Mineralität für den Genius Loci
Hochhäuser als Zeichen weltstädtischen Metropolenformats sind Berlins Sache nicht. Zum Glück sind es andere Qualitäten, deretwegen Touristen aus aller Welt in Scharen an die Spree reisen. Doch Berlin tut sich schwer, diese Qualitäten zu erkennen, zu pflegen und vor allem zu schützen. Und so wollte man es um die Wendezeit doch mit ein wenig Hochhausfeeling versuchen – kurz vor dem Fall der Mauer am Potsdamer Platz, nach der Wiedervereinigung dann am Alexanderplatz.
Architekt Hans Kollhoff hatte beim Wettbewerb 1993 auf den Widerspruch zwischen der Berliner Blockbebauung des 19. Jahrhunderts und Hochhaussolitären reagiert und schlug vor, den Alexanderplatz durch zehngeschossige Sockelbauten zu fassen, aus denen dann Turmhäuser emporwachsen. Er wollte damit den urbanen Raum hoher Dichte nach Berliner Art nach wie vor erlebbar machen, andererseits ihn durch eine Hochhausfamilie umstellen, die zum gesamtstädtischen Zeichen wird. Dafür bekam er viel Applaus, doch seine Pläne scheiterten an der Rezession. Der Boom, der noch den Potsdamer Platz und die Friedrichstraße beflügelt hatte, war zu Ende und die Investierenden warteten ab.
Die Architekturformen, die Kollhoff in seinem städtebaulichen Entwurf vage ausformuliert hatte, erinnerten an Hochhäuser der 1930er Jahre in den USA. Und eines hatte er dabei klar erkannt: Ein Hochhaus kann schön sein, spektakulär, faszinierend. Eine Gruppe solcher Türme, zufällig je nach Grundstücksverhältnissen und Laune der InvestorInnen zusammengewürfelt, zeigt dagegen ein schreckliches Bild – zu besichtigen von São Paulo bis Kinshasa, von Tel Aviv bis Shenzhen, aber auch in Berlin rings um die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Es gibt daher nur eine Chance: ein gestalterischer Mindestkonsens und ein städtebaulich stringenter Plan. Nur so sind Hochhäuser ästhetisch stadtverträglich zu domestizieren. Man denke an das New Yorker Rockefeller Center oder an die fünf Hochhausscheiben am Stockholmer Hötorget aus den 1960er Jahren, beides städtebauliche Ensembles von hohem Wiedererkennungswert.
Ein Bebauungsplan, der die Idee festgeschrieben hätte, kam nicht zustande, dazu fehlte der politische Wille. Die Investierenden hatten sich die Grundstücke gesichert, aber die Bauoptionen nicht wahrgenommen. Die Plattenbauten an der Alexanderstraße wurden nicht abgerissen und ersetzt, sondern nach und nach saniert, das Haus des Reisens gar unter Denkmalschutz gestellt. Nicht einmal die wenigen Neubauten, darunter das unsägliche Einkaufszentrum "Alexa", wurden dem Masterplan entsprechend konzipiert, aus welchen Gründen auch immer.
Zwillinge mit Hybridgeschoss
Heute, da sich das Investitionsklima erholt hat, treten die ProjektentwicklerInnen wieder auf den Plan und wollen vereinzelt Hochhäuser bauen. Doch die Voraussetzungen haben sich gewandelt. Kollhoffs Masterplan ist zwar noch Richtschnur, aber nur noch in Teilbereichen realisierbar und die Baugestaltung ist kein Planungsfaktor mehr. Das gemeinsame Merkmal der Baukörperstaffelung am Kopf der Türme haben die Investierenden verworfen. Sie verlangen die volle Geschossfläche bis zur obersten Etage. Lediglich auf die Bauhöhe hat der Senat Einfluss und senkte sie von 150 Metern auf 130 Meter. Die epochale Chance auf eine signifikante "Stadtkrone" ist somit vertan. Unter diesen Voraussetzungen sind Sauerbruch Hutton angetreten, auf dem D3 genannten Grundstück ein Mitglied der künftigen Hochhausfamilie zu planen. Der Investor covivio hatte den Grund samt dem benachbarten Park Inn Hotel aus DDR-Zeiten (das entgegen Kollhoffs Plänen stehen bleiben soll) erworben und einen Wettbewerb ausgelobt. Sauerbruch Hutton hatten sich in dem Verfahren durchgesetzt, in der Schlussphase gegen die Mitbewerber Diener & Diener aus Basel.
Die ArchitektInnen besetzten also das Baufeld gemäß Kollhoffs Masterplan mit einem neungeschossigen Sockelbau, an dessen Alexanderstraßenseite ein Turm vom Straßenniveau aus in die Höhe wächst. Das zulässige Maß der Nutzung ergab jedoch einen recht breiten Hochhausbaukörper, der angesichts der auf 130 Meter reduzierten Höhe von seinen Proportionen her allzu plump ausfiel. Sauerbruch Hutton behalfen sich mit einem Trick und teilten den Turm durch eine Vertikalfuge in zwei Teile. Durch die unterschiedliche Fassadengestaltung wird die Trennung noch akzentuiert. Aus den einstigen "United Towers", so der Arbeitstitel, wurden somit die "Twin Towers". Gewandelt haben sich auch die Nutzungsvorstellungen der Investoren am Alexanderplatz. Statt monofunktional Büros und Hotels zu verwirklichen, sind nun auch Wohnungen gefragt – 308 Wohneinheiten sollen im Block realisiert werden. Das Baurecht stammt aus dem Jahr 2000, da war von dem heute üblichen Zwangskontingent "bezahlbarer" Wohnungen noch nicht die Rede, und so entstehen, wie auch beim Hines-Projekt von Frank O. Gehry nebenan, ausschließlich frei finanzierte Wohnungen und damit nicht gerade die Mischung, die sich die Senatspolitik für die Stadt und für den Alexanderplatz wünscht. In diesem Fall sollen die Wohnungen in unterschiedlichen Preisklassen frei vermietet werden. Immerhin sind halböffentliche Nutzungen wie eine Kita, ein Fitnesscenter und ein Club mit großem Dachgarten auf dem Sockelbau geplant.
Bei dessen Gestaltung kam der Genius Loci ins Spiel. Die Peter-Behrens-Bauten gegenüber mit ihren Travertinfassaden waren Vorbild für die "Mineralität". Auch sind jeweils zwei der sechs Wohngeschosse optisch zusammengefasst, wodurch die Stockwerks- und Jochteilung der Behrens-Fassaden übernommen werden konnte. Die Wohngeschosse bieten mit ihren Vor- und Rücksprüngen und Loggien ein abwechslungsreiches Fassadenbild. Über der zweigeschossigen Ladenzone gibt es ein "Hybridgeschoss" optional für Einzelhandel oder Co-Working-Spaces. Im Hochhaus sind dann Büroflächen geplant. Seine Fassaden bekommen eine vorgelagerte Struktur mit ausgestellten Photovoltaik-Tafeln, die gleichzeitig Schutz gegen die hochstehende Sommersonne bieten. Den Büros zugeordnete zweigeschossige Wintergärten sind an den Gebäudeecken im Grundriss jeweils versetzt angeordnet.
Insgesamt wird das Bemühen der ArchitektInnen deutlich, die unterschiedlichen Nutzungen zum Ausdruck zu bringen und den Fassaden die Monotonie zu nehmen, die Projekte von diesen Ausmaßen oft ausstrahlen. Vielleicht wird bis zur Fertigstellung 2025/26 auch noch das Farbprogramm etwas intensiviert, wie man es vom Büro Sauerbruch Hutton kennt. Das würde nicht schaden und die ArchitektInnen der Nachfolgebauten veranlassen, sich über eine attraktive Außengestaltung gleichermaßen Gedanken zu machen. Hier sind wohl auch die neue Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt und ihr Beratungsgremium "Baukollegium" gefragt, um von der Idee des Stadtbaukunstwerks Alexanderplatz noch so viel wie möglich zu verwirklichen.