Thomas Bernstrand hat derzeit viel um die Ohren und verschiebt das Telefoninterview auf acht Uhr abends. Während des Gesprächs wird klar, was los ist: Ein Baby schreit, immer wieder wechselt Thomas Bernstrand ins Schwedische und versucht, sein Töchterchen zu beruhigen. Es ist erst wenige Monate alt, und die Mutter, Bernstrands Freundin, Emma Kruusi, hat noch ein eigenes Kind mit in die Beziehung gebracht. Kein Wunder, dass die Familie neuerdings viel Zeit in Anspruch nimmt. Was übrig bleibt, widmet der Gestalter seiner Profession, die zugleich seine Passion ist. „Emma ist ebenfalls Designerin", sagt der gestresste Vater. „Deshalb reden wir auch zu Hause viel über Gestaltungsfragen."
Das Alltagsdesign erneuern
Was er werden wollte, wusste er schon früh. 1965 in der schwedischen Hauptstadt geboren, studierte Bernstrand zunächst angewandte Kunst an der Stockholmer Konstfack, wechselte dann an die Kopenhagener Designskole und vollendete seine Ausbildung an der Stockholmer Kunsthochschule. 1999 gründete er in Stockholm das Büro Bernstrand & Co., das sich neben Möbeldesign auch mit Landschaftsgestaltung und Innenarchitektur befasst. Der Schwede erhielt zahlreiche Auszeichnungen für seine Arbeiten, darunter 2010 den renommierten Bruno-Mathsson-Preis, der seit 25 Jahren junge skandinavische Designer in ihrer Entwicklung unterstützen soll. Bernstrand sei in der Lage, heißt es in der Begründung zur Preisverleihung, das heutige Alltagsdesign zu erneuern.
Das Moment des Neuen fällt allerdings nicht gleich ins Auge, wenn man seine Möbelentwürfe betrachtet. Seine bevorzugten Materialen sind Holz und Stahl, die Konturen geradlinig – typisch skandinavisch, möchte man sagen. Und es stimmt. „Ich fühle mich den Werten verpflichtet, die man mit klassischem skandinavischem Design verbindet", sagt der Schwede. Solidität im Sinne von einfach, robust und gebrauchstüchtig: Das bedeutet ihm etwas. Allerdings gibt er seinen Entwürfen immer noch etwas anderes mit: eine Geschichte, eine Idee, irgendeine neue, überraschende Funktion.
Public Design als Arbeitsschwerpunkt
Besonders deutlich wird dies bei den Public-Design-Produkten, die Bernstrand für einen seiner Hauptauftraggeber, die schwedische Firma Nola, entwickelt hat. Parkbänke und anderes Außenmobiliar zu entwerfen, reizt den Schweden aus zweierlei Gründen. „Diese Produkte werden durch Wind und Wetter stark beansprucht, auch die Nutzer gehen nicht gerade pfleglich damit um. Hier ist eine besondere Qualität gefragt, und das fordert mich heraus." Was ihm zudem gefällt: „Während normale Sessel und Tische in Wohnungen verschwinden, sind Outdoor-Möbel öffentlich zugänglich. Ich kann jederzeit in den Park gehen und gucken, wie die Leute diese Stühle und Bänke benutzen. Ich kann daraus lernen."
Das Verkettungs-Prinzip
Durch genaue Beobachtung und Analyse kommt Bernstrand auf die oben angesprochenen Ideen. Wie zum Beispiel auf das für Nola entworfene und kürzlich auf der Stockholmer Möbelmesse vorgestellte System „Share". Dabei handelt es sich um leichte, stapelbare und komfortable Stühle mit Metallrahmen und Kunststoffschalen, entwickelt für den Einsatz in Parks oder auf städtischen Plätzen. Der Vorteil dieser Sitzgelegenheiten gegenüber herkömmlichen Parkbänken liegt auf der Hand: Man kann die Stühle herumtragen und sich dort niederlassen, wo man möchte – in der Sonne, im Schatten, am Platz mit der schönsten Aussicht. Damit die Möbel nach Gebrauch wieder zum Sammelplatz zurückgetragen werden, hat der Designer sich das Verkettungs-Prinzip zunutze gemacht, das sich bei Einkaufswagen in Supermärkten oder Flughafentrolleys vielfach bewährt hat: Die Stühle sind mittels Ketten mit einem fest im Boden verankerten Geländer verbunden, die Schlösser lassen sich durch den Einschub einer Münze lösen. Das Pfandsystem führt dazu, dass der Nutzer seinen Stuhl zurückbringt. Leichtigkeit und Stapelbarkeit der Stühle verringern die Mühe zusätzlich. „Das Prinzip", so Bernstrand, „funktioniert inzwischen auch bei Leih-Rädern, warum nicht auch bei Sitzgelegenheiten?"
Immer an der Wand lang
Ein anderes Beispiel für das Konzeptdesign des Schweden ist die ebenfalls für Nola entworfene Bankserie „Kajen". Jede Sitzgelegenheit aus dem Programm bietet einen überraschenden Zusatznutzen. Da gibt es etwa die Bank „Planka" mit hochgezogenem Rückenteil, die fast wie ein Zaun-Modul daherkommt und nicht nur zum Sitzen, sondern auch zum Stehen, Klettern und Hängen einlädt. Die schmale „Mini-Kajen" kann überall dort eingesetzt werden, wo wenig Platz ist, an schmalen Durchgängen zum Beispiel. Auch eine Parkbank mit Fußablage ist im Programm.
Gutes Design hält länger
Neben der neuen Nutzungsidee, die immer dabei sein muss, legt Bernstrand besonderen Wert auf die Nachhaltigkeit seiner Entwürfe – was jedoch nicht heißt, dass alles kompostierbar oder recycelbar sein muss. „Papier ist wiederverwendbar, aber es hält nicht lange, und die Herstellung sowie die Wiederverarbeitung brauchen eine Menge Energie. Holz dagegen hält hundert Jahre und länger. Die Sachen werden vielleicht mal aufpoliert und neu gestrichen, aber damit hat es sich. Je länger ein Ding hält, desto besser für die Umwelt. Das ist natürlich auch eine Frage der Ästhetik: Gutes Design hält länger."
Das Projekt, das Thomas Bernstrand zurzeit am meisten umtreibt, ist – neben der Versorgung des Töchterchens – die Gestaltung eines neuen Platzes in Stockholm. Gefragt sind diesmal aber nicht Bänke, sondern etwas absolut Nutzloses: Kunst im öffentlichen Raum.