Waffen in der Finanzmetropole
Schon der Titel „Fire & Forget“ stellt eine Herausforderung dar. Einerseits verweist er genau darauf, dass jenseits irgendwelcher Gedanken über die entsetzlichen Folgen selbst im Krieg einfach mal geschossen wird, dies schön knallt und mit äußerst funktionalen und meist auch noch attraktiv gestalteten Waffen geschieht. Genau das demonstriert hervorragend ein ausgestelltes Computerspiel, in dem, was ja ständig geschieht, geschossen wird – während allerdings in nahezu allen Spielen die Spielenden fröhlich herumballern und die so erzielten oft Hunderte von Leichen sogleich verschwinden und im Bild nicht mehr auftauchen, bleiben sie in diesem Spiel vorhanden und stapeln sich blutend auf- und übereinander. Gewissermaßen gerät das Spiel ernsthafter, verwirbelt sich die virtuelle Aktion mit dem alltäglichen Leben. Andererseits steht zu befürchten, dass mindestens einige enthusiastische Gamer solche sehr realistisch wirkenden Leichenstapel noch aufregender finden könnten.
Schrecken verknüpft sich immer auch mehr oder minder mit Faszination (ein Wort, das nicht unversehens an Faschismus erinnert). Diese Verbindung, die von mancher martialischer Kunst und Musik oder von Bunker-Architektur gerne ebenso lukrativ wie banal genutzt wird – und selbstverständlich auch von Design. Einige solcher Produkte sind hier präsent: die Tischlampe von Philippe Starck, deren Ständer ein Gewehr ist (sehr teuer und sehr erfolgreich auf dem Markt), Schmuck, aber ebenso eine Pille „Ecstasy“ und Handtaschen von Alexander McQueen in Form von Granaten und Schlagringe, um weibliche Finger zu schmücken, dazu selbstverständlich Kleidung in militärischer Anmutung. Daneben findet man ebenfalls teure Sneakers von „adidas“ und von „Nike“, bei Letzteren wird ganz gezielt jeweils die Camouflage diverser Armeen für den Schuh als Attraktion verarbeitet. Schließlich in einem gesonderten Raum drei große Video-Projektionen: Eine praktische Vorführung von Panzern in Bewegung, die immanent sehr plausibel wie Spielzeug beim Kindergeburtstag herumfahren, Werbefilme der bekannten Firma „Heckler & Koch“, in denen fröhlich geschossen wird; und ein Werbefilm der Marine der deutschen Bundeswehr (mitgestaltet übrigens vom Peter Schmidt Studio, das ansonsten bekannt ist für die Gestaltung feiner Parfumflakons), in dem ein Mensch seinen Appetit auf Bananen erklärt, man dann Schiffe sieht und etwas über die Relevanz des auf dem Meer sich tummelnden Welthandels erfährt, dann Gerede über notwendige Sicherheit, Blick durch ein Fernrohr, plötzlich Schüsse aus Kanonen und dazu Raketen, als Resultat zwei Menschen im Wasser, die sich an Schiffsplanken klammern. Eine glatte Satire, allerdings aus Versehen.
Das ist stark, noch drastischer und radikaler jedoch demonstriert in dieser Ausstellung die Kunst das Problem der Ästhetisierung von legitimierter Gewalt (bezüglich der Kunst wurde diese Ausstellung zuvor schon in Berlin gezeigt, nun in Frankfurt jedoch erweitert um Design und die kluge Ausstellungsarchitektur). Denn fern ansonsten üblicher Befindlichkeit und aufgesetzter Moralismen werden hier sehr anschaulich Analysen ausgestellt. Und ständig fragt man sich, warum manche Arbeiten dennoch oder gerade deshalb auch unmittelbar attraktiv und merkwürdig überzeugend wirken.
Zum Beispiel von den beiden koreanischen Künstlern Shinseungback und Kimyonghun die Arbeit „Cloud Faces“: Wunderschön strahlen himmlisch farbige kleine Wolkenbilder von der Wand – das sind digital leicht veränderte Wolken, so dass Drohnen, die mit einer der heute für den militärischen Gebrauch üblichen Software zur Gesichtserkennung ausgestattet sind, die Wolken als Gesichter wahrnehmen und sodann mit Raketen beschießen würden (ganz realistisch, wurden doch schon Autos von solchen Drohnen ins Visier genommen, weil diese frontal mit ihren zwei Scheinwerfern und dem Grill häufig Gesichtern ähneln). Oder in der Installation „Tin Soldiers“ der israelischen Künstlerin Ala Younis, wenn sie viele Tausende entsprechend dekorierter Spielzeugsoldaten nach den jeweiligen Größen der Armeen einiger Länder sortiert und in strenger Ordnung aufstellt und erörtert, dass Kriege mittlerweile ganz anders geführt werden, die Soldaten nur noch bloße Figuren sind, die irgendjemand hin- und herschiebt und gegebenenfalls opfert.
Nichts ist noch sicher. Clara Ianni hat neun quadratische helle Metallplatten an die Wand gehängt, auf die zuvor mit jeweils einer anderen Waffe der Berliner Polizei gefeuert wurde: Von der Schrotflinte mit entsprechend vielen kleinen Einschlägen bis zu einem brutalen Gewehr, dessen Treffer aussieht wie ein Bauchnabel. An anderer Stelle ein nicht sehr großer schwarzer Raum mit vier räumlich und in der Höhe unterschiedlich angeordneten Monitoren; auf denen sieht und hört man jeweils einen Mann, der ganz ruhig berichtet, was er bei der Arbeit so sieht und denkt. Der Raum und die Anordnung entsprechen der Organisation im Inneren eines Panzers, der Fahrer nimmt selbstverständlich etwas ganz anderes wahr als der, der immer nur „unter Deck“ im Dunklen mit der Munition rumspielt.
Das alles ergreift und fordert zugleich zur Auseinandersetzung heraus. Am heftigsten sicherlich die Arbeit „Double Shooting“ von Rabih Mroué: 70 Video-Stills sind an einer Wand hintereinander und im Winkel zur Wand so montiert, dass man – dies soll innerhalb von 15 Sekunden geschehen – an dieser Wand entlang laufend wie im Film die Bewegungen wahrnimmt. So wird man selbst zu der Person, die diesen Videofilm tatsächlich gedreht hat, und man ist dabei konfrontiert mit der Ansicht eines offensichtlich gegnerischen Soldaten, der zuerst vorsichtig über einige Trümmer von Häusern hinüberblickt, sich quasi erschrocken zurückzieht, jedoch wieder auftaucht, sich angesichts einer Gegenseite, die lediglich mit einer Kamera bewaffnet ist, in Positur stellt, seine Schusswaffe hebt, das linke Bein fest vor sich in den Boden rammt, genau zielt, schießt und trifft. Läuft man dran vorbei und sieht das, erschrickt man sehr – heftig verstärkt noch beim vorletzten Bild, denn genau dort knallt dann ein Schuss. Wir leben zwar noch, derjenige aber, der das Video „schoss“, nicht mehr.
Also eine wichtige und äußerst klug geordnete Ausstellung. Mitsamt einem ungewöhnlichen Katalog, der zwar leider nicht alle gezeigten Werke mitsamt den Künstlerinnen und Künstlern dokumentiert, jedoch sehr eindrücklich in der Form eines Mode-Magazins gestaltet ist und intelligente Beiträge beherbergt.
Aber: Gerade kluge Ausstellungen fordern zur Kritik heraus. In diesem Fall ist ein wenig zu bedauern, dass das Design nicht noch deutlicher in seiner schier unabdingbaren Ambivalenz präsentiert und erläutert wird. Denn eines ist doch klar: Nahezu jeder Gegenstand (und auch etliche Zeichen und Dienstleistungen) taugt zur Mordwaffe. Selbst die Büroklammer oder ein vorzüglich gestalteter Schal, jedes Auto und ebenfalls die Flugzeuge. Zudem repräsentiert jeder SUV eine Vorliebe fürs Militär. Solche Erweiterung über die Kunst hinaus in die Normalität hätte der Ausstellung sehr gut getan. Doch das kann ja noch kommen.
Ausstellung:
Unter Waffen. Fire & Forget 2
Museum Angewandte Kunst
Schaumainkai 17
60594 Frankfurt am Main
bis 26. März 2017
Begleitend zur Ausstellung ist eine Publikation in der Ästhetik eines Hochglanzmagazins erschienen, das Kunst, Werbung, Design und Mode in unterschiedlichster Form präsentiert:
Ellen Blumenstein, Daniel Tyradellis u. Matthias Wagner K (Hg.)
AMMO
Mit Beiträgen von Olaf Arndt, Richard Brem, Klaus Günther, Andreas Hofbauer und Barbara Vinken und bislang unveröffentlichten Notizen Friedrich Kittlers zu einem Seminar über „Literatur und Krieg“.
144 S., 350 Abb., Deutsch/Englisch
Distanz Verlag Berlin 2016
ISBN 978-3-95476-173-9
An der Museumskasse 14,90, im Buchhandel 24,90 Euro