb der Stadt zu füllen: die Anzahl der Stockwerke von Gebäuden. Hierzu wurde ein überwacht-lernendes, neuronales Netz trainiert, welches verschiedene Fassadenobjekte im Bild erkennt: Fenster, Türen, Gauben, Geschäfte und Dachfenster. Mit diesem Experiment wurde geprüft, ob KI ein gutes Mittel für die vollautomatische Erfassung ist.
Aber ist KI hier ein gutes Mittel für die vollautomatische Erfassung?
Dr. Nora Reinecke: Die kurze Antwort: Nein, denn aufgrund verschiedener Fehlerquellen kann KI in diesem Anwendungsfall vorerst als Erkennungshilfe dienen, die halb-automatisiert und unter Hilfestellung eine schnelle Erfassung der Stockwerke ermöglicht. Aus den Learnings dieses konkreten Anwendungsfalls lassen sich auch Empfehlungen für die Anwendung von KI in der Verwaltung ableiten.
Wenn wir in die Zukunft blicken, wie könnte sich CUT entwickeln, was ist Ihre Vision?
Dr. Nora Reinecke: Wir möchten Wegbereiter sein und Maßstäbe setzen für ein einheitliches Verständnis zum Konzept urbaner digitaler Zwillinge und kommunaler Datengovernance. In städteübergreifender Partnerschaft wollen wir Vorbild sein in der Frage, wie urbane digitale Zwillinge in Planungsprozessen eingesetzt werden können. Mit unseren Projektergebnissen legen wir einen Grundstein, der den Weg für weitere Innovationen in der Stadtentwicklung frei machen soll.